Tödliche Schüsse: Neue Ermittlungen

Staatsanwaltschaft muss noch einmal prüfen, ob Polizist in Notwehr handelte, als er vor einem Jahr einen Afghanen erschoss

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 2 Min.

Es schien ein Routineeinsatz zu werden, zu dem Polizisten am 17. August 2019 in Stade gerufen wurden. In einem Flüchtlingsheim der Elbestadt gebe es eine Streiterei, war den Beamten mitgeteilt worden. Doch der Einsatz endete für den jungen Afghanen Aman A. tödlich. Der 19-Jährige sei mit einer Hantelstange auf die Polizisten losgegangen, lautet die »amtliche« Darstellung des Geschehens. Die Abwehr mit Pfefferspray sei erfolglos geblieben, deshalb habe einer der Beamten auf den jungen Mann schießen müssen. Er gab aber insgesamt fünf Schüsse ab, Aman A. starb.

Sind die Schüsse wirklich als »glasklare Notwehr« anzusehen, wie es die Staatsanwaltschaft Stade auch Ende Juli noch ausdrückte? Das muss nun noch einmal untersucht werden.

Seinerzeit war das Verfahren gegen den Todesschützen eingestellt worden. Dagegen wehrte sich der Bruder des Getöteten mit Hilfe eines Anwalts, drängte auf weitere Ermittlungen, erhob Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft in Celle. Die hat die Stader Kollegen nun angewiesen, die Sache erneut zu prüfen.

Ein Sprecher der Celler Behörde erklärte gegenüber dem NDR, es stünden noch weitere »erfolgversprechende Ermittlungsansätze« zur Verfügung, denen die Staatsanwaltschaft Stade jetzt nachgehen werde. Von dem Ergebnis hänge es ab, ob eine Notwehrlage festgestellt oder ausgeschlossen werden kann. Es dürfte demzufolge offen sein, ob gegen den Polizeibeamten, der auf Aman A. schoss, doch noch Anklage erhoben wird.

Der Rechtsanwalt des Bruders hatte in seiner Argumentation gegen die Notwehrthese unter anderem das gerichtsmedizinische Gutachten ins Feld geführt. Der Expertise sei mit Blick auf den Schusswinkel der tödlichen Kugel zu entnehmen, dass sich Aman A. nicht in »Angriffsposition« befunden habe. Womöglich wird sich die Staatsanwaltschaft auch damit befassen, ob und inwieweit die Beamten während des Einsatzes die ihnen dem Vernehmen nach bekannte psychische Erkrankung des 19-Jährigen berücksichtigt haben.

Nach dem tragischen Ereignis hatte der Flüchtlingsrat Niedersachsen die Frage aufgeworfen, warum nicht seitens der Einsatzkräfte versucht wurde, »zusammen mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst die Situation« zu deeskalieren. Fraglich sei auch, ob A. »trotz des Pfefferspraynebels« überhaupt einen Angriff starten konnte, auf den die Beamten nur mit Schüssen reagieren konnten.

»Dass die Ermittlungen weitergehen, ist eine richtige Entscheidung«, betont der Flüchtlingsrat. Wie er mitteilt, findet an diesem Freitag um 17 Uhr am Stader »Pferdemarkt« eine Kundgebung der »Bürgerinitiative Menschenwürde« statt. Für Samstag (ebenfalls 17 Uhr) ruft die »Initiative Aman A.« zu einer Gedenkdemonstration am selben Ort auf.

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