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»Wir brauchen Ärzte, nicht Polizisten«
Corona-Einschränkungen in Madrid treffen vor allem Menschen in den armen Vierteln
Aufstehen, anziehen, durch die Polizeikontrolle in die schicken Stadtviertel fahren, den wohlhabenden Madrilenen Essen und Trinken servieren, in der vollgestopften Metro heimfahren und in deinem Viertel bleiben, damit die Polizei dich nicht bestraft. Das ist für mindestens die nächsten zwei Wochen Lebensrealität einiger Mitbürger der vornehmlich armen Viertel in der spanischen Hauptstadtregion.
Hier steigen die Zahlen der mit Sars-CoV-2-Infizierten weiter stark an. In den vergangenen 14 Tagen hat die Autonome Region Madrid knapp 42 000 neue Fälle festgestellt. Nachdem die konservative Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso sich monatelang über die sozialistische Zentralregierung beschwert hat, weil deren Maßnahmen der Wirtschaft schaden würden, hat sie zu lange gewartet, seit sie die Macht über ihre Region mit Ende des Alarmzustandes zurückbekommen hat. Die zweite Infektionswelle schwappte über Madrid herein. Nun braucht Díaz Hilfe. Am Montag traf sie sich nach Redaktionsschluss mit dem sozialdemokratischen Premierminister Pedro Sánchez.
Gleichzeitig hat ihre Regierung nun selbst harte Maßnahmen ergriffen. Den Vierteln der Hauptstadt und umliegenden Gemeinden, die am stärksten betroffen sind, hat sie eine Ausgangssperre auferlegt und damit die Bewegungsfreiheit in insgesamt 37 Gebieten eingeschränkt. Diese befinden sich vor allem im Süden von Madrid. Es handelt sich um Arbeiterviertel mit hoher Bevölkerungsdichte, in denen verstärkt linke Parteien gewählt werden, die Wohnungen klein sind und zu viele Menschen meist aus mehreren Generationen in einem Haushalt leben.
Ihre Parks und Spielplätze sind nun geschlossen. Die Nutzfläche der Lokale ist auf 50 Prozent reduziert und um 22 Uhr ist Sperrstunde. Mehr als 850 000 Menschen dürfen in den kommenden zwei Wochen ihren Bezirk nur verlassen, um Kranke zu pflegen, zum Arzt zu gehen, in die Schule oder zur Arbeit. Ab Mittwoch, dem 23. September, werden in der Stadt Madrid 200 Polizisten an 60 Kontrollstellen nicht nur auf diese Einschränkungen hinweisen, sondern auch Strafen verhängen.
Am vergangenen Sonntag haben die Menschen deshalb protestiert. Gegen die Ungleichheit und für eine bessere Finanzierung der Infrastruktur und des Gesundheitssystems. Das war riskant, heißt es von den Kritikern. Die Abstandsregeln wurden nicht eingehalten. Aber wie an vielen anderen Orten auf der Welt ist auch in der spanischen Hauptstadtregion die Hilflosigkeit zu groß. Die Betroffenen versuchen auf ihre Situation aufmerksam machen. »Wir brauchen Ärzte, nicht Polizisten«, heißt es.
Schon in der vergangenen Woche hat eine von vielen Ärztinnen auf Twitter geklagt, dass sie bis zu 140 Termine pro Tag hat. Die Gesundheitszentren in Madrid sind schon wieder kurz vor dem Kollaps. Die Überlegung steht im Raum, das Notlazarett auf dem Madrider Messegelände Ifema wiederzueröffnen, in dem es im Frühjahr 5500 Betten für Covid-19-Patienten gab. Das medizinische Personal ist erschöpft.
Während die einen überarbeitet sind, fällt den anderen der Arbeitsplatz weg. Die Gastronomie und der Tourismus sind besonders stark betroffen. Überall kämpfen Unternehmen ums Überleben. Eine Chefin, die selbst im wohlhabenden Viertel Salamanca lebt, wo die Sperrstunde weiterhin erst um ein Uhr ist und Parks und Spielplätze geöffnet bleiben, kritisierte aus betont liberal-konservativer Sicht die neuen Maßnahmen. Sie argumentiert, dass ihr Unternehmen nur noch wegen ihrer Angestellten existiert. Und dass diese täglich ihr Leben und das ihrer Angehörigen riskieren, um zur Arbeit zu gehen. Entweder ein kompletter Lockdown oder gar keiner.
Die Regionalregierung hat versagt. Sie hat zu spät reagiert. Sie hat zugeschaut, wie sich die Menschen infiziert haben, dort, wo es absehbar war. Dort, wo die prekären Lebensverhältnisse das Risiko einer Corona-Infektion erhöhen. Die politische Reaktion kriminalisiert einen Teil der Bevölkerung und bestraft ihn mit Maßnahmen, deren Sinn fragwürdig ist.
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