Ermittlungen gegen Nötiger

Samuel E. belästigte in Frankfurt am Main insbesondere Studentinnen

  • Veronika Kracher, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn eine Frau in einer Runde mit Männern von erfahrener Gewalt erzählt, fällt häufig der Satz: «Das ist doch nicht so schlimm. Stell dich doch nicht so an.» Als würden sich Frauen dergleichen nur ausdenken. Als wäre es Paranoia, nachts mit dem Schlüssel in der Hand nach Hause zu laufen oder auf der Hut zu sein, wenn man von einem fremden Mann angesprochen wird. Dabei sind die Sorgen mitnichten unbegründet: Kaum ein Mann, der scheinbar unschuldig nach Feuer oder nach dem Weg fragt, möchte sich einfach nur die Zigarette anzünden oder ein Ziel erreichen. In der Regel dient die Frage einer ungeschickten und unerwünschten Anbandelung.

Im Fall des Frankfurters Samuel E. hatte das Fragen nach dem Weg System: Er ist ein sogenannter «Pick-up-Artist». Männer, die sich so nennen, haben zuvor an teuren Seminaren teilgenommen, in denen «Stars» der maskulinistischen Szene ihnen erklären, wie man Frauen «verführt». Konkret werden dabei Manipulationstechniken bis hin zu Übergriffen vermittelt. Frauen werden nicht als eigenständige Subjekte betrachtet, sondern als Sexobjekte, die dem Mann untertan zu sein haben. Die Kurse können mehrere Hundert Euro, in manchen Fällen gar vierstellige Beträge kosten.

Eigentlich seien Frauen von Natur auf unterwürfig, so die maskulinistische «Redpill»-Ideologie, der die selbst ernannten «Verführungskünstler» anhängen; jedoch hätten Feminismus und sexuelle Revolution diese Unterwürfigkeit verschleiert und Frauen in herrische Miststücke verwandelt. Durch die biologistisch und evolutionspsychologisch «begründeten» Techniken, die allesamt darauf ausgelegt sind, Frauen psychisch und emotional zu verwunden, soll die vermeintlich dem Weibe inhärente Unterwürfigkeit wieder zum Vorschein gebracht werden. Es geht «Pick-up-Artist» darum, Frauen zu brechen und letztendlich zum Geschlechtsverkehr zu nötigen, um sich auf deren Kosten wie ein echt harter Mann fühlen zu können.

Samuel E. ist nur einer von vielen dieser Männer, die de facto nichts anderes sind als Frauenhasser und Sexualstraftäter. Der 35-Jährige hat über mehrere Jahre hinweg immer wieder teilweise auch minderjährige Frauen belästigt, genötigt und gestalkt. Seine Masche war oftmals die gleiche: Er hielt sich in der Nähe des Campus der Universität auf, gab sich als Student aus, und fragte potenzielle Opfer nach dem Weg zu einem bestimmten Ort.

Auch Sibel I. und Jana S. wurden von ihm auf diese Art und Weise angesprochen. Sibel I. wurde 2020 zweimal von L. bedrängt und hatte sich darauf an die Polizei gewandt - ohne Erfolg. Sie veröffentlichte daraufhin ihre Erfahrungen auf dem Fotoportal Instagram. Jana S. hatte ähnliche Erfahrungen bereits 2017 gemacht. Samuel E. habe sich ihr, so berichtete sie, auf dem Weg von einem Supermarkt auf den Campus in den Weg gestellt, so dass sie nicht wirklich ausweichen konnte und sie nach dem Weg gefragt, erzählt sie. Auf ihren Hinweis, er solle doch Google Maps verwenden, sei er ausgewichen; als sie ihm eine Wegbeschreibung herausgesucht hatte, nahm er ihr das Telefon aus der Hand, schuf also eine Abhängigkeitssituation. «Er hat daraufhin direkt angefangen, mich nach meinem Studium und persönlichen Sachen zu fragen.

»Bei anderen Betroffenen hat er sich selbst von deren Handy aus angerufen, um sich so die Nummer zu erschleichen«, berichtet Jana S. weiter. Als sie erkannt hatte, dass es sich um einen »Pick-up-Artist« handele, habe sie vehement ihr Telefon zurückgefordert. Daraufhin sei Samuel E. wütend und laut geworden, hätte gemeint: »Sei doch mal nett zu einem Gentleman!« »Gentleman« ist eine von vielen solcher Männer gewählte Selbstbezeichnung. Sie sehen sich als Oldschool-Männer mit traditionellen Werten, um sich vom »modernen Mann« abzugrenzen. Als Jana S. nicht locker ließ und versuchte, ihr Handy zurück zu bekommen, wich Samuel E. ihr aus, beschimpfte sie als »hysterisch« und als »hässliche Fotze« (in jeder für den Mann einst begehrenswerte Frau, die seine Avancen nicht erwidert, steckt übrigens eine »hässliche Fotze«) und warf ihr Telefon letztendlich auf den Boden.

In Deutschland ist verbale sexuelle Belästigung und Nötigung kein Straftatbestand, Beleidigung und Sachbeschädigung hingegen schon. Nach einem Gespräch mit Sibel I. entschloss sich Jana S., zumindest letztere zur Anzeige zu bringen und ihre bereits 2017 auf Facebook geteilten Erlebnisse erneut zu veröffentlichen und auch auf Sibels Instagram-Post zu verweisen. Es folgte eine Vernetzung von über 60 Frauen, die von E. belästigt worden waren und die sich mit ihren Erfahrungen an die Polizei wandten.

Aufgrund der zahlreichen gesammelten Stimmen hatte eine erneute Anzeige Erfolg; die Kriminalpolizei hat sich des Falls angenommen und leitete ein Großverfahren ein - inklusive Hausdurchsuchung bei Samuel E. Auch psychosoziale Dienste möchte der zuständige Kriminalbeamte aufklären und über das Gefahrenpotenzial von »Pick-up-Artist« informieren.

Opfer und nicht Täter sexueller Manipulation und Nötigung geworden zu sein, ist in einer patriarchalen Gesellschaft nach wie vor stigmatisiert. »Pick-up-Artist« rechnen damit, dass jene, denen sie Gewalt angetan haben, sich nicht dazu äußern oder sich gar vernetzen. Der Fall von Samuel L. zeigt, wie wichtig es ist, aus feministischer Solidarität Praxis werden zu lassen.

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