Kleiner Kurs in Gier und Verrat

Velten Schäfer zockt gegen die Landlords der Gentrifizierung

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer kennt es nicht, dieses Gefühl, »wenn man die Straße entlanggeht« und merkt, »dass sich etwas verändert hat«? Und wer nimmt dann nicht »hastig sein Handy heraus, um die verfügbaren Immobilien in seiner Umgebung« zu checken? Es ist ja auch ein erhabenes Gefühl: » Ja! Da sind sie! Neue Aktien, und man ist der Erste, der sie bekommt. Man überlegt nicht lange, denn man weiß, dass man sie haben muss!«

Zur »Gentrifizierung« spuckt Google eine halbe Million Treffer aus. Regalmeter an Büchern analysieren jenen Prozess, in dem einst vernachlässigte Stadtteile mit niedrigen Immobilienpreisen erst von Künstlern »entdeckt« und später als »cool« vermarktet werden, sodass irgendwann diese Künstler genauso verdrängt werden wie zuvor die - nicht selten - migrantischen Arbeiterfamilien, die all den Ateliers, Galerien, Bars, Clubs und Lofts jener urbanen Boheme hatten weichen müssen.

Was aber all diese Analysen kaum plastisch greifbar machen, sind die mikrosoziologischen Triebkräfte dieses Prozesses, sind die im Alltag konkreten Emotionen, die diese bestimmen. In diese empirische Lücke stößt nun das Handyspiel »Landlord Go«, indem es laut Werbetext fiktive Spekulation in realen städtischen Quartieren spielerisch erlebbar macht: »Hast du einzigartige Kenntnisse über einen Teil deiner Stadt, den nur wenige andere kennen? Diese lokalen Informationen können zu großen Profiten führen. Wenn in deiner Nachbarschaft ein neues Café eröffnet und du denkst, dass es der nächste Starbucks werden wird, dann mach’ ein Gebot dafür und fang’ an, die Miete von den vor der Tür aufgereihten Menschenmassen einzustreichen.«

Neben der Gier ist es, sofern dieser Klappentext die »Experience« des Spiels korrekt annonciert, also vor allem die Lust am Verrat, die Gentrifizierung antreibt: Je früher man »Coolness« wittert, desto höher der erwartbare Profit. Der heutige Immobilienmarkt, auf dem - nicht nur in Berlin - der kulturelle Ruch eines Viertels die anständige Ausstattung einer Wohnung preislich durchaus aufwiegen kann, ist eine Branche, auf dem ein paar Jahre jugendlich-hedonistischen Herumhängens zu Markte getragen werden können - wenn man denn zum Seitenwechsel bereit ist. Sind Immobilienhaie so smart, wie sie sich geben, müssten sie einen hohen »Score« in einem solchen, auf realen »Big Data« basierenden Spiel, alsbald als Bewerbungsargument werten oder die hier im Spiel trainierten Dispositionen anderweitig verwerten.

Pierre-Joseph Proudhons Satz vom Eigentum als Diebstahl trifft hier nicht nur auf die Realität jener Verdrängungsprozesse zu, die Gegenstand des Spielplots sind. Sondern auch hinsichtlich der Grundidee - erklärtermaßen bei »Pokemon Go« und »Monopoly« geklaut. Nun muss man hier keine Mitleidsgefühle entwickeln, wurde doch das erfolgreichste Brettspiel aller Zeiten von geschäftstüchtigen Verlegern einst seinem ursprünglich aufklärerischen Kontext entwendet. Wozu »Landlord Go« aber herausfordert, sind Praktiken des Gegendiebstahls - wie sich also das, was es trainiert, in Spiel wie Realität durchkreuzen lässt. Denn wer kennt es nicht, das Gefühl, wenn man die Straße entlanggeht, merkt, dass sich etwas verändert hat - und nur noch Gift und Galle speien möchte?

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