Angriff der Demokratiefeinde

Auseinandersetzungen um die Corona-Demonstrationen bestimmten Berlins Innenausschuss

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Regierungsviertel von Berlin, Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, am Samstagabend: Unter Jubelrufen stürmt eine große Gruppe von Menschen an überrumpelten Polizisten vorbei die Treppen zum Eingangsportal des Reichtagsgebäudes hinauf und schwenkt triumphierend schwarz-weiß-rote Fahnen, Symbol des 1918 untergegangenen Kaiserreiches. Es waren jene Szenen, die sich am Sitz des Deutschen Bundestages abgespielt hatten, die wohl doch alle Mitglieder des Innenausschusses erschüttert haben. Keine der dort am Montagmorgen im Abgeordnetenhaus versammelten Abgeordneten kam umhin, seinem Entsetzen, ja seiner Scham angesichts dieser Schmach für die Demokratie Ausdruck zu verleihen und zugleich den Einsatzkräften der Polizei zu danken, die Schlimmeres verhindert und die Lage sehr schnell wieder unter Kontrolle bekamen.

Dass da bei der Absicherung des Parlamentssitzes etwas sehr schief gelaufen ist, stellte keiner der Verantwortlichen ernsthaft infrage, zumal die gewaltbereite Rechte und die Reichsbürgerszene seit langer Zeit über einen fälligen «Sturm» auf Berlin und den Reichstag schwadroniert haben. Auf den Punkt aber brachte es Ausschussmitglied Niklas Schrader von der Linken. Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion rief den Abgeordneten noch einmal das Bild der drei einsamen Polizeibeamten vor Augen, die sich mutig dem Ansturm der durchgebrochenen Demonstranten entgegenstellten. «Da stelle ich mir natürlich schon die Frage, ob die Ankündigung ›Sturm auf Berlin‹ tatsächlich ernst genommen wurde.»

Innensenator Andreas Geisel (SPD), der mitsamt der Berliner Polizeiführung vor den Ausschuss geladen war, wirkte emotional berührt, als er erklärte: «Das sind beschämende Bilder.» Die Macht derartiger Szenen sei beträchtlich. Er bedauere zutiefst, dass solche Bilder entstehen konnten. Es müsse aufgearbeitet werden, wie es dazu kommen konnte, damit so etwas künftig nicht wieder passiert. Zugleich stellte er aber auch klar, dass die Situation zu keiner Zeit außer Kontrolle gewesen sei. «Klar ist, dass der Deutsche Bundestag durch die Polizei Berlin geschützt wurde und zu keiner Zeit ungeschützt war», so der Innensenator.
Wie Geisel informierte, habe der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Sonntag mit Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) telefoniert. Man sei sich darin einig, dass es jetzt einer entsprechenden Abstimmung zwischen der Berliner Polizei und der Bundestagspolizei bedürfe, «damit das in Zukunft ausgeschlossen bleibt».

Harsche Kritik musste sich der Innensenator erwartungsgemäß vor allem vonseiten der oppositionellen CDU, FDP und AfD anhören. CDU-Fraktionschef Burkard Dregger warf Geisel Dilettantismus und Versagen vor, und sein Parteifreund Kurt Wansner behauptete gar, dass der Senator eine «Belastung für die innere Sicherheit und die Polizei Berlins» sei. Sie arbeiteten sich vor allem an dem gerichtlich abgewiesenen Demonstrationsverbot ab. Geisel verteidigte indessen die durch die Versammlungsbehörde Berlin ausgesprochenen Verbote. Sie seien aus seiner Sicht angesichts der bisherigen Erfahrungen mit bewusst nicht eingehaltenen gesetzlichen Hygiene-Regeln durch die Teilnehmer gerechtfertigt gewesen. Das hätten auch die Ereignisse vom Wochenende im Nachhinein bestätigt. «Dass die Gerichte das anders bewertet haben, haben wir zu akzeptieren», sagte er. Im Nachhinein sehe er auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot eines geplanten

«Querdenker»-Protestcamps im Großen Tiergarten eine Bestätigung seiner Haltung. Seine Absicht, gewaltbereite Demokratiefeinde rechtzeitig in die Schranken zu verweisen, fand die Unterstützung der Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und Linken.

Neben Niklas Schrader verwies auch Benedikt Lux (Grüne) auf die Notwendigkeit, angesichts der sehr heterogen zusammengesetzten Demonstrationsteilnehmer das Regierungshandeln in der Corona-Pandemie deutlich besser zu kommunizieren und um Verständnis zu werben. Dass es bei allem Differieren auf die Einsicht der Demonstranten ankomme, betonte Frank Zimmermann (SPD). «Es reicht nicht, kein Rechtsextremist zu sein, man muss auch darauf achten, wem man hinterherläuft», sagte er.

Der Senator verwies darauf, dass die Teilnehmer an den Anti-Corona-Demonstrationen vom Wochenende einem sehr heterogenen Spektrum zuzuordnen seien. Es habe sich aber gezeigt, dass gerade Menschen aus der sogenannten Querdenkerszene, Reichsbürger und eben auch Rechtsextremisten ein «sehr problematisches Verhältnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung» repräsentieren. Am Wochenende habe sich letztlich gezeigt: «Das ist eine Demonstration gegen die Demokratie, gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung.»

Auch Polizeipräsidentin Barbara Slowik bedauerte die Panne beim Polizeieinsatz vor dem Reichstag. Sie machte allerdings darauf aufmerksam, dass es von der Bühne vor dem Parlamentsgebäude aus unmittelbar zuvor durch eine bisher noch nicht identifizierte Sprecherin einen Aufruf zum «Sturm auf den Reichstag» gegeben habe. So sei es einer Gruppe von 300 bis 400 Menschen – zumeist Reichsbürger aber auch «Patrioten» und Leute, die sich als «Bürgerwehr» bezeichnen – gelungen, die Absperrungen «sehr kurzfristig zu überwinden und die Treppe hochzulaufen. Die Beamten hätten allerdings innerhalb weniger Minuten reagiert und die Lage unter Kontrolle gebracht. »Wir werden künftig noch deutlicher, noch enger die Absperrlinien zum Reichstag schützen«, versicherte Slowik. Das genaue Vorgehen werde man mit der Bundestagspolizei erörtern.

Aus Slowiks Sicht hat sich das Einsatzkonzept der Polizei am Wochenende im Wesentlichen bewährt. »Das Grundkonzept zur Bewältigung der dynamischen Gesamtlage war tragfähig, die Zahl der Einsatzkräfte ausreichend«, erklärte sie. Die Zahl der Demonstranten lag bei 38 000. Im Einsatz seien 33 Beamte verletzt worden. Es seien 308 Freiheitsbeschränkungen erfolgt, 134 Ermittlungsverfahren eingeleitet, und es seien 255 Anzeigen wegen Ordnungswidrigkeit geschrieben worden.

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