Der lange Schatten der Sayn-Wittgenstein

Konflikte in der AfD Schleswig-Holstein verschärfen sich nach dem Zerfall der Landtagsfraktion

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer verstehen will, wie tief zerstritten die AfD in Schleswig-Holstein ist, muss sich anschauen, wie die Spitzenfunktionäre im nördlichsten Landesverband mit dem harten Schlag umgehen, den ihnen der Abgeordnete Frank Brodehl am Freitag mit seinem überraschenden Austritt aus der Partei und der Kieler Landtagsfraktion verpasst hat. Immerhin sind die Folgen aus AfD-Perspektive katastrophal und identisch mit denen, die nur wenige Tage zuvor den niedersächsischen Landesverband mit dem Zerfall seiner Parlamentsfraktion ereilten: Durch den Verlust ihres Fraktionsstatus im Kieler Landtag verlieren die Rechten staatliche Fördermittel, Mitarbeiter und einen Teil ihrer parlamentarischen Rechte. Um eine Fraktion bilden zu können, braucht es mindestens vier Abgeordnete, die AfD kommt nach Brodehls Abgang aber nur noch auf drei Mitglieder.

Obwohl die Krise kaum größer sein könnte, fallen die Reaktionen vielsagend aus: Am Samstag äußerten sich der Vorsitzende der bisherigen AfD-Fraktion, Jörg Nobis, als auch der stellvertretende Landeschef Jochaim Schneider zu Brodehls Entscheidung. Obwohl beide Spitzenfunktionäre seinen Austritt scharf kritisierten, taten sie dies in getrennten Presseerklärungen.

Zufall ist das alles nicht. Seit Jahren tobt in der Nord-AfD derselbe Machtkampf wie in der gesamten Partei. Der Unterschied: In Schleswig-Holstein ist die AfD im Vergleich zu ihren Gliederungen in Ostdeutschland oder im Süden der Bundesrepublik schwach aufgestellt. Der Einzug in den Kieler Landtag gelang 2017 mit nur 5,9 Prozent denkbar knapp. Glaubt man den Äußerungen Brodehls, wird die AfD Schleswig-Holstein durch Kräfte des formal aufgelösten »Flügel« kontrolliert. »Sowohl der Landesvorstand als auch die deutliche Mehrheit der Kreisvorstände« befördere systematisch die Radikalisierung der Partei, erklärt der fraktionslose Abgeordnete. Im Landesverband herrsche ein »völkisch-nationalistischer Grundton«, warnt Brodehl.

Diese Einschätzung bestätigt Michael Lühmann vom Institut für Demokratieforschung Göttingen. Der Landesverband sei ein spezieller, »mit besonders starken Rechtsauslegern«, so Lühmann gegenüber »nd«. Er ist überzeugt, dass die AfD bei der nächsten Landtagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnte. Ohnehin sei die Partei im Norden nur eine Art Unfall, so Lühmann.

Nach dem rechtsextremen Brandanschlag 1992 in Mölln und dem Einzug der rechtsextremen DVU Mitte der 90er Jahre in den Landtag habe sich Schleswig-Holstein inzwischen zu einem »durchliberalisierten Land« entwickelt, so der Politologe. Auch die CDU ist laut Lühmann deutlich liberaler als in anderen Bundesländern. Die AfD hat es deshalb ohnehin schwer. Aufällig ist, wie oft in einer am Freitag von Brodehl veröffentlichten Stellungnahme der Name einer Ex-Funktionärin fällt, mit der die Partei zumindest offiziell gebrochen hat. Gleich sechs Mal erwähnt er die frühere Landesvorsitzende Doris von Sayn-Wittgenstein. Die Politikerin wurde bundesweit schlagartig bekannt, als sie 2017 auf dem Bundesparteitag in Hannover vom »Flügel« unterstützt als Bundesvorsitzende kandidierte. Zwar scheiterte sie knapp, doch das wesentliche Ziel, den Berliner AfD-Politiker und erklärten »Flügel«-Gegner Georg Pazderski als Parteichef zu verhindern, wurde erreicht.
Daraufhin hätte Sayn-Wittgenstein in der AfD vermutlich dennoch eine Karriere bevorgestanden, wäre sie 2018 nicht über die Enthüllung gestolpert, wonach sie früher einen rechtsextremen Verein unterstützt haben soll, der von der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck gegründet wurde.

Was folgte, war ein langes Hin und Her, ein Auschluss Sayn-Wittgensteins erst aus der Fraktion, dann aus der Partei, sowie Widersprüche und Klagen vor Partei- und Zivilgerichten. Bezeichnend an der Auseinandersetzung war, dass sich ihr Landesverband demonstrativ für Sayn-Wittgenstein einsetzte und dafür sogar die offene Konfrontation mit dem Bundesvorstand suchte. Noch während das Parteiauschlussverfahren lief und es schon damals nicht besonders gut für die Politikerin aussah, wurde sie im Juni 2019 noch einmal zur Landesvorsitzenden gewählt. Nur zwei Monate später erfolgte dann aber Sayn-Wittgensteins endgültiger Rauswurf.

Dieser Streit wirkt bis heute nach. Der Landesvorsitz ist seit ihrem Ausschluss unbesetzt, der erste Stellvertreter Schneider führt seitdem die Amtsgeschäfte. Der Verlust ihrer Parlamentsfraktion dürfte die AfD in Schleswig-Holstein weiter schwächen, auch wenn der bisherige Fraktionschef Nobis in einer Erkärung demonstrativ von einer »positiven Entwicklung« im Landesverband spricht. Gleichzeitig räumt aber auch er ein, dass es seit drei Jahren Differenzen gibt, die sich »zusehends vertiefen«.

Nobis und Landesvize Schneider sind Teil dieses andauernden Machtkampfes. Spätestens seit der Causa Sayn-Wittgenstein gilt ihr Verhältnis als schwer belastet.

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