Wieso war Krieg dort, wo ich wohne?

Stadt und Gedenkstätte Seelow stellen sich der Frage, welche Sicht auf Geschichte man vermittelt - und wie

  • Tomas Morgenstern, Seelow
  • Lesedauer: 4 Min.

Überall in Brandenburg erinnern in Städten und selbst kleinen Gemeinden Gedenksteine, Mahnmale, Ehrenfriedhöfe, zumeist mit dem Sowjetstern gekennzeichnet, an die bei der Befreiung von der Naziherrschaft im Frühjahr 1945 gefallenen Soldaten. Für die meisten in der Region lebenden Menschen sind sie ein gewohnter Anblick, für die Alten verbindet sich damit eine Erinnerung an den Krieg, der hier tobte, an die Entbehrungen und Leiden, die er mit sich brachte. Die Nachfolgenden sind mit den Erzählungen, die sich darum drehten, oft auch mit den sichtbaren Kriegsfolgen aufgewachsen.

Aber was sagt all das eigentlich jungen Menschen? Sind all die Gedenkstätten, oft mit Statuen oder gar historischer Militärtechnik versehen, mehr als gewohnte Kulisse oder Militärfolklore? Was weiß die Generation, die sich heute vor allem im Netz möglichst kompakt und leicht verdaulich informiert und vermutlich zumeist über soziale Netzwerke gewichtet, was für sie von Interesse ist, eigentlich über Geschichte? Zumal über die im eigenen Lebensumfeld? Und wie kann man diese jungen Menschen eigentlich mit solch »sperrigen« Themen überhaupt erreichen, sie berühren?

Im Kern ging es auch um gerade diese Fragen bei der öffentlichen Diskussion, zu der die Rosa-Luxemburg-Stiftung am Mittwochabend ins Kulturhaus »Erich Weinert« in Seelow, der Kreisstadt des Landkreises Märkisch-Oderland, eingeladen hatte. Das zur Diskussion gestellte Thema lautete »Zukunft der Erinnerung. Der besondere Platz der Gedenkstätte Seelower Höhen« - und es konnte schon aus diesem Grund kaum verwundern, dass im Präsidium und im Saal die »Grauköpfe« der Älteren und Alten bei weitem dominierten.

Dabei hatte Dagmar Enkelmann (Linke), die Vorsitzende der Bundesstiftung und Moderatorin des Abends, ausgewiesene Experten im Präsidium begrüßen können - unter anderem als Zeitzeugen den 92-jährigen Hans Modrow, als 17-jähriger Volkssturmmann in sowjetischen Kriegsgefangenschaft geraten und in der Wendezeit DDR-Ministerpräsident. Otto Adomat (evangelischer Militärdekan bei der Bundeswehr), Lutz Prieß (freier Mitarbeiter des Deutsch-Russischen Museums in Karlshorst) und Elke Scherstjanoi (Institut für Zeitgeschichte München-Berlin), die Militärhistoriker Gerd-Ulrich Herrmann (langjähriger Gedenkstättenleiter in Seelow) und Lothar Schröter (Vorstandsmitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg) nahmen ebenso teil wie Landrat Gernot Schmidt (SPD).

Modrow, der als Kriegsheimkehrer von 1949 bis 1952 als Brandenburger FDJ-Funktionär an der Beseitigung der fürchterlichen Kriegsfolgen in Sachsendorf mitgewirkt hatte, erinnerte an die wichtiste Lehre, die er 1945 für sich gezogen und die auch die meisten Menschen seiner Generation geprägt hat: »Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!« Das sei es, was auch der heutigen Generation vermittelt werden müsse, forderte er. Und er rechnete scharf mit allen Versuchen ab, nicht zuletzt auch im vereinten Deutschland seit der Wende, die Geschichte zu verfälschen und umzudeuten, neben dem Nazireich die Kriegsschuld in gleichem Maße der Sowjetunion zuzuschieben.

»Wie kann die Geschichte des Zweiten Weltkrieges, seine Ursachen und die Folgen, an die jüngere Generation herangetragen werden?« Das fragte Dagmar Enkelmann. Denn Zeitzeugen des damaligen Geschehens gebe es heute immer weniger. Wolle man die Jüngeren erreichen, dann müsse Geschichte mehr sein als bloße Vermittlung von Fakten und Daten. Man müsse, um Geschichte nachhaltig nahe zu bringen, die jungen Leute emotional berühren, ihre Herzen erreichen.

Gemeinsam hatte man am Nachmittag den Friedenswald auf dem Krugberg in Werbig besucht, einen länderübergreifend gestalteten Erinnerungsort, und anschließend am Ehrenmal Seelower Höhen mit einer Kranzniederlegung vor allem die Tausende in der Seelower Schlacht gefallenen Rotarmisten geehrt. Die Teilnehmenden holten damit nach, was ihnen aufgrund der Corona-Pandemie in diesem Frühjahr verwehrt geblieben war. Für das ehrende Gedenken, das ja ursprünglich dem 75. Jahrestag der Schlacht um die Seelower Höhen gewidmet war, hatte die Rosa-Luxemburg-Stiftung mit dem Weltfriedenstag, an dem an den faschistischen Überfall auf Polen und den damit durch Deutschland ausgelösten Zweiten Weltkrieg erinnert wird, einen würdigen Ersatz gefunden.

Das Frühjahr 2020 hatte in Märkisch-Oderland ganz im Zeichen des Gedenkens stehen sollen. Daran erinnerte Landrat Schmidt am Mittwochabend im Kulturhaus »Erich Weinert«. Ende Januar 1945 hatte der Zweite Weltkrieg die Oder erreicht. Die Rote Armee hatte auf dem Weg nach Berlin erste Brückenköpfe auf dem Westufer gebildet. In Kienitz hatte man Anfang Februar 2020 feierlich des 75. Jahrestages der Befreiung der ersten deutschen Ortschaft diesseits des heutigen deutsch-polnischen Grenzflusses gedacht. Das Gedenken am Seelower Denkmal hatte in der geplanten Art und Weise nicht stattfinden können. Es hätte eine Chance werden können, den Anlass für eine Klärung der künftigen inhaltlichen Ausrichtung zu nutzen. Es geht um einen Ort der Aussöhnung und Begegnung, der internationale Zusammenarbeit braucht.

Das im November 1945 eingeweihte sowjetische Denkmal im Stil der Stalin-Ära war 1972 der DDR übergeben und danach um ein Museum sowie eine Ausstellung von Waffentechnik erweitert worden. Der Landkreis als Betreiber muss mit knappen Mitteln für den Erhalt aufkommen und hat die inhaltliche Arbeit dem Verein »Zeitreisen« übertragen, der die »größte Schlacht auf deutschem Boden« stärker in den Mittelpunkt der Aktivitäten der Gedenkstätte rücken will. Mit welcher Expertise der Verein handelt, blieb dessen Vorsitzender Tobias Voigt schuldig. Lediglich mehr Technikschauen, mehr Schlachtfeld-Touren, um Jüngere zu interessieren? Das stieß auf große Skepsis.

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