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Der Halbgott ist angezählt
Thailands Studenten fordern eine Reform der Monarchie
»Auf den ersten Blick geht hier alles seinen normalen Gang«, sagt ein deutscher Geschäftsmann über das Leben in Bangkok wenige Tage vor der Großdemonstration gegen König und Regime. »Aber unterschwellig ist Nervosität spürbar«, berichtet der Manager, der namentlich nicht in der Zeitung genannt werden will. Sich als Ausländer öffentlich zur Politik in Thailand zu äußern, ist in dem Königreich gefährlich.
Seit Mitte Juli finden beinahe täglich kleinere und größere Proteste von Studierenden statt. Nun hat die Studentenbewegung für den kommenden Samstag zu einer großen Kundgebung auf dem Sanam Luang Platz im Regierungsviertel mit seinen Tempeln und Palästen aufgerufen, der seit Jahrzehnten immer wieder Schauplatz regierungskritischer Proteste ist. 40 000 Teilnehmer erwarten die Veranstalter, während Polizei, Armee und Regierung - kurz: das eisern am Status quo klammernde Establishment - von 20 000 ausgehen.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
»Die thailändische Regierung weiß nicht, was sie von diesen neuen Führern halten oder wie sie mit den Protesten umgehen soll. Aber eines ist klar: Es gibt eine breite und wachsende Unterstützung für die Studentenbewegung in der thailändischen Gesellschaft«, sagt Phil Robertson, Repräsentant der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in Bangkok, zu »nd«. »Die Regierung ist sehr besorgt darüber, dass sie, wenn sie gegen die Bewegung vorgeht, unter den normalen Bürgern eine viel breitere Bewegung der Wut gegen die Regierung auslösen wird.«
Die herrschende Elite versucht es derweil einerseits mit dem Zuckerbrot der vorsichtigen Dialogbereitschaft. Andererseits werden Studentenführer festgenommen, Dissidenten verschwinden spurlos im laotischen Exil, ein thailändischer Regimekritiker wurde in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh entführt.
Die Stimmung in Thailand ist explosiv. Die junge Generation hat die Nase voll von der diktatorischen Politik, der Dominanz des Militärs in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sowie dem Fehlen von Transparenz und Verantwortungsbewusstsein bei den verfassungsmäßigen Institutionen - einschließlich der Monarchie. Mit ihrer Forderung nach der Reform Letzterer haben die Studenten Thailands größtes Tabu gebrochen. Die Generation der Eltern und Großeltern stürzt derweil durch die Coronakrise in den wirtschaftlichen Abgrund. Die Zahl der Arbeitslosen explodiert, und die wirtschaftspolitische Inkompetenz der Regierung von Premierminister und Ex-Putschgeneral Prayut Chan-o-cha wird noch spürbarer als schon vor Corona.
Auf der anderen Seite leben die elitären Superreichen weiter in Saus und Braus und der unpopuläre König Maha Vajiralongkorn verlustiert sich seit Monaten mit großem Hofstaat in einem Hotel in Bayern. Um ein wenig Dampf aus dem Kessel des Volkszorns zu lassen, verzichtete die Regierung kürzlich auf den Kauf von U-Booten, die selbst nach der Meinung konservativer Sicherheitsexperten überhaupt nicht gebraucht werden. Auf Eis gelegt wurde zudem das 28 Milliarden US-Dollar teure Buddeln eines Kanals zwischen dem Golf von Siam und der Andamanensee.
Wie dramatisch die Lage ist, macht Thitinan Pongsudhirak mit der Überschrift »In Thailand zeichnet sich ein Showdown und epochales Endspiel ab« deutlich. Der Direktor des Instituts für Sicherheit und internationale Studien der Chulalongkorn-Universität in Bangkok schreibt in dem Artikel, den er »nd« vorab zur Verfügung gestellt hat: »Unter der neuen Regierung von König Maha Vajiralongkorn haben die herkömmlichen Annahmen und Überzeugungen darüber, wie Thailand funktioniert, keine Grundlage mehr.«
Der thailändische König ist mächtig wie keiner seiner als Halbgötter verehrten Vorgänger seit der Abschaffung der absoluten Monarchie 1932. Bei seiner Thronbesteigung sicherte er sich nicht nur der die alleinige Verfügungsgewalt über das auf mindestens 30 Milliarden US-Dollar geschätzte königliche Vermögen, sondern auch das Kommando über Eliteeinheiten der Armee. Die Regierung hat bereits ultimativ erklärt, dass eine Reform der Monarchie außer Frage steht. HRW-Experte Robertson sagt: »Es ist ziemlich klar, dass die Regierung nicht befugt ist, über dieses Thema zu sprechen. Der eigentliche Entscheidungsträger sitzt in seiner Residenz in Deutschland.«
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