Stress im Sudan, Stress in Bernau

Asylbewerber Mustafa H. sollte 600 Euro Strafe wegen illegalen Aufenthalts bezahlen. Das muss er aber nicht

  • Andreas Fritsche, Bernau
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Mustafa H. am Dienstagmorgen aus Saal 10 des Amtsgerichts Bernau heraustritt, atmet er einmal tief durch und lacht dann erleichtert. Einige Minuten später ist er draußen bei den 31 Menschen, die sich zu einer Solidaritätskundgebung versammelt haben. Aus Lautsprechern tönt Musik und Mustafa tanzt dazu, dass seine Rastalocken umherwirbeln. Es gibt einen Grund zum Feiern. Alle Beteiligten einigten sich darauf, dass die Richterin das Verfahren gegen den 29-Jährigen einstellt. Die Kosten trägt der Staat, und Mustafas Anwalt, Julius Becker, wurde als notwendiger Rechtsbeistand anerkannt, so dass der Asylbewerber dessen Honorar auch nicht bezahlen muss, sondern nur dessen Fahrkosten - und die sind überschaubar, weil Becker mit dem Regionalzug anreiste.

Es hätte durchaus teuer werden können für den Sudanesen. 600 Euro Strafe sollte er bezahlen, weil er sich kurze Zeit illegal in der Bundesrepublik aufhielt. Und das kam so: Er gehörte in seiner Heimat einer oppositionellen Studentenbewegung an, die 2009 gegründet wurde und sich dafür einsetzte, Diktator Omar al-Baschir abzusetzen und den Sudan zu reformieren. 2019 wurde al-Baschir tatsächlich durch einen Militärputsch gestürzt, im Juni 2020 folgte schließlich nach Protesten der Bevölkerung die Einleitung einer dreijährigen Übergangsphase zur Demokratisierung des Landes.

Als Mustafa im September 2018 aus dem Sudan flüchtete, war diese Entwicklung noch nicht abzusehen. Nach eigenen Angaben hatte er zu diesem Zeitpunkt wegen seines Engagements bereits drei Mal im Gefängnis gesessen. Es gelang ihm, ein Besuchsvisum für eine Konferenz in Berlin zu bekommen. Dieses Visum lief aber im September ab - und erst im Oktober stellte Mustafa einen Asylantrag. Folglich hat er sich, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, in der Zwischenzeit illegal in der Bundesrepublik aufgehalten.

»Ich konnte die Sprache nicht, ich kannte die Asylregeln nicht«, bedauert Mustafa, der mittlerweile ganz passabel Deutsch spricht und sich ehrenamtlich als Dolmetscher betätigt. Freunde sagten ihm, das deutsche Asylrecht sei kompliziert und er müsse sich einen Anwalt nehmen. Folglich habe er sich erst Termine bei einem Rechtsanwalt geben lassen, bevor er politisches Asyl beantragte - etwas zu spät, wie er nun weiß.

»Ich hatte Stress im Sudan. Jetzt bin ich hier und bekomme mehr Stress. Das finde ich unfair«, beklagte der freundlich auftretende junge Mann, bevor er das Gerichtsgebäude betrat. Es waren etliche Menschen gekommen, um ihm Mut zu machen. Zur Not wollten sie Geld sammeln, damit er seine Strafe bezahlen könnte. »Wie ernst nehmen wir es eigentlich mit dem Grundrecht auf Asyl?«, fragte Eva-Maria Rebs von der Willkommensinitiative Bernau. Bisher seien Flüchtlinge verfolgt worden, weil sie illegal nach Deutschland einreisten. Nun mehrten sich in Brandenburg die Fälle, wo sie wegen illegalen Aufenthalts belangt werden.

»Kein Mensch ist illegal, Punkt«, betont Fatuma Musa Afrah von United Action. »Wir sind nicht kriminell.« Ihr Verein berät geflüchtete Frauen und Mädchen über ihre Rechte. »Wir geben den Frauen zu verstehen, dass sie nicht still sein müssen in einer Männerwelt.« Viele kommen aus Staaten, in denen es weniger demokratisch zugehe, erzählt Afrah. Allerdings sei auch in der Bundesrepublik nicht alles gut und richtig.

Einen Trend, dass es vermehrt Strafbefehle wegen illegalen Aufenthalts gibt, hat auch Anwalt Becker wahrgenommen, dessen Kanzlei viel mit Migrationsrecht befasst ist. »Wir haben den Eindruck, dass dies in letzter Zeit häufiger und mit höheren Strafen angeklagt wird«, sagt Becker. So gebe es auch Fälle in Bayern. Der Ausgang des Verfahrens von Mustafa H. sei jedoch typisch. Wegen der schwierigen Rechtslage neigten die Richter dazu, die Verfahren einzustellen. Becker hätte auch auf Freispruch plädieren können. Diese Möglichkeit erklärte er seinem Mandanten mit allen Vor- und Nachteilen - und der ließ sich dies sicherheitshalber durch einen Dolmetscher ins Arabische übersetzen, damit er auch wirklich alles richtig versteht: Ein Freispruch wäre ein Zeichen, aber nicht garantiert. Bei der Einstellung des Verfahrens sei Mustafa diesen Ärger sofort los und müsse sich keine Sorgen mehr machen.

Sein Asylverfahren läuft noch. 600 Euro Geldstrafe hätten offiziell keine negativen Auswirkungen auf sein Bleiberecht haben dürfen, erläutert Anwalt Becker. Im Führungszeugnis wäre das nicht aufgetaucht, es wäre aber im Zentralregister der Polizei abrufbar gewesen. Darum sei es besser, wie es nun gekommen ist.

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