Vorschlaghammer oder Zange?

Best of Menschheit, Teil 32: Ineffizienz

  • Tim Wolff
  • Lesedauer: 3 Min.

Obwohl Deutschland als das Land der Effizienz gilt, besitzt es eine Bevölkerung, die in großen Teilen die Konzepte Effektivität und Effizienz nicht unterscheiden kann. Am deutlichsten zu ersehen an der Elite der Sprachdummheit, den Fußballkommentatoren, die stets von »effektiver Spielweise« sprechen, wenn eine Mannschaft aus wenigen Möglichkeiten ein Tor »kreiert« (Fußballkommentatorendummheit Nr. 1693), also effizient spielt. Es lässt sich vielleicht so merken: Wenn man einen rettungslos entzündeten Zahn hat, lässt er sich mit einem Vorschlaghammer oder einer dafür entwickelten Zange entfernen. Beides ist effektiv, nur eines effizient.

Nun ist Effizienz nicht grundfalsch, das Beste aus den vorhandenen Möglichkeiten zu machen, sicherlich eine der menschlichen Eigenschaften, die ihn über den Rest der Natur hat aufsteigen lassen. Doch hat sich im Laufe der Menschheitsgeschichte herausgestellt, dass Effizienz durchaus auch die Perversion menschlicher Schaffenskraft sein kann. Vor allem raubt sie, im Kapitalismus - just in time - fast allem die Freuden der Langsamkeit und der Besonderheit. Wenn Mensch und begehrte Waren rasend schnell an jeden größeren Ort der Welt gelangen können, gibt es wenig, wonach sich sehnen lässt. Das gilt aber natürlich nur für die, die von der Effizienz der Arbeitskraftausbeutung profitieren. Die anderen sind wiederum gefangen in der Verwaltung des Mangels.

Wie Effizienz Ästhetik instrumentalisiert und damit ruiniert, lässt sich gut am Automobil erkennen. Das Ausufernde, Stolze der frühen Wagen war nicht darauf aus, andere zu überholen. Selbst in den ersten Massenmodellen war sichtlich nicht der Wunsch zu erkennen, gegen alle anderen zuerst am Ziel zu sein, der heutige Automobile auszeichnet. Selbst die scheinbar verschwenderischen SUV sind keine Symbole ineffizienten Genusses. Solche Trümmer individueller Fortbewegungsmittel derart beschleunigen zu können, ist vor allem ein Triumph der präzisen Herrschaft des Menschen übers Feuer. Und da ist es nur konsequent, mit ihnen einen verbrannten Planeten zu hinterlassen.

Alle Fortbewegungsmittel hat der Mensch so effizient gemacht, dass sie unmenschlich geworden sind. Die Missachtung des Weges, die unter anderem darin Ausdruck findet, dass Passagiere so eng wie möglich in jeden Zug, jedes Flugzeug oder Schiff gepfercht werden, ist Folge der Akzeptanz der Ausbeutung. Selbst der Urlaub, ursprünglich die luxuriöse Abwesenheit der Arbeit, die sich nur reiche Regionen der Erde leisten konnten, ist längst nur noch Mittel zur Effizienzsteigerung. Mit weniger effizienten Autos, Zügen und Schiffen war ein Sommerurlaub noch vier Wochen lang, nun sind es höchstens zehn Tage in einer Erholungsmaschinerie, die Weiterarbeit bis zum Burn-out erlauben soll. (Der Rucksackurlauber arbeitet sich wiederum über den Planeten wie durch eine Karriere, mitsamt internetöffentlich einsehbarer Vita.)

Es ist kein Wunder, dass die einzig wirkliche Flucht für den selbst in der Arbeitslosigkeit der Drangsalierung der Arbeitskraftverwaltung Unterworfenen (Hartz IV) der Vollsuff an irgendeinem Strand ist. Nicht einmal eine Pandemie kann davon abhalten, sind doch die Maßnahmen gegen diese im Ergebnis nur das ins Öffentliche Gesteigerte, was man eh schon kennt. Wieso sollte man Rücksicht gegen andere üben, wenn man, um einigermaßen gut leben zu können, keine gegen sich selbst üben darf?

Der kapitalistische Mensch hat die Brutalität der Effizienz so verinnerlicht, dass ihm zur einzigen historisch alternativen Organisation der Geschäfte, jener, die sich kommunistisch nannte, meist zuerst deren Ineffizienz einfällt. Dabei gehörte diese oft zu den sympathischeren Eigenschaften dieser Gesellschaften. Schade, dass sie in entscheidenden Punkten nicht mal effektiv waren.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.