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- Corona und soziale Folgen
Telefonterror und Missverständnisse
Entlassene Mitarbeiterin stellt sich vor ihre Pflegeeinrichtung und beharrt auf Demonstrationsrecht
Seit einer Woche kennt das beschauliche Örtchen Itzstedt im Kreis Segeberg mit seinen rund 2300 Bewohnern nur noch ein Gesprächsthema: Die fristlose Kündigung einer Teilzeit-Reinigungskraft im Alten- und Pflegeheim der Gemeinde, weil sie sich nach einer selbst gemeldeten Erkältung keinem Corona-Test unterziehen wollte. Als Reaktion auf die Kündigung musste sich die privat betriebene Einrichtung anhaltend wüste Beschimpfungen in den sozialen Medien gefallen lassen. Schlimmer noch war der Telefonterror, der plötzlich losbrach.
»Das Telefon stand fast nicht mehr still, wir sind zuletzt gar nicht mehr rangegangen«, erzählt die stellvertretende Heimleiterin Christiane Warneke. Die Anrufenden hätten sie und das übrige Personal nach ihren Angaben als »Nazis und Unmenschen« bepöbelt. Sogar nachts gab es vereinzelt Anrufe. Daraufhin hat die Heimleitung in Sorge um die Sicherheit ihrer 50 Beschäftigten und 65 Bewohner Kontakt zur Polizei aufgenommen, die seither verstärkt Streife fährt. Die ausschweifenden Unmutsäußerungen rühren wohl daher, dass besagte Reinigungskraft, Andrea P., ihre Kündigung selbst auf sozialen Kanälen des Internets in Umlauf gebracht hat.
Diese selbst initiierte Dokumentation, die mittlerweile wieder gelöscht wurde, hat sich dann wie ein Lauffeuer verbreitet. Die Gekündigte, die erst seit vier Monaten in dem Pflegeheim tätig war und sich noch in der Probezeit befand, hatte mit ihrem Mann die Großdemonstration von Gegnern der Coronamaßnahmen der Bundesregierung am 29. August in Berlin besucht. Zuvor hatte sie extra noch ihren zu dem Termin vorgesehenen Dienst getauscht. Auch Fotos ihres Demobesuches soll sie laut »Kieler Nachrichten« gepostet haben.
In dem Kündigungsschreiben wird ihr vorgehalten, dass sie sich trotz ihrer Tätigkeit in einem aus gesundheitlicher Sicht sensiblen Arbeitsbereich aufgrund von Erkältungssymptomen nicht testen lassen wolle. Zudem wird ihre Teilnahme bei der sogenannten Querdenken-Demo erwähnt, was aus Sicht verschiedener Arbeitsrechtler juristisch ein nicht haltbarer Vorwurf ist. Zunächst hatte die Reinigungskraft zudem mit einem Telefonanruf das Pflegeheim über die Erkältung ihres Kindes informiert.
Warneke, die auch Hauswirtschaftsleiterin der Pflegeeinrichtung ist, steht unterdessen zu ihrer Entscheidung und weiß um die volle Rückendeckung aus ihrer Belegschaft. Ansonsten könne sie der in Ungnade gefallenen Mitarbeiterin aber nichts vorwerfen. Sie habe ihren Dienst zuverlässig und zur vollsten Zufriedenheit erledigt, betont sie auf Nachfrage. Und ihr Verhalten wird innerhalb der Belegschaft als freundschaftlich und kollegial bezeichnet. Am Geld lag es nicht, dass sie den Test ablehnte. Das Heim trägt dafür die Kosten.
Die Auseinandersetzung könnte nun auf eine arbeitsrechtliche Trennung hinauslaufen. Fachanwälte weisen darauf hin, dass man der Frau aus Itzstedt nicht den Besuch der Demonstration vorhalten könne, dies betreffe ihre Privatsphäre. Relevant seien nur die Vorschriften zum Infektionsschutz in der Pandemie. Allerdings werde bei einem Fehlverhalten von Arbeitnehmerseite üblicherweise zunächst eine Abmahnung oder fristgerechte Kündigung ausgesprochen. Wegen der Probezeit in diesem Fall betrage diese 14 Tage, erläutert der Anwalt für Arbeitsrecht, Wolfram Dudda, aus Lübeck.
Vize-Heimleiterin Warneke gibt zu bedenken, dass das Gedankengut, dass die Reinigungskraft zur Teilnahme an den Protesten in Berlin getrieben habe, unabhängig von der gezeigten Arbeitsleistung, nicht im Einklang mit einer Anstellung in einem Pflegeberuf passe. Mittlerweile hat sich die Gescholtene bei Facebook selbst zu Wort gemeldet. Als Mitarbeiterin einer Wohneinrichtung für ältere Menschen sei sie sich »sehr wohl der Verantwortung gegenüber den Bewohnern bewusst« gewesen. Sie distanziere sich von Drohungen und allen Unmutsäußerungen gegen ihren Arbeitgeber und die Mitarbeiter der Pflegeeinrichtung. Sie leugne das Virus nicht, zweifle aber an der Gefährlichkeit. In Berlin sei sie als Teil einer Initiative namens »Eltern stehen auf« auf die Straße gegangen. Zu dem Vorwurf, sie habe einem Test nicht zugestimmt, stellt sie klar, dass sie dabei einem Rat ihres Hausarztes gefolgt sei und vielmehr bereit gewesen sei, einer 14-tägigen Eigenquarantäne zu folgen. Da die Inkubationszeit zwischen zehn und zwölf Tage betrage, zwischen Demo und dem geforderten Test aber nur drei Tage gelegen hätten, »wäre der Test zu früh gemacht worden«. Abschließend stellt sie klar, dass sie nur aufgrund eines Gefällt-mir-Klicks für einen Beitrag der AfD noch lange kein Nazi sei. »So, möge der nächste Shitstorm gegen mich beginnen.«
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