Glitzer, Gates und Neonazis

35000 Hippies, Verschwörungstheoretiker, und Neonazis trafen sich zur »Coronademo« von »Querdenken 711« in Berlin

  • Mascha Malburg und Jordi Ziour
  • Lesedauer: 6 Min.

Am Samstag demonstrierten in Berlin über 35 000 Menschen gegen die Corona-Beschränkungen der Bundesregierung. Das Bündnis »Querdenken 711« und zahlreiche Größen der rechtsextremen Szene hatten zu mehreren Demonstrationen aufgerufen.

Ein Demonstrationszug mit 18 000 Teilnehmenden wurde um 13 Uhr an der Friedrichstraße/Torstraße von der Polizei aufgehalten, weil die Protestierenden keine Abstände einhielten und sich verweigerten, stattdessen Masken aufzusetzen. Am frühen Nachmittag versammelten sich dann Zehntausende zur Großkundgebung an der Siegessäule. Während des Tages kam es an mehreren Stellen im gesamten Innenstadtgebiet zu Zusammenstößen mit der Polizei, unter anderem an der russischen Botschaft. Am frühen Abend warfen rechtsextreme Protestierende Flaschen und Steine auf Beamte, mindestens 200 Personen wurden festgenommen. Wie Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) auf einer Pressekonferenz sagte, waren rund 3000 Polizist*innen im Einsatz.

Auf dem Bebelplatz galt Abstand gegen Rechts

Noch bevor die Teilnehmenden der »Querdenken«-Demo die Berliner Innenstadt fluteten, versammelten sich die Gegendemonstranten: Pünktlich um Neun bauten Aktivist*innen einen kleinen Stand mit Plakaten und bunten Ansteckern auf dem Bebelplatz auf. In den vergangenen Tagen hatte ein bundesweites Bündnis antifaschistischer Verbände, darunter die »VVN-Bda«, »Omas gegen Rechts«, diverse Parteien und Gewerkschaften zu der Gegenkundgebung unter dem Motto »Abstand halten gegen Rechts« aufgerufen. Ziel sei es, nicht zuzulassen, dass »Nazis unwidersprochen durch das Zentrum Berlins marschieren«, hieß es darin.

Es sei unerträglich, dass die Querdenken-Demo Faschisten in ihren Reihen duldet, sagte Irmgard Wurdack vom Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus«, gegenüber »nd«. Dadurch würden Faschisten verharmlost, ihnen eine Bühne, ein Resonanzboden und ein ungeahnt großes Publikum geboten. Sie wies darauf hin, dass auch der rechtsextreme AfD-Politiker Björn Höcke und der Sprecher der Identitären Bewegung in Österreich zu der Querdenken-Demo aufgerufen hätten. Auch Hanna Reichhardt, stellvertretende Bundesvorsitzende der Jusos, betonte, dass die Mobilisierung zur »Querdenken«-Demo maßgeblich aus rechten Organisationen stattgefunden habe. Leute, die den Aufrufen von offen Rechtsextremen wie der Partei des »III. Weg« blind folgten, seien »genauso gefährlich, wie die Nazis selbst«, da sie ihre menschenfeindlichen Ideologien unterstützten.

Zubringerdemo hält keine Auflagen ein – und wird aufgelöst

Ab 11 Uhr versammelten sich dann bis zu 18.000 Menschen auf der Friedrichstraße. Ihr ursprünglicher Plan, eine Runde durch Berlins Innenstadt zu ziehen, um sich dann der Hauptkundgebung von »Querdenken« an der Siegessäule anzuschließen, scheiterte frühzeitig. Die Polizei stoppte den Demonstrationszug gegen Mittag an der Torstraße, da keine Abstände eingehalten wurden und auch ihr Vorschlag, stattdessen Masken aufzusetzen, flächendeckend ignoriert wurde. Stattdessen skandierten die Demonstranten »Diktatur« und »Widerstand«. Einige riefen die Polizisten auf, sich ihnen anzuschließen, andere meinten, unter den Uniformen seien sowieso nur »ferngesteuerte Roboter«. Die Polizei löste diesen Teil der Demonstration ab 13 Uhr auf, was mehrere Stunden andauerte.

An der Siegessäule sprechen die Verschwörungstheoretiker

Am Nachmittag strömten dann Zehntausende in Richtung Siegessäule, um an der Großkundgebung von »Querdenken 711« teilzunehmen. Auch hier zeigte sich wieder ein Mix an Hippies, Verschwörungstheoretikern und Corona-Leugnern, wobei eine zunehmende Zahl an offen erkennbaren Reichsbürgern und Neonazis im Strom mitlief. Unter den Linden kam es zu einem kurzen Aufeinandertreffen mit spontan versammelten Antifaschist*innen. Nach Tagesspiegel-Informationen wurde dabei einem Antifaschisten von einem Anhänger der rechten Hooligan-Szene ins Gesicht geschlagen.

Berlins Innensenator Geisel schätzt, dass sich etwa 35 000 Demonstrierende zum Beginn des Bühnenprogramms von »Querdenken711« auf den Straßen, Wiesen und Treppen rund um den großen Stern einfanden. Auch hier forderte die Polizei und der Veranstalter die Teilnehmenden unter Buhrufen wiederholt auf, die Abstände einzuhalten. Ordner mit gelben Westen begrenzten den Zufluss, – was eher weniger als mehr gelang.

Pünktlich um 15:30 Uhr eröffnete der Initiatior Michael Ballweg die Kundgebung mit dem Verlesen einiger Grundgesetze und dem Verweis auf den Artikel 146, der garantiere, dass das deutsche Volk sich eine neue Verfassung geben könne. Daraufhin erklärte er die Kundgebung zu einer »verfassungsgebende Versammlung«. Er forderte, alle zum Schutz vor dem Virus erlassenen Gesetze unverzüglich aufzuheben. Auch müsse die Bundesregierung geschlossen zurücktreten. Für diese Worte gab es minutenlangen Beifall. Die Zuschauer skandierten »Merkel muss weg« und »Wir sind das Volk«. Anschließend warnte er vor fremden »Aggressoren«, die die Polizei attackierten, um den Protest zu behindern, und behauptete, dass es unter den »Querdenkern« keine Rechtsextremen gäbe. Kurz danach sagte er allerdings, die »Querdenken«-Bewegung kenne weder Links noch Rechts.

Als Star-Redner präsentierte Ballweg den Neffen des ehemaligen US-Präsidenten von John F. Kennedy, Robert Francis Kennedy Junior. »Bill Gates hat seit Jahren diese Pandemie geplant«, sagte dieser. Bill Gates, Milliardär und Gründer von Microsoft, dient den Verschwörungsideologen schon lange als Projektionsplattform für ihre diffusen und antisemitischen Vorstellungen. Die Basis: Seine Stiftung, die Bill & Melinda Gates Foundation, ist einer der größten Geldgeber der Weltgesundheitsorganisation. Zudem setzt Gates sich öffentlichkeitswirksam für eine rasche Entwicklung eines Impfstoffs gegen Covid-19 ein. Kennedy Jr. behauptete weiter, der einzige Weg, Menschen zu versklaven, sei Ihnen Angst zu machen. Die deutsche Regierung habe die Pandemie genutzt, um »uns« das neue Mobilfunknetz 5G unterzuschieben. »Damit werden sie uns kontrollieren!«, brüllte er den jubelnden Massen zu.

Diese waren sich allerdings nicht immer so einig. So wurde ein Redner, der sich als Grünen-Politiker zu erkennen gab, ausgebuht. Auch sorgte ein Sprecher, der sich selbst als Marxist bezeichnete, für Raunen und Verwirrung im Publikum. Immer wieder kam es zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen den Zuschauern, so zum Beispiel in der Frage, ob man die Abstandsregeln einhalten solle, die von der Bühne aus durchgesagt wurden, damit die Kundgebung nicht aufgelöst werde.

Rechtsextreme versuchen, den Reichstag zu stürmen und greifen Polizisten an

Eine eindeutig rechtsextreme Demo fand zum gleichen Zeitpunkt mit etwa 300 Teilnehmern vor dem Reichstag statt. Die Redner sprachen von »Rassen«, »Schafen und Wölfen« und beschimpften Politiker als »Kindermörder« - bedienten sich also einer klaren Neonazi-Rhetorik. Auch äußerte sich ein Bühnenredner offen antisemitisch, indem er von der »Elite«, die auch die Redner der »Querdenken«-Demo als Schuldige benannten, als das »beherrschende Volk der Juden« sprach. Später versuchten Hunderte, den Reichstag »zu stürmen«. Die Polizei griff ein und löste die Demo auf. Es kam zu Festnahmen.

Gegen 18 Uhr kam es ebenfalls zu einer Gewalteskalation vor der russischen Botschaft. Innensenator Geisel sprach von etwa 3000 Rechtsextremisten und Reichsbürgern, die Steine und Flaschen auf Polizisten warfen. Etwa 200 Demonstranten wurden festgenommen, darunter auch der Vegan-Koch Attila Hildmann, der immer wieder durch Antisemitismus und Volksverhetzung auffällt.

Den ganzen Tag über beobachteten unsere Reporter*innen, die sich auch unter die Demonstrierenden mischten, bizarre Szenen. So versuchten zum Beispiel die Verteiler des rechtsextremen »Compact-Magazin«, Demonstranten von dem Mythos des »Aussterbens der Jahrtausende alten deutschen Kultur« zu überzeugen, während diese ihnen die Schönheit der Meditation nahe zu legen versuchten. Auch trafen sie mehrere Menschen auf der »Querdenker«-Demo, die antifaschistische Symbole trugen. Darauf angesprochen sagten diese, sie seien hier, damit die Linke die freiheitsliebenden Menschen der Mitte nicht verliere. Die antifaschistische Gegenpositionierung halten sie für falsch. Sie seien allerdings angepöbelt worden.

Für uns als Team war es schwer, mit Mund-Nase-Schutz zu berichten. Selbst ohne Maske wurden wir beim Filmen und Fotografieren mehrfach angeschrien, für wen wir denn berichteten. Ein Demonstrant beschimpfte unsere Reporterin als »Lügenpresse«.

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