Dem Kaiser eine grüne Krone!
Philip Krömer stellt der Historienschreibung ein bocksfüßiges Bein
Die Kursänderung, welche Kolumbus bis an die Küste Amerikas führen sollte, nahm er im Opiumrausch, mit dem er seiner Seekrankheit beikommen wollte, völlig wahllos vor.
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Entfesselte Komik, mutige Rollenwechsel und fabulierfreudige Tableaus eines kunstvollen Was-wäre-wenn: Philip Krömer erzählt von historischen Persönlichkeiten wie Friedrich II, Napoleon, Edgar Allan Poe oder frühen Flugpionieren. Aber in diesen lustvoll ausschweifenden Erzählungen geht es nicht um die Wahrheit, sondern um die Frage: Was wäre wenn … Kaiserin Sissi und Ludwig II. ihre Positionen tauschten, ohne dass jemand es merkte? Was wäre geschehen, wenn dem wackeren Feldherren Napoleon inmitten seiner größten Schlacht ein zartes Blümchen auf der Stirn gewachsen wäre? Nichts spielt sich nichts so ab, wie wir es kennen. Glaubt man diesen zwischen heiterer Umdeutung, literarischer Ausschweifung und entfesseltem Gedankenspiel wechselnden Erzählungen, dann war alles ganz anders: Wilder, bunter, subversiver…
Philip Krömer, geboren 1988 in Amberg, studierte Germanistik in Erlangen, ist Herausgeber der Literaturzeitschrift Seitenstechen und veröffentliche Beiträge in Zeitungen und Zeitschriften. Beim 23. open mike 2015 wurde er mit dem Preis der taz-Publikumsjury ausgezeichnet. Er lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen in Erlangen.
Für die Band schuf der Zeichner und Illustrator Florian L. Arnold mit Tuschfeder und -pinsel sowie verschiedenen Drucktechniken mehrschichtige Bildwelten. Sie begleiten den Text, erweitern ihn und spinnen die vom Autor ausgelegten Ideen auf eigenwillige Weise weiter.
Zutiefst enttäuscht, dass sein Ziehsohn nicht Manns genug war, sich der Verantwortung zu stellen und seinen Teil zum Mordkomplott beizutragen, befahl Cäsar, die Klingen der übrigen Verschwörer bereits im Leib: »Auch du, Brutus!«
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Arges Unrecht widerfährt Marie Antoinette, unterschlägt man, dass sie nach dem Ausspruch »Dann sollen sie Kuchen essen« in der Tat ihre Vorratskammern öffnen und alles Zuckerwerk an das hungernde Volk austeilen ließ.
VOM SÄEN UND VOM ERNTEN
Napoleon Bonaparte
französischer Heerführer und Kaiser
1769 - 1821
The history book on the shelf /
is always repeating itself.
ABBA: WATERLOO
I
Er erschien nicht direkt bocksfüßig in der Szene, aber eine gewisse Tierlichkeit war an ihm nicht zu übersehen. Wie er durchs Gras stakste und über die Beete setzte: ein Stück Wild auf der Suche nach dem saftigen Fleck zwischen den Baumstämmen. Die beiden Soldaten beäugten ihn misstrauisch, murmelten, rückten ihre Mützen zurecht und legten die Hände an die Säbel.
»Heda! Gärtner! Wohin?«
Doch der Kerl sah sie bloß aus großen braunen Augen an und schwenkte eine Gießkanne.
»Heda! Sei bloß still, der Kaiser schläft!«
Da meckerte er ein Jahaha und ließ die Flöte stecken, auf der er sonst in den schattigen Laubengängen des Palastgartens seine fremdländischen Lieder blies.
II
Ein Unwissender musste ihn auf den ersten Blick für einen der Wachsoldaten halten, der sich von seinem Platz geschlichen hatte, um ein heimliches Nickerchen zu machen: Napoleon lehnte mit geschlossenen Augen an einem Baumstamm und schlief. Seine Brust hob sich, senkte sich, hob sich, die Pupillen wanderten unter den Lidern über hügelige Frauenleiber. In einen schlichten Gehrock gekleidet, ohne das übliche Metall und die Bänder, hatte er sich nach dem Dessert vom Tisch fortgestohlen, wo man weiter die Weltpolitik diskutierte. Der Thron des Zaren derzeit besonders wackelig und angreifbar. Hornochsen! Sich an einem Tag wie diesem - einem sommerlichen, bienendurchbrummten - mit den Geschicken der Menschheit zu beschäftigen! Und schlief also im Schatten einer Eiche, unter die nun auch erwähnter Gärtner (bocksfüßig) trat.
»Hehe, meckmeckmeck.«
Der hatte Schabernack im Sinn und plötzlich zwischen den Fingerspitzen einen einzelnen Samen, welchen er aus seinem Säcklein gefischt hatte. Er trippelte gebückt an den Schlafenden heran, reckte noch einmal Hals und Oberkörper und spähte nach Zeugen (keine da), lüpfte mit der freien Hand den berühmten Zweispitz und versenkte den Samen in einer Falte der kaiserlichen Stirn, just als sich diese, ausgelöst von schweren Verdauungsschüben in Napoleons Unterleib, kräuselte. Wie sich die Haut wieder glättete, war der Samen verschwunden. Der Kaiser bemerkte nichts davon, doch Gärtner Pan (!), der seinen Streich ausgeführt hatte, brach ohne Rücksicht auf den dabei entstehenden Lärm durchs Unterholz fort - woraufhin der Kaiser auffuhr und die Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett anrennen sah. Das mag der Moment gewesen sein, in dem er sich dachte: Die Welt ist doch viel zu klein, dass es nicht möglich sein sollte, sie in eine (meine) Hand zu bringen. Und ein Alexander der Große war so groß nun auch wieder nicht, wenn er das nicht schaffte.
III
Später sah man sie dann: den Kaiser zwischen Rabatten wandelnd, sich gedankenverloren die Stirn reibend, den Gärtner mit blecherner Kanne diese (die Rabatten, nicht die Stirn!) wässernd. Die Soldaten misstrauischer äugend denn je zuvor.
Was ging da vor? Wo führte das hin?
Ja was, ja wo?
»Meckmeck.«
IV
Zuerst bemerkte es seine geliebte Joséphine. Man räkelte sich zwischen Laken von feinster Seide, griff sich beherzt an und zwischen die Beine, strich über Bauch und Brust und Brüste, über Hals und Gesicht bis hoch zur -
»Liebster, dort …«
»Ja?«
»Dort …«
»Ja, wo denn, was denn?«
Sie konnte es ihm nicht sagen. War dieser Keim, dieses winzige sprießende Pflänzchen eine neue Marotte seiner Hoheit, so würde er wütend über ihre Bemerkung. Der Kaiser tut, was ihm beliebt, und selbst eine Joséphine hat es als gottgegeben hinzunehmen. War es keine, so war es ein Trugbild − denn wie sollte man den Bewuchs der eigenen Stirn nicht bemerken? Ihr Geist war ergo krank und sie die längste Zeit Kaiserin gewesen. Die Trepanation war damals ein gängiges Mittel gegen geistige Verstimmungen jeder Art. Dass sich nachher einer über die Behandlungsmethoden beschwert hätte, ist nie vorgekommen.
V
Der Diener, der dem Kaiser beim Umkleiden den Hut reichte, blickte nur blöde auf den kurzen Stängel und die kleine Knospe, die aus der kaiserlichen Stirn ragten.
»Was schaut er so!«, schrie der Kaiser ungeduldig. »Rücke er den Hut heraus!«
Und drückte sich die Kopfbedeckung aufs Hirn, bevor er anschließend vor dem Spiegel des Barbiers Platz nahm, um sich das Gesicht glattschaben zu lassen. Und wieder nichts merkte, jeden Tag die gleiche Prozedur.
Musste einmal das Haupthaar gestutzt werden, besorgte man das im Arbeitszimmer, während Napoleon sich bereits von den jüngsten Entwicklungen im Reich unterrichten ließ …
VI
Wir sehen Napoleon von merkwürdigen Anwandlungen befallen. Ist er in der Kutsche unterwegs und es beginnt zu regnen, so nimmt er den Hut ab und reckt den Kopf aus dem Fenster.
»Liebster, was tut Ihr?«, fragt die mitreisende Kaiserin.
»Ich … ich weiß nicht. Es fühlt sich so … belebend an.«
Er weiß nicht - sie schon. Doch ihre Lippen sind Siegelwachs und sie erbricht sie nur zum Kuss.
Nachts umschleichen ihn Traumgesichte, aus denen er mit einem erdigen Geschmack im Mund erwacht. Wo er ins Grüne kommt, beginnt er Pflanzen zu liebkosen. Lass das Köpfchen nicht hängen, heute noch Dürre, morgen schon ein Regentag! Wunderlich wird der Mann. Das fällt auch dem Hofstaat auf, der umgehend nach Fachmännern schickt.
Wir sehen einen Geistlichen erfolglos abziehen, für eine Austreibung war es dann doch nicht wunderlich genug. Da der Kaiser dem Kirchenmann, wie angemessen, barhäuptig gegenübertrat, wusste dieser, schwieg aber. Napoleon selbst blieb unwissend. Ein Professor der Medizin steht ratlos vor der Kaiserstirn und will kein Botaniker sein, zitiert Aufsätze und Abhandlungen über die Nerven und befindet, dass ein Aderlass und fleischlastigere Kost ausreichen sollten. Reine Kopfsache also - dem Kaiser genügt die Erklärung. Wir sehen einen Gärtner lustig blinzeln - aber es ist ein anderer, und der hier hat nur eine Fliege ins Auge gekriegt. Wir sehen hin und schütteln den Kopf über so viel höfliches Schweigen.
Hat denn niemand den Mut, den Mund aufzumachen?
- -
Nein, niemand.
VII
So kommt es, dass bald alle wissen. Nur Napoleon nicht. Für mußevolle Betrachtungen des eigenen Spiegelbildes hat ein Kaiser keine Zeit.
VIII
Ein Porträtmaler retuschiert ängstlich, weil er im Schaffensrausch einen Strich zu viel setzte. Ein anderer Künstler hat ein Reiterstandbild des Kaisers in Bronze zu gießen und gießt auf Anraten eines Wohlmeinenden noch einen Zweispitz dazu, den er aus dramaturgischen Gründen eigentlich weglassen wollte - dabei hat die mittlerweile in voller Blüte stehende Pflanze selbst eine helmartige Form und sitzt damit auf einem menschlichen Schädel gar nicht so unpassend.
IX
Wir sehen … Rauchschwaden, sonst nichts. Und hören dazu das Donnern der Kanonenschüsse wie den unrhythmischen Herzschlag eines todkranken Riesen. Was geht da vor? Es schnaubt der Riese seine letzten Atemzüge und der Pulverdampf verzieht sich: Auf der ganzen Ebene, von Horizont zu Horizont wogt die Schlacht. Vormals dichte Schützenreihen lichten sich wie die Gebisse von Greisen. Die Erde färbt sich rot allerorten. Männer klammern sich an ihre Waffen, noch während sie sich am Boden wälzen und von den Kameraden zurückgelassen werden, weil die wissen: Freundschaft ist verschenkte Liebesmüh, wenn man so viel vom Innersten sieht.
Hügelauf, wohin selbst das verirrteste Blei nie fliegt und wo man den klarsten Überblick gewinnt, steht der Kaiser inmitten seiner Generalität und schaut sich das Getümmel an. Seine Rechte macht eine schiebende Geste und setzt eine Kettenreaktion in Gang: Ein Schreiber notiert den Befehl, zwei berittene Boten (falls mal einer ins Feuer galoppiert) sprengen los und überbringen den Zugführern die Befehle, welche sie umgehend ausrufen: »Rechter Flügel marschiert aufs Zentrum der Schlacht hin.«
Er spielt die Menschenmassen wie der Marionettenspieler seine Puppen, er ist ein Demiurg der Schlachten und Herr über Tod und Leben.
»Wir gewinnen«, raunt man um ihn her und man raunt es zu Recht: Sie gewinnen. Der rechte Flügel übt über die Flanke kommend Druck aus, woraufhin nun der linke hätte zurückweichen und die Kanonen hätten neu ausgerichtet werden müssen, um die gesamte Streitmacht des Gegners wegzuputzen wie ein Gärtner das Unkraut.
Wir gewönnen. Sie hätten wohl gewonnen, wenn nicht …
Wenn nicht ein Bote unvermittelt aus den Rauchschwaden am Fuße des Hangs getreten, hügelan geeilt und nach einer gründlichen Leibesvisitation vor den Kaiser getreten wäre. Eine dringende Frage bedürfe der Klärung. Nach Luft schnappend sammelt er sich, um dann so leise, dass nur der Kaiser selbst die Frage verstehen kann, zu sagen:
»Mein Kaiser, Euer Zweispitz sitzt schief, und die Männer, anstatt dem Feind an den Kragen zu gehen, wenden die eigenen Hälse und wundern sich: Was mag da aus Eurer Stirn wachsen?«
Was wächst, was mag wachsen?
Der Kaiser ist perplex, langt sich ans Hirn und tatsächlich - in der Aufregung ist ihm unbemerkt die Kopfbedeckung verrutscht, und dort, auf seiner sonst spiegelglatten Stirn - - blüht eine Blume.
…
…
»Was, wie?«, des Kaisers Stimme ist ein Quieken, sein vormals fester Blick mit einem Schlag unstet. Er wendet sich an den nächststehenden General, der ungeduldig auf die nächsten Befehle wartet: »Wie, was? Wo ist der Kerl hin, mit dem ich eben sprach?«
»Der Bote mit dem steifen Gang? Meckmeckmeckernd zurück in die Schlacht. Was hat er wollen? Einerlei: Wir gewinnen (gewönnen (hätten gewonnen))! Mein Kaiser, was sind Eure Befehle? Linke Flanke zurückweichen? Kanonen neu ausrichten? Ja?«
»Wie, was? Wer hat hier das Sagen, du oder ich? Sprich, meine Stirn, ist sie … glatt?«
»Mein Kaiser! Die Männer laufen direkt ins Feuer! Soll die linke Flanke …«
»… oder ist sie … bewachsen?«
X
Den mysteriösen Boten fand man weder unter den Toten noch unter den Überlebenden. Niemand blies eine Flöte während des unrühmlichen Rückzugs. Der linke Flügel war vollständig aufgerieben worden, die Kanonen feuerten in den Vormarsch des rechten - ein Desaster. Eine Niederlage wie ein Geschenk an die Geschichtsschreiber.
XI
Der Kaiser? Bezog seine Villa auf St. Helena, wo er vor dem mannshohen Spiegel zu stehen pflegte und beobachtete, wie die Blume, die aus seiner Stirn spross, ihren Kopf nach dem Stand der Sonne drehte. Einige meinen, das Arsen in den Tapeten habe ihn getötet. Andere meinen, er sei mit Eisenhut vergiftet worden.
Vor Waterloo gewinnt immer ein anderer.
Philip Krömer:
Ein Vogel ist er nicht. Neun Umschreibungen
Illustriert und gestaltet von Florian L. Arnold
Topalian & Milani Verlag
224 Seiten, geb., 24,00 €
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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