Fahrerlos statt fahrscheinlos

Der Gratis-Tag im Berliner Nahverkehr kommt frühestens nächstes Jahr

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich wollten die Fraktionen von SPD, Linken und Grünen diesen Dienstag zum fahrscheinlosen Tag erklären. Bereits im Februar brachten sie den Antrag, den autofreien Tag, der europaweit jedes Jahr am 22. September begangen wird, im Abgeordnetenhaus ein. »Mit dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) sowie der BVG und der S-Bahn sind frühzeitig Gespräche zu führen, welche ÖPNV-Verbindungen an diesem Tag weiter verstärkt werden können«, hieß es weiter. Anfang des Monats fiel schließlich der Beschluss im Plenum. Daraus ist nichts geworden. Stattdessen wurden die den ganzen September laufenden Mehrwert-Wochenenden auf den Dienstag ausgeweitet. An den Aktionstagen darf mit Wochen- und Monatskarten unabhängig von der örtlichen Gültigkeit im gesamten Tarifgebiet gefahren werden, außerdem gelten Einzelkarten als Tageskarten. Das soll eine Kompensation für die nicht an die Fahrgäste weitergegebene temporäre Mehrwertsteuer-Senkung sein.

»Wir hätten es sehr gut gefunden, wenn gerade an diesem Tag die Chance genutzt worden wäre, den fahrscheinlosen Tag in Berlin einzuführen«, sagt Linke-Verkehrsexperte Kristian Ronneburg zu »nd«. Er sei jedoch »optimistisch, dass wir das im nächsten Jahr schaffen werden. Der Senat ist in der Verantwortung, mit dem VBB darüber zu sprechen.«

Am 1. Oktober tritt die neue BVG-Chefin Eva Kreienkamp ihr Amt an. Sie übernimmt einen kaputtgesparten Betrieb, wie die »Abrechnung des BVG-Verkehrsvertrags für 2019«, die der Senat vergangene Woche zur Kenntnis nahm, beweist. Sie liegt »nd« vor. Bereinigt um die Streiks im vergangenen Jahr, wurden bei der U-Bahn 97 Prozent der ursprünglich vom Senat bestellten Fahrleistung erbracht. Selbst unter Abzug der wegen Fahrzeugmangels neu verhandelten reduzierten Takte auf der U6, U7 und der U9 wurden immer noch 1,2 Prozent der bestellten Leistung nicht gefahren. Sehr schlecht sieht es auch mit der Kundenzufriedenheit aus: Sauberkeit und Gepflegtheit der Fahrzeuge wird mit der Schulnote 2,92 bewertet, bei den Bahnhöfen hat es sogar nur für eine 3,07 gereicht. Die Straßenbahn schneidet zwar in puncto Sauberkeit besser ab, allerdings fielen hier streikbereinigt im Jahr 2019 sogar 3,5 Prozent der vereinbarten Fahrleistung aus, das ursprünglich bestellte Angebot eingerechnet sogar vier Prozent. Beim Bus wurden 1,8 Prozent nicht erbracht.

Die zunächst nicht vom Senat erstatteten Mehrkosten aufgrund des Tarifabschlusses für die Beschäftigten im vergangenen Jahr haben die geplanten Investitionen deutlich gebremst. Mit 392,2 Millionen Euro wurden 88,6 Millionen Euro weniger als geplant investiert, unter anderem bei der Informationstechnologie und der Ausstattung der Betriebshöfe und Werkstätten. Kein gutes Zeichen für mehr Leistungsfähigkeit bei der BVG.

Aus ihren Problemen macht die BVG meist ein Geheimnis. Die »technische Störung«, weswegen vom vergangenen Samstagnachmittag bis Sonntagmorgen zwischen Kottbusser und Halleschem Tor keine Züge fuhren, war eine Entgleisung. Am Samstag fuhr ein Zug am Kottbusser Tor im Wendegleis auf den Prellbock auf, der zweite Wagen sprang aus den Schienen, bestätigt BVG-Sprecherin Petra Nelken auf nd-Anfrage. »Es waren keine Fahrgäste an Bord, und dem Fahrer ist auch nichts passiert«, sagt Nelken. Die Ursache des Unfalls sei noch unbekannt.

Ein Hoffnungstag ist dieser Dienstag jedoch für die Verlängerung der U5 vom Alexanderplatz zum Hauptbahnhof. Die Strecke wird offiziell in die Verantwortung der BVG übertragen. Das geht aus der »nd« vorliegenden Dienstanordnung hervor. Somit können die Schulungs- und Erprobungsfahrten beginnen, damit bei der geplanten Eröffnung am 4. Dezember alles glatt läuft. Wie bereits angekündigt, sind am Bahnhof Museumsinsel die Bauarbeiten an den Straßenzugängen noch nicht abgeschlossen. Bis voraussichtlich Sommer 2021 wird die Station ohne Halt durchfahren.

Auch die Rathausstraße wird bis 2021 Baustelle bleiben, hier muss die Auflast reduziert werden, indem Asphalt, Beton und Sand durch einen sehr leichten Schotter aus aufgeschäumten Glas ersetzt werden. Dabei gibt es immer wieder Überraschungen. »So wurde bereits alte Munition gefunden und auch 30 Prozent mehr Leitungen, als in den Plänen ursprünglich eingezeichnet waren«, heißt es im Bautagebuch der BVG Projekt GmbH, die für den Bau verantwortlich ist.

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