Mit der Ferkeltaxe nach Mirow

Politiker aus Brandenburg und Mecklenburg werben für die Reaktivierung einer weiteren stillgelegten Bahnstrecke

  • Andreas Fritsche, Neustrelitz
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Dieselmotor heult auf, der Triebwagen ruckt an und zuckelt die 22 Kilometer vom Hauptbahnhof Neustrelitz nach Mirow. Auf dieser Nebenstrecke befördert regulär die Hanseatische Eisenbahn Fahrgäste. Hier ist aber jetzt in einer Sonderfahrt der Verein Hafenbahn Neustrelitz mit einer historischen Ferkeltaxe unterwegs. Es ist heiß. Darum sind alle Fenster aufgeklappt, und auch die Türen stehen offen, damit wenigstens ein bisschen Fahrtwind hereinweht. Eine Klimaanlage hat das Vehikel nicht. Zwei der Enthusiasten des Vereins, ein Mann und eine Frau, sind als Schaffner dabei, haben sich originale Jacken der Deutschen Reichsbahn im Stil der 1960er Jahre angezogen sowie die dazu passenden Mützen aufgesetzt.

An Bord sind am Montagnachmittag Journalisten und Politiker - auf Einladung der Landtagsabgeordneten Mignon Schwenke und Christian Görke. Sie sind die verkehrspolitischen Sprecher der Linksfraktionen in Mecklenburg-Vorpommern beziehungsweise Brandenburg. In Mirow, der Ort gehört auch noch zu Mecklenburg-Vorpommern, geht es nicht weiter. Die übrigen 27 Kilometer Schiene bis nach Wittstock in Brandenburg sind demontiert. Dieser Abschnitt der 1890 in Betrieb genommenen Strecke wurde 1998 stillgelegt, 2003 noch einmal ein halbes Jahr benutzt und dann endgültig vom Netz genommen. Weil Metall damals wertvoll war und Schrott anständige Preise erzielte, hat man die Schiene entfernt. Der Bahndamm existiert noch samt Schotter. Die Stadt Wittstock hat vor, dort einen Radweg anzulegen. Nicht jedoch, um damit einer Wiederbelebung der Bahnstrecke im Wege zu stehen, eher im Gegenteil, um die Trasse freizuhalten, damit dort vielleicht doch einmal wieder Züge verkehren können, wie Martin Bünning versichert. Er ist der für die Stadtentwicklung zuständige Amtsleiter in Wittstock.

Mirows Bürgermeister Henry Tesch (CDU) ist dankbar für diese Klarstellung. »Dass ein Radweg gegen eine Bahn ausgespielt wird, diese Diskussion gibt es nicht«, betont er. Auch der Bürgermeister der brandenburgischen Gemeinde Heiligengrabe, Holger Kippenhahn (Linke), würde sich wünschen, dass es wieder eine Schienenverbindung von Wittstock nach Mirow und weiter nach Neustrelitz gibt. Zwar liegt Heiligengrabe gar nicht an dieser Strecke. Aber es verfügt über eine Bahnanbindung nach Wittstock, und da könnten Reisende umsteigen.

Nebenstrecken in ländlichen Regionen werden wieder interessant, seit immer mehr junge Leute wegen des Klimaschutzes nicht mehr mit den Auto fahren wollen und immer mehr alte Menschen es aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr können. Brandenburg hat sich vorgenommen, den Anteil von Bahnreisenden, Radfahrern und Fußgängern am Verkehrsaufkommen von 45 auf 60 Prozent zu erhöhen. Auch die Bundesregierung habe das Abfahrtssignal gehört und sich vorgenommen, die Personenbeförderung per Bahn bis zum Jahr 2030 zu verdoppeln und auch mehr Güterverkehr auf die Schiene zu bringen, sagt Christian Görke. Zwischen Neustrelitz und Zirtow-Leussow, an der Strecke nach Mirow, gibt es sogar noch Güterverkehr, weil sich in dem genannten Ort ein Tanklager für Dieselkraftstoff befindet.

Ohne die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken sind die ehrgeizigen Klimaziele nach Überzeugung des Linke-Landtagsabgeordneten nicht zu erreichen. Deshalb unternimmt er eine Sommertour zu Streckenabschnitten, bei denen es sich lohnen könnten, wieder Züge fahren zu lassen. Mirow ist die dritte Station auf dieser Tour und die einzige, bei der es um eine Strecke über die Landesgrenze Brandenburgs hinaus geht. Es würde einiges kosten. Für jeden Kilometer Schiene müsste je eine Millionen Euro aufgewendet werden, rechnet Görke vor. Er ist dafür, dieses Geld zu investieren. Da ist er sich mit der Abgeordneten Schwenke einig. »Ich denke, das Geld ist nicht die Frage«, sagt sie. »Die Zeit ist reif, um zu sagen: ›Hier muss etwas passieren!‹«

Görke hatte in einer parlamentarischen Anfrage von Brandenburgs Infrastrukturminister Guido Beermann (CDU) wissen wollen, wie die rot-schwarz-grüne Koalition den Nutzen und die Chancen einer Bahnverbindung von Wittstock nach Mirow bewertet. Beermann hatte sich bei seinen Antworten bedeckt gehalten. »Ein Zeit- und Kostenrahmen für eine Reaktivierung wurde bisher nicht erarbeitet«, lautete die Auskunft. Ob es von Seiten Mecklenburg-Vorpommerns Bestrebungen in dieser Richtung gebe, sei dem Land Brandenburg nicht bekannt.

Die Ferkeltaxe gibt an unbeschrankten Bahnübergängen laut Signal. Radtouristen zücken ihre Mobiltelefone, um ein Erinnerungsfoto von dem historischen Triebwagen zu schießen. Als es auf einer Brücke über einen Kanal geht, grüßt von unten winkend ein Bootskapitän. Eine durchgehende Verbindung nach Wittstock wäre sicherlich auch für die Tourismusbranche hilfreich, argumentieren die Kommunalpolitiker der Region.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.