Investorenalbtraum

Initiativen kritisieren die Pläne für einen pompösen Konsumtempel am Berliner Hermannplatz.

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 5 Min.

Es ist aktuell wohl eines der umstrittensten Bauvorhaben in Berlin. Das Karstadt-Kaufhaus am Hermannplatz soll, wenn es nach dem Eigentümer geht, zugunsten eines historisierenden Neubaus abgerissen werden. Wobei der Streit darüber längst die Landesebene erreicht hat. Bei einer Podiumsdiskussion der SPD mit ihrem Parteikollegen und Regierenden Bürgermeister Michael Müller war am Mittwochabend von all den Konflikten um den Kartstadt-Neubau gleichwohl wenig zu spüren. »Es gibt einen guten Grund, dass der Begriff Stadtentwicklung und nicht Stadtstillstand heißt«, sagte Müller in Richtung der zumindest auf der SPD-Veranstaltung zahlenmäßig nur schwach vertretenen Kritiker der Karstadt-Pläne.

Der Eigner von Galeria Karstadt Kaufhof, die Signa Holding des österreichischen Immobilienmilliardärs René Benko, will anstelle des jetzigen Kaufhauses einen pompösen Neubau im Stil der 1920er Jahre errichten. Der derzeitige Bau sei »nicht mehr zukunftsfähig«, begründete der Deutschland-Chef von Signa, Timo Herzberg, das Vorhaben. Außer der Architektur ist indes nur wenig Konkretes über das Neubauvorhaben bekannt. Auch Herzberg erklärte lediglich, dass es neben der Ladenfläche auch Büros, eine Kita, bezahlbare Wohnungen, öffentlich zugängliche Flächen und Platz für Vereine geben soll. So wolle man die Attraktivität des Standortes und des angeschlagenen Einzelhandels erhöhen und - Überraschung - mehr Kunden anlocken.

Anders als die sozialdemokratischen Neubaufreunde kritisieren Stadtteilinitiativen das Vorhaben vehement. Ihre Befürchtung: Ein luxuriöser Neubau als berlinweiter, auch touristischer Anziehungspunkt könnte sich auf das ohnehin schon von massiven Aufwertungsprozessen betroffene Gebiet rund um den Hermannplatz noch einmal zusätzlich auswirken. Die verschiedenen stigmatisierten Bevölkerungsgruppen, die hier zusammenkommen, würden dadurch verdrängt werden, kritisiert etwa die Initiative Hermannplatz. »Der Hermannplatz soll großstädtischer Platz für alle bleiben und nicht zu einem bereinigten Vorplatz für Investorenträume werden«, heißt es in ihren Forderungen.

Dass die Initiative mit ihren Befürchtungen nicht ganz falsch liegen dürfte, davon zeugen auch die Vorstellungen des Neuköllner Bezirksbürgermeisters Martin Hikel (SPD). Für ihn stehe im Mittelpunkt, dass sich am Hermannplatz etwas bewege und der Karstadt-Standort erhalten bleibe. Zugleich sei es sein persönlicher Traum, »dass diese Aufkleber, die es mal gab - ›Du hast Angst vorm Hermannplatz‹ - Quatsch sind, auch wenn das für die wenigsten mittlerweile noch gilt«. Der Platz, der aktuell eine »schlechte Aufenthaltsqualität« bieten würde, solle zu einem »Wohlfühlort für alle« werden. Im Karstadt-Neubau solle sich dann auch das Quartier widerspiegeln. So könne sich Hikel gut vorstellen, dass es dort beispielsweise ein Angebot für suchtkranke Menschen gebe.

Signa bemüht sich derweil nach Kräften, den Anschein zu erwecken, bei seinem Neubauvorhaben auch auf die Beteiligung der Zivilgesellschaft zu setzen. Bei der Podiumsdiskussion ist die Rede von 5000 Quadratmetern, die günstig an Kiezinitiativen und Vereine vermietet werden könnten. Auch könne man sich vorstellen, die geplante Dachterrasse ohne Konsumanreize öffentlich zugänglich zu machen. Deutschland-Chef Herzberg betonte, dass es sich hierbei nicht um »Nebelbomben« handele.

Dass Anwohner die negativen Auswirkungen einer Aufwertung fürchten, war der SPD am Mittwoch bewusst. »Das Quartier hat sich dramatisch verändert«, erkannte der Regierende Bürgermeister, um dann hinzuzufügen: »Unterm Strich wird man die Entwicklung, dass sich dieses ganze Quartier und Areal verändert, auch nicht aufhalten können und aus meiner Sicht auch nicht aufhalten sollen.« Stattdessen müsse man die Veränderung gestalten und das auch mit Partnern wie Signa, so Müller.

Während die SPD hinter den Signa-Plänen steht, sieht es bei den beiden Koalitionspartnern Grüne und Linke weitaus weniger einhellig aus. Dabei verlaufen die Konfliktlinien sowohl zwischen Bezirks- und Landesebene als auch zwischen Partei- und Regierungspersonal. Einer der prominentesten Kritiker der Pläne ist dabei der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne) - was nicht ganz irrelevant ist, schließlich liegt das Kaufhausareal selbst in dessen Bezirk, während bereits der Bürgersteig des Hermannplatzes zu Neukölln und damit in das Zuständigkeitsgebiet von SPD-Bürgermeister Hikel gehört. Bei einer Anhörung im Abgeordnetenhaus Anfang September lenkte zuletzt jedoch auch Schmidt ein und sprach sich für ein ergebnisoffenes Masterplanverfahren aus, an dem die Bürger intensiv beteiligt werden. Schmidt will aber zum Unmut von Signa zuerst über die Investition und Nutzung reden, bevor es um die Architektur des Neubaus geht.

Innerhalb der Linkspartei hat vor allem die Anfang August unterzeichnete Absichtserklärung zwischen Senat und Signa für Zoff gesorgt. Der von Kultursenator Klaus Lederer und der ehemaligen Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (beide Linke) mitausgehandelte »Letter of Intent« sichert Signa zu, dass sich der Senat für die Hochhausprojekte am Kurfürstendamm und Alexanderplatz sowie für den Neubau am Hermannplatz einsetzt. Im Gegenzug garantiert die insolvente Kaufhaussparte des Signa-Konzerns, die Arbeitsplätze an vier Berliner Standorten, die ursprünglich zur Schließung vorgesehen waren, für drei bis zehn Jahre zu erhalten. Auf dem Landesparteitag der Linken wurde die Übereinkunft als »Erpressung« kritisiert.

Laut der Absichtserklärung müssten noch in dieser Legislaturperiode die Ergebnisse eines Masterplanverfahrens für die Bebauung festgehalten werden. Ansonsten könnten Berlin Schadensersatzforderungen drohen. Denn indem die Kaufhauskette zuletzt die Mietvertragsverhandlungen für ihre weiteren Berliner Standorte abschloss, konnte sie - zufälligerweise ebenfalls am Mittwoch - ihr Insolvenzverfahren beenden. Doch bevor das Masterplanverfahren mit Bürgerbeteiligung startet, muss erst noch geklärt werden, ob Friedrichshain-Kreuzberg weiter zuständig bleibt oder der Senat dem Bezirk das Verfahren entzieht. So oder so wird es nach der Schätzung von Signa-Deutschland-Chef Herzberg mindestens dreieinhalb Jahre dauern, bis das Bebauungsplanverfahren inklusive parlamentarischer Entscheidung abgeschlossen ist. Herzberg schaut sich unterdessen bereits nach temporären Ausweichstandorten für die Zeit des Neubaus um.

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