- Politik
- Coronavirus
Wenn die Warnapp aufblinkt
Sich auf Corona testen zu lassen, ist in der Realität gar nicht so einfach, wie ein Erfahrungsbericht zeigt
Es ist Donnerstagmorgen. Ein entspannter, freier Tag liegt vor mir. Zuerst will ich zu einem Routinetermin beim Hautarzt, danach endlich mal Freunde besuchen, die vor kurzem ihr zweites Kind bekamen – so zumindest der Plan. Noch etwas schlaftrunken schaue ich beim ersten Kaffee des Tages auf mein Handy. Die Corona-Warnapp blinkt auf. Sie sagt mir, dass ich eine Risiko-Begegnung hatte, zwar nur mit niedrigem Risiko, aber immerhin.
Eigentlich hatte ich vorher meine Zweifel, ob ich jemals so eine Nachricht erhalten würde. Nicht nur, weil ich nicht mehr so der Partygänger bin. Sondern auch, weil sich bei mir bis dahin die Überzeugung breit machte, dass vermutlich das größte Problem an der App sei, dass ausgerechnet jene risikobereiten Personen, die sich mit einer höheren Wahrscheinlichkeit mit Corona anstecken, seltener die App haben und sie mich deshalb nicht vor ihnen warnen kann. Doch nun belehrte mich die Corona-Warnapp eines besseren. Irgendwann, irgendwo muss ich in den letzten 14 Tagen einer Person begegnet sein, die später positiv auf Corona getestet wurde und dies auch in ihrer App eintrug, weshalb meine App mich nun warnte.
Doch was heißt eine »Risiko-Begegnung mit niedrigem Risiko«? In der App heißt es dazu: »Sie haben ein niedriges Infektionsrisiko, da keine Begegnung mit nachweislich Corona-positiv getesteten aufgezeichnet wurde oder sich ihre Begegnung auf kurze Zeit und einen größeren Abstand beschränkt hat.« Und: »Die Infektionswahrscheinlichkeit wird daher als erhöht eingestuft.« Sonderlich beruhigend sind solche Sätze nicht. Nach einem kurzen Blick ins Internet merke ich, dass ich nicht der einzige bin, der wegen einer solchen Warnung verwirrt ist. Was ist, wenn das Risiko zwar niedrig, aber hoch genug für eine Ansteckung war? Schnell wird überlegt, mit wem man so in den letzten Tagen unterwegs war, wen man im Zweifelsfall warnen muss. Vor allem wächst das Bedürfnis, auf Nummer sicher zu gehen, sich testen zu lassen. Allein schon wegen der Menschen im eigenen Umfeld, die zu Risikogruppen gehören.
Tricksen und Täuschen
Im Falle des neuartigen Coronavirus stellt das Immunsystem die Forschung vor etliche Rätsel
Eine Telefonnummer, von der ich mir Aufklärung verspreche, ist die des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes. Auf der Internetseite der Bundesregierung steht, dass man sie bei einem »erhöhtem Risiko« anrufen kann, was ich auch mache. Nach langen Minuten in der Warteschleife sagt man mir da, dass ich für einen Test bei meiner Hausärztin nachfragen oder auf der Internetseite der Kassenärztlichen Vereinigung nachschauen kann. Da ich aber laut der App kein erhöhtes Risiko habe und keine Symptome aufweise, müsse ich den Test selbst bezahlen.
Natürlich fällt die erste Wahl auf die Hausärztin. Am Telefon schildere ich der Sprechstundenhilfe meinen Fall. Ihre Antwort: »Wenn wir alle testen würden, die wegen der App kommen, dann würden wir mit dem Testen gar nicht fertig werden.« Auch der Einwand, dass ich für den Test selbst aufkommen würde, nutzt nichts. Also schaue ich auf die Internetseite der Kassenärztlichen Vereinigung. Immerhin finde ich da ziemlich schnell zwei Listen, von denen ich mir verspreche, dass sie mir weiterhelfen können: eine mit den Berliner Covid-Praxen und eine mit Testmöglichkeiten für Rückreisende aus Risikogebieten. Doch dann muss ich feststellen, dass es in meinem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nur ganze zwei Covid-Praxen gibt. Also schaue ich auf die Liste für die Reiserückkehrer, vielleicht kann mich ja da jemand testen. Doch auch da finde ich kaum Praxen in meiner Nähe. Bei einer rufe ich an. Die Antwort: Man teste ausschließlich Reiserückkehrer ohne Symptome. Der Einwand, ich würde für meinen Test notfalls selber aufkommen, fruchtet wieder nicht.
Schließlich fällt mir ein, dass auch die Gesundheitsämter für Covid-19 zuständig sind. Vielleicht wird mir ja da geholfen. Der Mitarbeiter des Gesundheitsamtes bringt am anderen Ende der Telefonleitung tatsächlich etwas Licht ins Dunkel. Er erklärt mir, dass jener Corona-Patient, der meine App aufblinken ließ, mindestens acht Meter von mir entfernt war und die Begegnung vermutlich auch weniger als zehn Minuten gedauert habe. Sonst wäre die App auf rot umgesprungen und ich hätte ein »erhöhtes Risiko«. Von einem Test rät er mir deshalb ab, vor allem auch auf Grund der Kosten für Selbstzahler von weit über 100 Euro. Stattdessen solle ich die Abstands- und Hygieneregeln einhalten, die nächsten Tage auf mögliche Symptome achten und vielleicht etwas meine sozialen Kontakte einschränken. »Gehen Sie am Wochenende nicht unbedingt in eine Bar.«
Auch da will ich auf Nummer sicher gehen, sage meinem Chef, dass ich die nächsten Tage Homeoffice mache, und bereite mich auf eine Quarantäne vor. Ein Freund, mit dem ich am Wochenende zuvor am See war und dem ich von den Vorkommnissen erzählte, drängt, mich doch noch testen zu lassen. Er findet auch schneller einen Arzt, bei dem es klappt. Ich gehe dort hin und lasse mich testen. Natürlich fällt der Test negativ aus, also noch mal Glück gehabt.
Dennoch bleibt ein mulmiges Gefühl. Warum wird es einem in der Praxis so schwer gemacht, sich testen zu lassen, wenn »testen, testen, testen« die Maxime sein soll, wie uns Politiker immer wieder weiß machen? Warum gibt es keine kostenlosen Tests für alle? Und warum sagt einem die App nicht zumindest ungefähr, wann die Begegnung war? Immerhin wäre es beruhigender zu wissen, dass es vielleicht in einer Situation war, in der ich eine Maske trug. Vor allem fasse ich aber den Entschluss wieder vorsichtiger zu werden und mehr Abstand zu halten. Das ist vermutlich auch das Gebot der Stunde.
Der Autorenname ist ein Pseudonym, weil der Verfasser des Textes anonym bleiben möchte.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.