Werbung

Die Aufgabe war zu groß

Nach den Explosionen im Libanon kommt Ministerpräsident Hassan Diab der Protestbewegung entgegen

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Explosionen im Hafen von Beirut in der vergangenen Woche haben allen Bemühungen des libanesischen Ministerpräsidenten Hassan Diab ein Ende gesetzt. Am Samstagabend kündigte er an, dem Parlament Neuwahlen vorzuschlagen. Abgeordnete gaben ihre Parlamentsmandate zurück, Informationsministerin Manal Abdel Samad reichte ihren Rücktritt ein.

Diab war nur sechs Monate im Amt. Anders als seine Vorgänger hatte er keine Partei hinter sich und stammt nicht aus einem der mächtigen Clans, die den Libanon kontrollieren. Die Straßenproteste im Herbst 2019 hatten eine unabhängige Regierung aus Technokraten gefordert, die die Wirtschaftskrise lösen und mit Korruption und Vetternwirtschaft aufräumen sollte. Die Aufgabe war zu groß für Diab. Zwar war er von einer Mehrheit im Parlament gewählt worden, doch hatte sich der politische Block um seinen Vorgänger Saad Hariri demonstrativ der Abstimmung verweigert und die Regierung Diab von Anfang an als »Hisbollah-Regierung« bekämpft.

Unterstützung dafür gab es nicht nur vom administrativen Apparat, den Saad Hariri und viele seiner Vorgänger geschaffen hatten. Auch der Gouverneur der Libanesischen Zentralbank, Riad Salameh, weigerte sich, der Regierungsanordnung nach Untersuchungen über Korruption in den Banken nachzukommen. Rückendeckung erhielt Salameh von der US-Botschaft in Beirut und vom französischen Außenministerium.

Das Angebot Chinas, den Energie- und Transportsektor des Libanon zu erneuern und auszubauen, verwies Diab an das Industrieministerium zur weiteren Prüfung. Man wolle sich nicht vom Westen abkehren und China zuwenden, ließ Diab mitteilen. Der Libanon wolle mit allen Seiten wirtschaftliche Beziehungen pflegen.

Die von Frankreich einberufene Geberkonferenz wird die Sorgen des Landes, die sich seit den Explosionen verschärft haben, nicht mildern. Ein Wettlauf um den Wiederaufbau des Hafens von Beirut und weiter Teile der Stadt ist im Gange. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat Interesse am Wiederaufbau des Hafens bekundet. Bis dahin könnten Schiffe für den Libanon den südtürkischen Hafen Mersin nutzen. Er gilt als Umschlagplatz für den Schmuggel von Waffen für den Krieg in Syrien und für Flüchtlinge, die nach Europa wollen.

Medizinische Hilfe, Nahrungsmittel und der Wiederaufbau werden nicht reichen, um dem Libanon wieder auf die Beine zu helfen. Zwar sind die von den USA verhängten Sanktionen und Finanzrestriktionen wegen der Katastrophe zunächst ausgesetzt. Doch solange die Unterstützung bestimmter Clan-Eliten anhält und die westliche Staatengemeinschaft Sanktionen und Handelsverbote gegen Syrien, den wichtigen Handelspartner der Libanesen, aufrecht erhält, ist eine Besserung nicht in Sicht.

Zumal die innenpolitische Situation immer fragiler wird. Amnesty International und Human Rights Watch forderten eine internationale Untersuchung der Explosionen. Die Protestbewegung griff die Forderung auf und rasch taten sich alte Fronten wieder auf. Der maronitische Patriarch Cardinal Beshara Boutros Rahi schloss sich der Forderung nach einer internationalen Untersuchung ebenso an wie Walid Dschumblatt von der Progressiven Sozialistischen Partei. Präsident Michel Aoun kündigte hingegen an, dass der Libanon selber einen Untersuchungsbericht vorlegen werde.

Die Protestbewegung ist verschiedenen Gruppen und Parteien zuzuordnen, die nur die Forderung nach dem Sturz der Regierung verbindet. Viele richten sich explizit gegen die Hisbollah. Lediglich die Kommunistische Partei des Libanon unterfütterte ihre Forderung nach dem »Sturz des mörderischen Regimes und seines vom Ausland unterstützten politischen Systems« mit einer politischen Analyse, die bis 1992 zurückreicht.

Die Mehrheit der Libanesen war schon vor der Explosion damit beschäftigt, sich und ihre Familien zu ernähren und vor einer Infektion mit dem Coronavirus zu schützen. Nach der Explosion im Hafen haben viele ihre Angehörigen und Freunde beerdigt oder deren medizinische Versorgung gewährleistet. Sie mussten Geld für den Kauf von Gas aufbringen und gleichzeitig Strom, Wasser und Nahrungsmittel bezahlen. Auch wenn der Zorn und das Leid die Menschen fast zu überwältigen drohen, müssen sie zunächst den Alltag organisieren.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -