Berliner Autokorrektur

Ein kleiner Abschnitt der Berliner Friedrichstraße ist jetzt für fünf Monate autofrei. Klingt erst mal wenig bedeutend, geht aber über Symbolpolitik hinaus, meint Susanne Schwarz.

  • Susanne Schwarz
  • Lesedauer: 4 Min.

Meine Oma ist immer für eine Überraschung gut. »Im Auto fühle ich mich überhaupt am allerwohlsten«, ließ sie mich irgendwann letztes Jahr plötzlich wissen. Da sitzt sie im Garten, ein Glas Rotwein in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand, ringsum ehrlich fröhliche Familie - und wo bitte soll es am schönsten sein? Das platzte aus ihr heraus, gefolgt von einem verschämten Lächeln. Ich schreibe als Journalistin viel über den Klimawandel und dementsprechend auch nicht selten über Autos, deren Produktion und Betrieb nun mal viele CO2-Emissionen freisetzt. Auch meiner Oma sind Umwelt, Klima und Artenvielfalt wichtig. Autos eigentlich weniger. Wenn ihr Bruder und ihr Schwager, zwei Ingenieure, über Automarken, Pferdestärken und Kommunismus fachsimpeln, rollen sie und ihre Schwestern oft mit den Augen. Aber in ihrem eigenen kleinen Flitzer, da zetert das Knie nicht, das sich beim Gehen zuverlässig meldet. Das ist ein Pluspunkt, ich gebe es zu. Und:Für meine Oma bedeutet ihr Auto Teilhabe.

Es ist einer der bedenkenswerteren Einwände in der Diskussion um autofreie Innenstädte: Ist die Vision am Ende sozial ungerecht, weil Menschen, die aus irgendeinem Grund ein Auto brauchen, Teilhabe verwehrt bleibt? Der aktuelle Anlass, um solche Fragen zu stellen: Ein halber Kilometer der Berliner Friedrichstraße ist seit dem 29. August für Autos gesperrt, ein Testlauf für fünf Monate. »Flaniermeile Friedrichstraße« nennt die Stadt das Projekt.

Nun ist die Friedrichstraße so ziemlich das Gegenteil der brandenburgischen Kleinstadt, in der meine Oma wohnt. Die Straße ist gut in den öffentlichen Stadtverkehr eingebunden. Der Weg vom nächsten freien Parkplatz ist mit Sicherheit länger als der vom nächsten U-Bahnhof.

Aber selbst wenn das nicht so wäre: Wir brauchen solche Testläufe genau deshalb - um herauszufinden, welche Herausforderungen sich ergeben, wenn wir das Verkehrssystem klimagerecht und nebenbei bemerkt sicherer machen wollen. Dass wir für beides zu viele Autos auf den Straßen haben, liegt auf der Hand. Anders als bei der Energiewende im Stromsektor - wobei zwar die Energiequelle wechselt, nicht aber der Fakt, dass Strom aus der Dose kommt - müssen wir für die Verkehrswende unser Verhalten ändern. Das kann man nicht nur vom Schreibtisch aus planen, das muss in der Praxis getestet werden.

Obwohl das autofreie Stück der Friedrichstraße klein ist, geht das Projekt deshalb über rot-rot-grüne Symbolpolitik hinaus. Lange Zeit haben sich die meisten Kommunen solche Versuche kaum zugetraut. Eine Straße für eine Studie autofrei machen? Lieber nicht, das könnte doch möglicherweise beim täglichen Pendeln stören. Ob das überhaupt stimmt, findet man dann nur leider niemals heraus.

Im Übrigen ist auch die aktuelle Verkehrswelt, die um das private Auto herum gebaut ist, nicht sozial gerecht. Das gilt durch den Beitrag zur Klimakrise für den globalen Maßstab, aber auch in der Stadt selbst. Wer sich zum Beispiel kein Auto leisten kann, hat weniger von dem Verkehrssystem, das vor allem auf die rollenden Blechkisten ausgerichtet ist.

Nur knapp über einem Viertel der Wege wird in der Hauptstadt mit dem Auto zurückgelegt. Dafür beanspruchen Autos überproportional viel Platz für sich. Der Thinktank »Agentur für clevere Städte« und Studierende der Best-Sabel-Hochschule haben 2014 im Rahmen eines Semesterprojektes Berliner Straßen vermessen. Das Ergebnis: 58 Prozent der Verkehrsflächen in der Hauptstadt sind für Autos reserviert, davon 19 Prozent für parkende Fahrzeuge.

»Na, bis zur Friedrichstraße find ich immer«, sagt meine andere Oma gern. Da ist sie früher mit ihrem Mann ins Theater gegangen, später, als er kurz vor seinem Tod schwer krank war, hat sie ihn dort in der Charité besucht. Gewohnt hat sie immer im Berliner Speckgürtel. Verbindet irgendjemand etwas mit der Friedrichstraße, das mit dem aktuellen Leben zu tun hat? Sie hat mittlerweile mehr den Charakter einer Durchfahrtsstraße. Jetzt ist die Durchfahrt für die nächsten fünf Monate unterbrochen. Vielleicht entwickelt sich die Friedrichstraße ja vielleicht wieder zu einem gern besuchten Ort.

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