• Berlin
  • Tarifstreit an der Charité

Heißer Kaffee, heiße Stimmung

Beschäftigte der Charité-Tochter CFM fordern Aufnahme in Tarifvertrag

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Generator dröhnt. »Wir kochen Kaffee«, lacht Daniel Turek, er tritt gebückt aus dem Pavillon der »Mahnwache« vor dem Virchow-Krankenhaus in Berlin-Wedding. Turek, Typ freundlicher Hüne, bietet auch gleich einen Becher an. Er ist bei der Charité Facility Management (CFM), einer Tochter der landeseigenen Universitätsklinik mit drei Standorten als Logistiker für die Auslieferung von Medikamenten und Material zuständig und Mitglied der Tarifkommission des Unternehmens. Geld für die Streikkasse will der 36-Jäh᠆rige für den Kaffee nicht: »Wir haben grad gar keine«, sagt er.

Turek wirkt ausgeschlafen, seit sechs Uhr morgens ist er an diesem frühherbstlichen Morgen vor Ort. In drei Schichten haben sich die Teilnehmer des Warnstreiks, der seit dem 31. August für rund um die Uhr angesetzt ist, vor dem Eingang des Virchow-Klinikums an der Amrumer Straße die Besetzung des Streikpostens aufgeteilt. Der erneute Streik der Beschäftigten wurde gemeinsam mit der Gewerkschaft Verdi ausgerufen, nachdem der Tarifkonflikt mit der CFM-Geschäftsführung in der letzten Verhandlungsrunde Ende August eskaliert war. Als diese der Forderung nach der Aufnahme in den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) wieder eine Absage erteilte und weiter auf Mantel- und Entgelttarifvertrag bestand, war das Grund genug für den Abbruch der Verhandlungen durch die Beschäftigtenvertreter.

Charité-Tochter

Die Charité Facility Management (CFM) wurde 2006 von der Charité als Tochterfirma ausgegründet. Jahrelang wurden dem Unternehmen unter anderem von der Gewerkschaft Verdi Billiglöhne und Lohndumping vorgeworfen. Seit dem 1. Januar 2019 ist sie wieder eine 100-prozentige Tochter der Charité. Rund 2500 CFM-Beschäftigte sind von den Tarifverhandlungen und dem Konflikt betroffen. Es gibt auch mehrere Hundert sogenannte gestellte Mitarbeiter, die arbeitsvertraglich zur Charité gehören und dem dort geltenden Tarifvertrag unterliegen.

Die CFM erbringt an den Charité-Standorten diverse technische und logistische Dienstleistungen wie Abfallentsorgung, Krankentransporte, Reinigung, Sterilisa᠆tion und die gesamte Essensversorgung für die Patienten. Während des Streiks setzt die CFM für diese Aufgaben Leihfirmen ein - für Verdi und Aktivisten »eingekaufte Streikbrecher«. clk

Zwar wurden die mittlerweile über 2500 Mitarbeiter der vor 14 Jahren ausgegliederten Firma im Januar 2019 vom Berliner Senat als 100-prozentige Tochter an die Charité zurückgeholt, aber das reicht den Arbeitskämpfern lange nicht: »Das kann nur der erste Schritt gewesen sein«, erklärt Turek. Auch der damit verbundene Mindestlohn sei ein Zeichen, aber kein Ziel. »Wer hier im Bereich der Sicherheit angestellt ist, geht bei 42 Wochenstunden mit 1600 Euro nach Hause«, erklärt der Krankenhausmitarbeiter. Wenn die CFM derzeit eine Wochenarbeitszeit von 39 Stunden bei gleichzeitigem Lohnverzicht anbiete, sei das eine Arbeitszeitverkürzung zulasten der Beschäftigten.

Dazu soll eine Jahressonderzahlung von 300 Euro brutto kommen. »Davon bleiben bei einer Alleinerziehenden in der Steuerklasse 1 knapp 170 Euro hängen«, meint Turek. Die Tarifkommission fordert für alle eine Zahlung von 1000 Euro. Bei den Urlaubstagen ist die Lage ähnlich. 28 Tage plus zwei, konkret den 24. und den 31. Dezember, bietet die Geschäftsführung. »Wie kann das sein, dass das als ein Top-Angebot präsentiert wird«, fragt der Transportexperte. Die Tage seien per Gesamtzusage schon seit vielen Jahren arbeitsfrei. Außerdem müssten viele Reinigungs- und Küchenkräfte ohnehin oft auch an Feiertagen arbeiten. Besonders ärgert sich Turek, dass bei den Verhandlungsrunden im Juli Vertragsentwürfe aus dem April auf den Tisch kamen. »Unsere Forderungen wurden gar nicht erst aufgenommen«, meint er.

»Die Stimmung ist ganz schön heiß«, sagt der seit 2011 für die CFM tätige Turek. Auch die Streikbeteiligung nehme zu - entgegen der Behauptung, die von einem geringen Anteil Streikender innerhalb der Belegschaft ausgeht, wie Charité-Vorstandsvorsitzender Heyo Kroemer bei einem Pressegespräch Ende August betonte.

Was dem Unternehmen als Beweis für die geringe Unterstützung der Tarifkämpfer gilt, ist denselben Herausforderung. Es sei nicht einfach, sagt Turek, innerhalb der Belegschaft Ängste und Unwissen zu überwinden. »Die Leute hören die Geschäftsführung, die sagt, man könne höchstens für die Kernbelegschaft einen Tarifvertrag verhandeln. Das macht natürlich ein mulmiges Gefühl«, erklärt Turek die Gründe, warum viele zögern würden, sich dem Streik anzuschließen. »Wer ist diese Kernbelegschaft? Sind es 1000 Leute oder 500 und welche sind es?« Rund 70 Mitarbeiter hätten zudem bestätigt, dass auch Gruppenleiter und Vorarbeiter mit der Aussage »Es können nicht alle bleiben« bei Beschäftigten für Unsicherheit sorgen würden. Das Gespräch mit Patientenbesuchern, Beschäftigten der Charité und nicht streikenden CFM-Mitarbeitern sei gar nicht so einfach: »Wir kämpfen mit Sprachbarrieren, aber zuweilen auch mit einem fehlenden Verständnis von Streik als Mittel des Arbeitskampfs.«

Am 26. August versicherte der zuständige Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach den Streikenden, man stehe seitens des Senats selbstverständlich zur Koalitionsvereinbarung: Alle landeseigenen Tochterunternehmen sollen den TVöD bekommen. Krach stellte in Aussicht, die Tarifbindung zu realisieren, wenn das Parlament die erforderlichen Mehrkosten dafür bereitstelle.

Die Geschäftsführung argumentiert derweil mit Sachzwang: Lohnsteigerungen seien nur mit Preiserhöhungen gegenüber der Charité finanzierbar, die diese bei den Krankenkassen nicht abrechnen könne, heißt es. Um die Mehrkosten von bis zu 30 Millionen Euro zu stemmen, würden die Landeszuschüsse nicht ausreichen. Überdies zahle man mit dem Mindestlohn von 12,50 Euro schon überdurchschnittlich.

CFM-Transportarbeiter Daniel Turek hält dagegen: »Allein die 19 Prozent Umsatzsteuer, die jetzt eingespart werden, könnte man doch an die Beschäftigten weitergeben.« Die CFM, sagt er, müsse keine Gewinne erwirtschaften, sei kein Marktunternehmen. »Sie macht sich ihre Gewerkschaftsaktivisten selbst«, lautet sein Fazit an diesem Morgen.

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