Unbekanntes Wesen »Waffennarr«

Regierung weiß, welche Sprengstoffe 2017 bis 2019 beschlagnahmt wurden, aber nicht bei wem

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Sturmgewehr hier, ein paar Handgranaten dort, dazu Pistolen, Munition und Explosivstoffe: Derlei Gerät, illegal gehortet, wurde in den vergangenen Jahren wiederholt in Privathaushalten gefunden. Attentate und Überfälle, die mit solchen Waffen begangen werden, häufen sich. Vor allem sind Rechtsradikale allem Anschein nach immer besser vernetzt mit Leuten bei Polizei und Militär, die Zugang zu Tötungsmitteln haben.

Grund genug für die Linke-Bundestagsabgeordnete Martina Renner, bei der Bundesregierung nachzufragen, in wie vielen Fällen die deutsche Polizei derlei in den vergangenen drei Jahren sichergestellt hat. Die Antwort fiel knapp aus: »Der Bundesregierung liegen keine statistischen Daten zu sichergestellten Schusswaffen in den Jahren 2017, 2018 und 2019 vor.« Begründet wird das so: Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) sehe zwar »die Erfassung der Fallzahlen im Bereich der Waffen-, Sprengstoff- und Kriegswaffendelikte vor«. »Dezidiertere Angaben insbesondere zur Art und Menge der sichergestellten Schusswaffen« seien darin aber nicht ausgewiesen. Weiter teilt das Bundesinnenministerium mit, aufgrund der »Ablösung des betreffenden Meldedienstes durch den Polizeilichen Informations- und Analyseverbund (PIAV) und der damit verbundenen, noch in der Realisierung befindlichen Einführung der strategischen Komponente« lägen »keine statistischen Daten« vor.

Beinahe zwangsläufig kann das Ressort von Horst Seehofer (CSU) auch nicht mit Angaben zu entdeckten Schusswaffen- und Sprengstoffdepots aufwarten. Auch zu abgefangenen Waffentransporten hat die Regierung keine Informationen, und die Frage, wie oft nachweislich gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen wurde, kann sie ebenfalls nicht beantworten.

Auch über die Herkunft der Waffen und Explosivstoffe sowie die Art und Weise der Weitergabe hat man im Innenministerium keinerlei Kenntnis. Die »ganz überwiegende Anzahl der dem Bundeskriminalamt (BKA) gemeldeten Ermittlungsverfahren mit sichergestellten Schusswaffen« werde von den »örtlich zuständigen Polizeidienststellen der Länder geführt«. Informationen über die Herkunft von Waffen und Sprengstoff lägen »unter Umständen« bei den Länderpolizeien vor.

Folgerichtig können Seehofers Beamte weder feststellen, wie viele der Materialien aus Beständen von Bundeswehr oder Polizeien stammten, noch etwas über politische Hintergründe der Waffensammler mitteilen. Warum? Weil eine »automatisierte Erhebung zu aufgefundenen Sprengstoffdepots sowie illegalen Sprengstofftransporten« nicht möglich sei. Man verweist auf den Kriminalpolizeilichen Meldedienst beim BKA, der aber in den nachgefragten Fällen nicht so recht aussagefähig ist.

Bereits vor einem Jahr hatte Renner das verschwommene Lagebild kritisiert. Damals hatte das Innenministerium auf den sogenannten Tatmittelmeldedienst verwiesen, bei dem Meldungen einzelner Polizeidienststellen über den Einsatz von Spreng- und Brandvorrichtungen auswertet, werden. Eine Zuordnung zu politisch motivierter Kriminalität erfolge aber nur, wenn Polizeidienststellen dies ausdrücklich vermerken. Renner hatte damals gefordert, die »Prüfung eines politischen Hintergrunds« müsse Standard werden. Geschehen ist diesbezüglich offenbar nichts.

Erstaunlich ausführlich dagegen ist die der aktuellen Antwort angefügte Auflistung der Art der Sprengstofffunde, gegliedert nach Bundesländern. Darin enthalten ist das ganze Spektrum - von Material aus dem militärischen und industriellen Bereich bis zu Selbstgebautem. Gefunden wurden demnach jede Menge Treibladungsmittel, dazu Schwarzpulver in Mengen bis zu 40 Kilogramm, auch Dynamit und TNT. Darüber hinaus Perchloratmischungen, in einem Fall sind es 30 Kilogramm. Weiter ist die Rede von Kaliumchlorat- und anderen Substanzen, die mit den Kürzeln HMTD, TATP, ETN oder PETN bezeichnet sind. Auch Ammoniumnitrat, den Stoff also, der jüngst Beirut verwüstete, hat man sichergestellt - freilich in bescheideneren Mengen.

Seltsam mutet jedoch an, dass die Experten, die die Liste erstellt haben, zu zahlreichen Funden keine Mengenangaben liefern konnten. Kaum vorstellbar, dass die zuständigen Polizeibehörden die Substanzen bei der Analyse nicht gewogen haben. Für die Sorgfalt der Ermittler spricht ja, dass man beispielsweise akribisch alle Handgranaten gezählt hat, die 2019 in Sachsen sichergestellt wurden. Es waren 96 Stück.

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