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4,8 Prozent mehr statt nur Applaus
Die Zeichen der Tarifrunde im öffentlichen Dienst stehen auf Konfrontation
»Die Kolleginnen und Kollegen haben auf jeden Fall mehr verdient als den von den Kommunen angebotenen Inflationsausgleich«, sagte der Vorsitzende des Beamtenbunds dbb, Ulrich Silberbach am Dienstag in Berlin. Nachdem die Bundestarifkommissionen von Verdi und der Beamtenbund dbb unter Beteiligung der Gewerkschaften GEW, GdP und IG BAU am 18. Juli die Entgelttabellen des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) gekündigt haben, läuft zum Ende August die Friedenspflicht aus. Damit werden Streiks möglich.
4,8 Prozent mehr Lohn beziehungsweise einen Mindestbetrag von 150 Euro monatlich fordert Verdi für die Beschäftigten. Auch sollen Praktikanten und Auszubildende 100 Euro im Monat mehr bekommen sowie die Arbeitszeit zwischen Ost und West angeglichen werden. Darüber hinaus soll das Thema der Entlastung der Beschäftigten in den Tarifverhandlungen behandelt werden, wie Verdi am Dienstag mitteilte. »Die Corona-Pandemie zeigt: Der öffentliche Dienst und seine Beschäftigten halten das Land zusammen. Das muss auch im Tarifergebnis deutlich werden«, sagte Verdi-Vorsitzender Frank Werneke. Und: »Wir als Verdi fürchten keinen tarifpolitischen Konflikt.«
Sondierungsgespräche zwischen Gewerkschaften und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) im Juni waren ergebnislos verlaufen. Die Gewerkschaften hatten vorgeschlagen, die Tarifrunde um sechs Monate zu verschieben, im Gegenzug aber eine Einmalzahlung verlangt. Öffentlich wurde keine Zahl genannt. VKA-Hauptgeschäftsführer Niklas Benrath nannte die Vorstellungen der Gewerkschaften »mehr als überzogen und angesichts der dramatischen Haushaltslage in den Kommunen unvorstellbar hoch.«
Unbestreitbar hat sich die Finanzlage der Kommunen in Folge der Corona-Pandemie zugespitzt. Allein die Ausfälle bei der Gewerbesteuer werden auf rund zwölf Milliarden Euro geschätzt. Dazu kommen weitere Einbußen. Erlöse im Nahverkehr, Schwimmbädern und anderen kommunalen Einrichtungen sind stark eingebrochen, während die Fixkosten weiterlaufen. Obwohl der Bund einen Teil dieser Verluste im Rahmen des Corona-Konjunkturpakets kompensiert, stehen bei den Kommunen die Zeichen auf Austerität. Außerdem, argumentieren die Arbeitgeber, wäre eine Einmalzahlung für alle Beschäftigten ungerecht: Die Gewerkschaften müssten anerkennen, »dass die Belastungen der Beschäftigten durch die Coronakrise sehr unterschiedlich waren und sind«, so Benrath. »Es gibt immer noch Beschäftigte, die bei vollen Bezügen keinerlei Arbeitsleistung zu erbringen haben, andere sind in Kurzarbeit und erhalten wegen unseres Tarifvertrages 95 Prozent ihres Nettoentgelts.«
Für Verdi ist das eine klare Kampfansage. »Die kommunalen Arbeitgeber streben offensichtlich eine konfliktorientierte Tarifrunde im Herbst an. Applaus war gestern - jetzt scheint Undankbarkeit angesagt zu sein«, kommentierte der Verdi-Bundesvorsitzende Frank Werneke das Scheitern der Gespräche. »Damit wissen wir, woran wir miteinander sind.«
Die Forderungen hat Verdi online in der Mitgliedschaft diskutiert. »Unser Ziel ist eine Gehaltserhöhung, und zwar eine, in der auch die herausragende Leistung und die wichtige Rolle der öffentlichen Beschäftigten in der Covid-19-Pandemie ablesbar ist«, hatte Werneke angekündigt. Es könne »wirklich nicht sein, dass gestern noch den Beschäftigten - zurecht - applaudiert wurde und sich auch die Arbeitgeber in diesem Ruhm gesonnt haben und heute die gleichen Arbeitgeber von ihren Beschäftigten Dankbarkeit dafür einfordern, dass sie überhaupt arbeiten gehen dürfen. Das ist dreist.«
Stärker als in früheren Tarifrunden will Verdi diesmal auf die Beteiligung ehrenamtlicher Aktiver setzen. Alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst sind aufgerufen, sich einzubringen. So wirbt die Gewerkschaft seit ein paar Wochen um »Tarifbotschafter*innen«, die in ihren Betrieben die Kommunikation zwischen Verhandlungskommission und Basis unterstützen sollen. So sollen »immer direkt nach den Verhandlungsterminen oder wenn es aufgrund aktueller Entwicklungen notwendig sein sollte« Videobriefings mit der Verdi-Spitze um Frank Werneke und Christine Behle stattfinden.
Vom Tarifvertrag mit Bund und Kommunen sind insgesamt etwa 2,5 Millionen Beschäftigte betroffen: Rund 2,3 Millionen Arbeitnehmer, Azubis und Praktikanten des Bundes und der Kommunen sowie weiterer Bereiche, für die der Vertrag direkte Auswirkungen hat. Dazu kommen rund 225 000 Bundesbeamte und Anwärter, auf die der Tarifabschluss übertragen werden soll. Ausgeklammert sind die 187 600 Kommunalbeamten, die nach den jeweiligen Landesgesetzen besoldet werden. Nicht betroffen sind auch die 2,4 Millionen Beschäftigten der Länder, deren Entgelttarifvertrag Ende September 2021 ausläuft.
Zeitgleich zur Tarifrunde für die öffentlich Bediensteten beim Bund und bei den Kommunen steckt Verdi in einer weiteren großen Auseinandersetzung. Dabei geht es um den öffentlichen Personennahverkehr, für den ein bundesweiter Manteltarifvertrag verhandelt werden soll. Novum: Verdi rückt dabei das Thema sozial-ökologische Verkehrswende in den Fokus und ist dazu ein Bündnis mit der Bewegung »Fridays for Future« eingegangen. Öffentlicher Dienst und öffentlicher Personennahverkehr - beides wird unabhängig voneinander verhandelt. Aber möglicherweise findet die eine oder andere Aktion gemeinsam statt.
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