Leid in spanischer Exklave
Forderungen nach Evakuierung eines Flüchtlingslagers in Melilla
In Melilla spitzt sich die Lage zu. Etwa 1300 Flüchtlinge befinden sich hier in einem Flüchtlingslager wegen der Corona-Pandemie in Quarantäne. Eigentlich bietet es weniger als 800 Plätze. Unter den hier Eingesperrten wurden vor einer Woche vier Menschen positiv auf das Coronavirus getestet. Die Bewohner beklagen sich, weil sie nicht ausreichend vor Infektionen geschützt werden, und reagieren darauf seit Tagen mit heftigen Protesten, versammeln sich am Zaun.
Die Frauen und Männer, darunter auch ältere Menschen, sowie und rund 150 Kinder leben äußerst beengt, Abstandsregeln lassen sich nicht einhalten. Den 25-jährigen Palästinenser Nayef Abdallah hat es als Kriegsflüchtling aus Syrien hierher verschlagen. Mit ihm in Melilla ist sein erst 15 Jahre alter Bruder Mounir. Am Telefon sagt Nayef aufgeregt: »Wegen Corona haben wir Angst um unser Leben. Wir brauchen Hilfe!«
Bereits seit fast anderthalb Jahren wohnen Nayef und Mounir in dem Flüchtlingslager. In den vergangenen Monaten durften sie es wegen der Corona-Ausgangssperre überhaupt nicht mehr verlassen. In ganz Spanien wurden in dieser Zeit Flüchtlinge und Obdachlose in Heimen und Turnhallen interniert. Nayef beklagt sich, dass man sie noch immer nicht auf das spanische Festland lässt, obwohl es doch einige Transfers gab. Seine restliche Familie ist in den Libanon geflüchtet. »Es ist eine lange Geschichte. Das Wichtigste ist, das wir hier so schnell wie möglich raus wollen.« Die Situation im Lager nennt Nayef »schlimmer als in einem Gefängnis«.
Bis zu 300 Menschen müssen beengt in einem Zelt leben. Sie schlafen in von der spanischen Armee stammenden Stockfeldbetten, berichtet der Palästinenser. »Wir sind hier eingesperrt und es gibt keinerlei Schutzmittel, weder Masken, noch Desinfektionsgel!«
Die Zustände in dem Lager kritisiert auch die spanische Sektion der NGO Amnesty International. Am vergangenen Donnerstag startete sie eine Petition, in der ein unverzüglicher Transfer der Migranten und Asylbewerber aus Melilla nach Festlandspanien und ihre Unterbringung dort unter würdigen Bedingungen gefordert wird. Die Eingabe ist an das Innenministerium in Madrid adressiert. Die Behörden haben bisher nicht mehr getan, als Ende vergangener Woche die Bereitschaftspolizei ins Lager zu schicken. Die Beamten setzten dabei auch Gummigeschosse ein. Bei Auseinandersetzungen mit den Bewohnern gab es mehrere Verletzte und es entstanden erhebliche Sachschäden. 26 Flüchtlinge wurden verhaftet. Bis zum Freitag hatte die Regierung lediglich zugesagt, etwa 500 neu in Melilla angekommene Flüchtlinge, die meisten Minderjährige, die in der Stierkampfarena untergebracht sind, auf das Festland zu bringen.
Amnesty weißt darauf hin, dass rund 250 Menschen aus dem Lager bereits laufende Asylverfahren haben und damit dazu berechtigt sind, auf das Festland zu reisen. Weitere 50 zählten zur Gruppe der LGTB-Personen und seien daher als besonders bedroht anzusehen. Der letzte Flüchtlingstransfer erfolgte im Mai, lediglich 136 Menschen durften damals Melilla verlassen. Aufgrund der geringen Aussichten, die Stadt verlassen zu können, kommt es immer wieder zu verzweifelten Versuchen, auf eigene Faust aufs Festland zu gelangen. Wie am vergangenen Donnerstag, als ein minderjähriger Flüchtling versuchte, schwimmend auf ein Schiff zu gelangen, um dort als blinder Passagier mitzufahren. Der junge Mann kam bei dem Versuch ums Leben.
Angesichts der scharf überwachten Grenze der Exklave zu Marokko, versuchen immer mehr Flüchtlinge, in Booten auf der langen und gefährlichen Route über die Kanaren nach Europa zu gelangen. Allein in den ersten Augustwochen starben dabei mindestens Menschen 127 in den Fluten des Atlantiks.
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