Rennstrecke statt Regenwald

Für den Motorsport soll in Brasilien ein weiteres Biotop weichen

  • Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 3 Min.

Damit ab kommendem Jahr die Formel 1 und ab 2022 der Motorrad-Grand-Prix wieder in Rio de Janeiro und nicht mehr in Sao Paulo ausgetragen werden, wollen der Bürgermeister der Stadt, Marcelo Crivella, Gouverneur Wilson Witzel und Brasiliens Regierungschef Jair Bolsonaro einen der letzten intakten Atlantischen Regenwälder abholzen. Konkret geht es um den 200 Hektar großen Camboatá-Wald im Stadtteil Deodoro, der seit mehr als 100 Jahren militärisches Sperrgebiet ist. Seine 114 Hektar große Kernzone gilt als intakter Regenwald, der Rest als regenerierend.

»Der Wald ist eines der letzten Gebiete Atlantischen Tieflandregenwaldes im Großraum von Rio«, erläutert Haroldo Lima vom Botanischen Institut in Rio, das hier bereits 77 teilweise vom Aussterben bedrohte Baumarten des auch als Mata Atlântica bekannten Atlantischen Regenwaldes katalogisiert hat. Dabei wurden in den vergangenen Jahrzehnten bereits fast alle ebenen Flächen dieses einzigartigen Ökosystems Opfer der Ausbreitung der Metropole am Zuckerhut. Ohne dieses Waldgebiet, das wie ein Schwamm die tropischen Regenfälle aufnimmt, befürchtet Lima zunehmende Überschwemmungen und einen Anstieg der Temperaturen in den benachbarten Stadtteilen.

Der Wald ist zudem Zufluchtsort von Vogel- und Reptilienarten wie der Königsboa. Und wahrscheinlich das letzte städtische Brutgebiet des Breitschnauzen-Kaimans.

Alljährlich wandern im Januar mit den sommerlichen Regenfällen zahlreiche Kaimane in das Gebiet, um hier ihre Hügelnester zu bauen. Die Krokodile kämen über zwei längst zu offenen Abwasserkanälen verkommenen Bächen aus anderen Stadtteilen hierher, berichtet ein Mitglied der lokalen Waldschutzbewegung »Movimento SOS Floresta do Camboatá«. Nur hier könnten sich die Kaimane im zersiedelten Rio de Janeiro ungestört fortpflanzen. Zwei bis drei Monate später wimmele es dann im Camboatá-Wald von frisch geschlüpften Kaimanen.

Umweltschutzgruppen stemmen sich seit Monaten gegen den drohenden Kahlschlag. Auch Brasiliens ehemaliger Umweltminister Carlos Minc ist gegen das Projekt: »Warum eine Rennstrecke in einem Gebiet mit 200 000 Bäumen bauen, wenn es in der Nähe vier Alternativen gibt?«

Betreiber der etwa fünf Kilometer langen Rennstrecke mit einer geplanten Rundenzeit von 1:38 Minuten ist »Rio Motorpark«. Rund 200 Millionen Euro soll das Projekt kosten. Das hierfür gegründete Unternehmen gehört zur in den USA registrierten Holding Rio Motorsports des Brasilianers José Antonio Soares Pereira Júnior, bekannt als JR Pereira. Mit im Boot sind das spanische Bauunternehmen Acciona, die Firma Tilke Engineers & Architects des deutschen Rennstreckenarchitekten Hermann Tilke sowie das in Köln ansässige deutsche Medienunternehmen Sporttotal AG.

Bereits vergangenen Dezember hatte Gouverneur Witzel dem Formel-1-Unternehmen Liberty Media eine Steuerbefreiung von fast 100 Millionen Euro zur Realisierung der ersten beiden Rennen 2021 und 2022 genehmigt. Und das spanische Unternehmen Dorna Sports hatte zugesagt, den Motorrad Grand Prix ab 2022 zumindest bis 2026 einmal jährlich auf der neuen Rennstrecke stattfinden zu lassen. »Die Nachricht, dass wir mit der MotoGP einen ersten Wettbewerb für Rios neue Rennstrecke haben, ist ein großer Fortschritt für unsere Stadt. Der Bau der Deodoro-Rennstrecke ist ein spektakuläres Projekt, das 7000 Arbeitsplätze schafft und Rio wieder zur Führungsrolle bei wichtigen Wettbewerben macht«, frohlockte Bürgermeister Crivella.

Projektkritiker allerdings bezeichnen die Zahl der Arbeitsplätze als reine Fantasie. Außerdem gebe es im Stadtgebiet, das voll von ehemaligen Industrieflächen ist, mehrere alternative Orte für das Motorsportprojekt. Zudem hatte Rio bereits seit 1978 einen Fomel 1 tauglichen Parcours im Stadtteil Jacarepaguá, für den damals schon ein Naturschutzgebiet asphaltiert wurde. Von 1981 bis 2004 fanden dort mehrere Formel-1-Rennen und Motorrad-Weltmeisterschaften statt. 2008 beschloss die Stadtverwaltung den Abriss für den Bau von Sportarenen der Olympiade 2016, die seitdem größtenteils ungenutzt verrotten.

Hinzu kommt: Seit letztem Jahr stehen das Unternehmen »Rio Motorpark« und sein Chef unter Korruptionsverdacht. »Wir sind mit einem der größten Fälle von Korruption bei öffentlichen Ausschreibungen in Rio de Janeiro konfrontiert«, zitiert die brasilianische Formel-1-Fanseite Manoel Peixinho, Professor für Verwaltungsrecht an der katholische Universität von Rio.

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