»Fingerschnipsen bringt keinen Frieden«

Gregor Gysi fordert von seiner Partei mehr als Fähnchen zu schwenken und sich dabei gut zu fühlen

  • Interview: Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 6 Min.
Gregor Gysi – »Fingerschnipsen bringt keinen Frieden«

Sie haben gern argumentiert, die PDS/Linke dürfe nicht versuchen, eine zweite SPD zu werden. Denn dann mache sie sich überflüssig; eine zweite SPD brauche niemand. Gilt das noch und gilt es auch für die Außenpolitik – für die Haltung zur Nato und zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr?
Man sollte vielleicht mehr lesen statt zu interpretieren und Pappkameraden aufzubauen. Ich bin um keinen Deut von meinen friedenspolitischen Positionen abgewichen. Zur Nato hat die Partei nie beschlossen, dass Deutschland aus ihr austreten soll, weil die Nato dann bliebe, wie sie ist, eben nur ohne Deutschland. Deshalb streben wir eine Auflösung der Nato an, um ein neues Bündnis für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa unter Einschluss von Russland zu schaffen. Das wird man vermutlich nicht von heute auf morgen schaffen und man muss deshalb überlegen, wie man Schritte in diese Richtung gehen kann. Die Vermittlerrolle Deutschlands, die ich regelmäßig fordere, verlangte zum Beispiel zwingend, dass sich Deutschland nicht an Konflikten beteiligte. Das bedeutete faktisch, dass Deutschland bei Konflikten aus den militärischen Strukturen ausschiede, was unsere Partei will. Und welch gewaltiger Fortschritt gegenüber der heutigen Politik, in der Verantwortung nahezu immer die Chiffre für militärischen Einsatz ist, wäre es, wenn man diese Rolle zum politischen Ziel einer Regierungskoalition machen könnte.

Gregor Gysi
Gregor Gysi war Vorsitzender der PDS, 2007 Mitbegründer der Linkspartei und ist seit 1990 – mit wenigen Jahren Unterbrechung – Mitglied des Bundestages, zwei Drittel der Zeit als Vorsitzender seiner Fraktion. Gysi ist einer der bekanntesten Politiker seiner Partei, aber auch Deutschlands. Zuletzt war er bis Dezember 2019 Präsident der Europäischen Linken. Berühmt auch für seine Fähigkeit, komplizierte Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen und strittigen Situationen auf humorvolle Weise eine Wende zu geben, überraschte Gysi in diesem Jahr, als er in der Bundestagsfraktion das Amt des außenpolitischen Sprechers übernahm, als dieses vakant wurde. In dieser Position sorgt er nun für Unruhe. Um eine Mitte-Links-Regierung zu ermöglichen, müsse die Linke sich kompromissbereit zeigen, so Gysi. Genossen seiner Partei sehen damit nun deren strikte friedenspolitische Linie in Frage gestellt. Wie er auf diese Kritik reagiert, fragte Uwe Kalbe den Linkspolitiker.

Wie sollten Linke-Wähler einen Unterschied zur SPD erkennen, wenn die Linke sich plötzlich zur Aufgabe machte, die Nato von innen zu reformieren – hin zu einem Bündnis, in dem Deutschland als Vermittler in Konflikten erfolgreich sein könnte, in die es ohne Nato gar nicht geraten wäre? Oder meinen Sie Konflikte, die abseits der Nato geschehen und aus denen die Nato sich bisher heraushält?
Ich meine sämtliche Konflikte, auch jene zwischen Nato-Staaten, wenn ich an die Türkei und Griechenland denke. Die Verdächtigungen, man wolle eine Entwicklung wie bei der SPD oder den Grünen, und falsche Vorwürfe des angeblichen Aufweichens von friedenspolitischen Positionen sorgen letztlich nur dafür, dass man über mögliche Schritte gar nicht erst diskutiert, geschweige denn über deren Umsetzung in einer Regierung nachdenkt und alles am Ende bleibt, wie es ist. Selbstverständlich kann man auch am Rande stehen, ein Fähnchen schwenken, sich wohl und rein fühlen und auf jede Veränderung der Realität verzichten.

Ihr Vorhaben klingt allerdings etwas vermessen – selbst für Deutschland, nicht nur für die Linke. Welche Rolle also soll die Linke in einem rot-rot-grünen Bündnis spielen, die des erhobenen Zeigefingers?
Wir sollten uns weder größer noch kleiner machen als wir sind. Ein solches Bündnis funktioniert nur auf Augenhöhe und bei einer Verständigung auf gemeinsame politische Ziele. Wenn sich eine Partei darin nicht wiederfindet, wird es nicht funktionieren. Ich weiß gar nicht, woher dieser seltsame Minderwertigkeitskomplex kommt, dass die Linke nicht in der Lage wäre, für ihre Politik auch in etwaigen Koalitionsverhandlungen zu streiten und so weit wie möglich sie auch im politischen Alltag umzusetzen. Über einen eventuellen Koalitionsvertrag entscheiden ohnehin die Mitglieder. Natürlich würden wir auch Lehrgeld bezahlen, gäbe es auch Fehler. Aber wer meint, man sollte es lieber gar nicht erst versuchen, wenn es denn möglich sein sollte, wird Hoffnungen enttäuschen.

Die Grünen haben sich von der prinzipiellen Ablehnung von Auslandseinsätzen einst auf die Einzelabwägung verlegt – ist das der Weg auch für die Linke? Und wie groß schätzen Sie die Gefahr einer Fehleinschätzung, der die Grünen ja schon beim ersten Versuch in Jugoslawien erlegen sind?
Die schwierigste Frage wäre dabei ohne Zweifel der Kriegseinsatz von Soldaten im Ausland, weil, wie ich immer wieder betone, keiner dieser Einsätze wirklich gerechtfertigt ist und seine vorgeblichen Ziele erreicht. Deshalb sind wir strikt dagegen. Unser politisches Ziel war, ist und bleibt es, diese Einsätze zu beenden. Aber auch in dieser Frage wird das nicht mit einem Fingerschnipsen gehen, müssen konkrete Bedingungen berücksichtigt werden. Zum Beispiel haben die Taliban angedroht, alle einheimischen Helfer der Bundeswehr in Afghanistan hinzurichten. Wir hatten – wie es inzwischen auch die Mehrheit der Bevölkerung weiß – mit unserer Ablehnung dieses Krieges völlig recht. Trotzdem müssten auch wir einen Weg finden, das Leben dieser Helfer zu schützen. Es wäre aber eine Umkehr der bisherigen Politik, wenn man die Beendigung der Einsätze zum Ziel einer Koalition machte und konkrete Schritte vereinbarte. Dafür wäre die angestrebte Vermittlerrolle auch besonders wichtig. Die immer wieder geschmähte Einzelfallprüfung bezöge sich dann auf die Bedingungen der Beendigung und eben nicht auf den Einstieg in solche Einsätze. Man kann sich aber gegenüber einem solchen Herangehen auch verschließen. Dann gehen die Kriegseinsätze der Bundeswehr weiter und es werden neue hinzukommen.

Sie haben erklärt, Voraussetzung für ein rot-rot-grünes Bündnis müsse sein, dass mindestens die Hälfte der Bevölkerung nicht nur einen Regierungs- sondern auch einen Politikwechsel wolle. Wann sehen Sie diese Voraussetzung als erfüllt an? Wenn eine rechnerische Mehrheit der drei potenziell beteiligten Parteien in Sicht kommt? Oder schon vorher?
Zunächst will eine große Mehrheit unserer Wählerinnen und Wähler mit unserer Partei konkrete politische Veränderungen durchsetzen und die neoliberale Zerstörung der Gesellschaft nach 16 Jahren unionsgeführten Bundesregierungen stoppen. Bei den möglichen Partnern eines Mitte-links-Bündnisses gibt es teils ähnliche, teils auch verschiedene Ziele. Natürlich hat der erste rot-grüne Versuch mit dem völkerrechtswidrigen Jugoslawienkrieg und den Hartz-Gesetzen viel Vertrauen zerstört. Die daran beteiligten Parteien SPD und Grüne müssen klären, wie sie dieses Vertrauen wiedergewinnen wollen. Mit Sicherheit werden wir nicht ihr Feigenblatt sein, um die bisherige Politik fortzusetzen. Ob eine gesellschaftliche Mehrheit – zumindest die Hälfte der Mitglieder der Gesellschaft – einen wirklichen Politikwechsel will, ergibt sich aus Umfragen, merkt man auf Veranstaltungen und Kundgebungen, auch im Wahlkampf und natürlich auch am Wahlergebnis. Es muss eine Aufbruchsstimmung für deutlich mehr friedliche Außenpolitik, soziale Gerechtigkeit, demokratische Öffnung, ökologische Nachhaltigkeit in sozialer Verantwortung, Gleichstellung von Frau und Mann und von Ost und West geben. Es ist die Aufgabe von Gewerkschaften, Bewegungen, Initiativen und auch von uns und anderen politischen Kräften, den diesbezüglichen Willen in der Gesellschaft zu verstärken und mehrheitsfähig zu machen. Der Mietendeckel in Berlin zum Beispiel hat gezeigt, was in einer solchen Konstellation möglich ist. Die Zeit ist reif, dass unsere Gesellschaft auf Bundesebene ein Mitte-links-Bündnis erlebt. Es wird uns tatsächlich viel abverlangen, aber einfacher wird man die dringend notwendigen Veränderungen in der Politik nicht erreichen.

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