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Heimspiel für die Linke

Nominierung für den Bundestag auf der Südtribüne des Babelsberger Karl-Liebknecht-Stadions

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Bundestagsabgeordnete Norbert Müller (Linke) versucht, kein Heimspiel der Fußballmannschaft des SV Babelsberg 03 auszulassen. Um den Verein zu unterstützen, kauft er sich Jahr für Jahr eine Dauerkarte. Zahlendes Vereinsmitglied ist er obendrein. Früher stellte sich Müller zu den Ultras in die Nordkurve. Doch seit er seine kleinen Söhne zu den Begegnungen mitnimmt, setzt er sich auf die Südtribüne. Und genau diese Tribüne wählte die Linke aus, um am 5. September ihren Direktkandidaten für den Bundestagswahlkreis 61 zu nominieren.

Etwas mehr als 800 Genossen, die in diesem Wahlkreis in Potsdam und Umgebung wohnen, haben eine Einladung erhalten. Sie alle würden auf der Südtribüne auch unter Einhaltung der Corona-Abstandsregeln bequem Platz finden und bei frischer Luft doch unter dem Dach der Tribüne vor den Unbilden der Witterung geschützt sein, erläutert der Linke-Kreisvorsitzende Roland Gehrmann. Es passt aber auch symbolisch gut - denn es ist schließlich das Karl-Liebknecht-Stadion, benannt nach dem KPD-Gründer von 1918, der bei der Reichstagswahl 1912 den sogenannten Kaiserwahlkreis Potsdam sensationell für die SPD gewonnen hatte.

Norbert Müller hat den Wahlkreis bislang noch nie geholt, und es sieht auch nicht danach aus, als könnte ihm dies bei der Bundestagswahl 2021 gelingen. Seine Konkurrenten wären voraussichtlich Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und die Grünen-Bundesvorsitzende Annalena Baerbock, der hier die größten Chancen auf den Sieg eingeräumt werden. Bereits bei der Wahl 2017 hatte Norbert Müller seine Kampagne nicht auf die Erststimmen für sich selbst, sondern auf die Zweitstimmen für seine Partei ausgerichtet. Angesichts der Kräfteverhältnisse scheint es für die Linke angeraten, dies erneut zu tun.

»Wir kämpfen dafür, dass die Linke so viele Stimmen wie möglich bekommt. Das Entscheidende sind für uns die Zweitstimmen«, sagt Müller. 2017 hatte die jetzige brandenburgische Kulturministerin Manja Schüle (SPD) den Wahlkreis 61 gewonnen. Müller war über Platz vier der Landesliste seiner Partei ins Parlament eingezogen. Ob er sich wieder um einen Listenplatz bemüht und wenn ja um welchen, darüber hat sich Müller nach eigener Aussage noch keine Gedanken gemacht. Das will er davon abhängig machen, ob er im Wahlkreis nominiert wird und mit welchem Ergebnis.

Als die Linke Norbert Müller vor vier Jahren in einem Saal des Kinos im Potsdamer Hauptbahnhof als Wahlkreiskandidaten aufstellte, hatte er als Mitbewerber den Langzeitarbeitslosen Jürgen Weber. Dieser wollte Müller gar nicht verdrängen, sondern mit seiner Bewerbung lediglich für mehr Beachtung der Probleme der Betroffenen von Hartz IV sorgen. In Abwesenheit erhielt Weber zwei Stimmen von Genossen, die meinten, sein Anliegen verdiene diese Unterstützung.

Diesmal im Karl-Liebknecht-Stadion - von den Fußballfans liebevoll Karli genannt - bekommt Norbert Müller mehr Konkurrenz. Als Kandidaten zur Verfügung stellen sich auch noch Ex-Justizstaatssekretär Ronald Pienkny und Stefan Roth, der im Landesvorstand sitzt. Pienkny hat sich zwar schon Fußballspiele im Karli angesehen, allerdings nicht der Männer von Babelsberg 03, sondern der Frauen von Turbine Potsdam. Im Männerfußball drückt er allen Ostvereinen die Daumen. Selbst ist Pienkny Judoka, trainiert in seinem Bundesligaverein UJKC Potsdam noch Kraft und Kondition, stand aber schon länger nicht mehr auf der Matte, wie er verrät. Als Realist, der er ist, denkt Pienkny, dass es sehr schwer für die Linke werden dürfte, den Bundestagswahlkreis 61 zu gewinnen. »Aber ich würde es nicht unversucht lassen«, betont der Ex-Staatssekretär.

Kurzfristig meldete sich noch Stefan Roth aus dem Kreisverband Potsdam-Mittelmark als dritter Bewerber. Er habe so lange gezögert, sagt Roth, weil er zunächst abwarten wollte, wer sonst antritt, und ob da jemand dabei ist, der seine Unterstützung findet. Am Ende habe er sich entschieden, das Bewerberfeld »um ein weiteres inhaltliches und personelles Angebot zu erweitern«. Sein Ausgangspunkt ist, dass die Linke bei der Landtagswahl 2019 auf 10,7 Prozent abstürzte. Aus seiner Sicht gibt es zwei wesentliche Gründe im Erscheinungsbild der Partei, »die bedingen, dass es uns nicht gelingt, unsere gute politische Arbeit in Wählerstimmen umzuwandeln«. Roth formuliert es so: »Wir streiten zu viel in der Öffentlichkeit und nicht selten werden durch Angriffe auf unser Spitzenpersonal mehr Schlagzeilen erzeugt als durch gute Fachpolitik.« Roth sagt auch: »Eine Linke, die nur den Charme einer pragmatischen Regierungspartei verströmt, ist für viele linke Wähler nicht attraktiv.«

Interessant an der Konstellation in Potsdam ist, dass die Kandidaturen hier im Kleinen illustrieren, worüber im Großen in der Partei nachgedacht wird: Orientiert sich die Linke im Wahlkampf auf einen konsequenten Oppositionskurs oder versucht sie, eine rot-rot-grüne Koalition zu ermöglichen? Wobei zu beachten ist, dass SPD, Grüne und Linke in den Umfragen derzeit auf zusammen nicht einmal 40 Prozent kommen.

Es ist auch nicht so, dass sich die drei Bewerber ganz einfach einem Lager zuordnen lassen. So reagierte Norbert Müller auf die Nachricht, die SPD wolle Olaf Scholz zu ihrem Kanzlerkandidaten machen, mit dem Hinweis, dann müsste sich dieser von Auslandseinsätzen der Bundeswehr verabschieden, wenn aus Rot-Rot-Grün etwas werden solle. Derweil versuchte Gregor Gysi, die Brücke zu bauen, an der Nato-Mitgliedschaft solle das Regierungsbündnis nicht scheitern.

Ronald Pienkny war sieben Jahre Staatssekretär in der rot-roten Koalition in Brandenburg, hat die Regierungsarbeit im Nachhinein aber scharf kritisiert und darauf hingewiesen, dass aus linker Sicht sehr viel mehr drin gewesen wäre.

Um das noch zu erwähnen: Stefan Roth stammt aus Senftenberg in der Lausitz und besuchte früher das eine oder andere Heimspiel des FC Energie Cottbus im Stadion der Freundschaft, ohne sich dem Klub mit Leib und Seele zu verschreiben. Die Fanszenen von Babelsberg und Energie sind sich nicht grün. Aber das hat mit der Entscheidung, wen die Linke am 5. September nominiert, nichts zu tun.

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