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Ein Krieg der Selbstbereicherung
In Libyen mischen viele Milizen mit. Auch die Bedeutung ausländischer Söldner nimmt zu
Wenn man in der Uno, der EU, im Bundestag oder in den meisten Medien vom Krieg in Libyen spricht, ist meistens von zwei Kriegsparteien die Rede. Im Westen dominiert die international anerkannte Einheitsregierung (GNA) mit Sitz in Tripoli. Im Osten sitzt General Khalifa Haftar, der seine Gebiete zwar von einem Parlament mit Sitz in der ostlibyschen Stadt Tobruk leiten lässt, doch de facto das Sagen hat. Seit der Regierungsspaltung 2014 herrscht in Libyen der sogenannte zweite libysche Bürgerkrieg. Doch wie stark vereinfacht die Darstellung von zwei konkurrierenden Seiten ist, wurde zuletzt wieder am Freitag deutlich, als wütende Demonstranten in Tajoura, einem Vorort der Hauptstadt Tripoli, mehrere Straßen absperrten.
Tage zuvor wurden dort mehrere junge Männer unter noch ungeklärten Umständen von der lokalen Miliz - der Daman - erschossen. Denn diese bewaffneten Gruppen, die teils maßgeblich an dem Sturz des langjährigen Präsidenten Muammar al-Gaddafi 2011 beteiligt waren, sind zu den mächtigsten Akteuren im Land aufgestiegen. Die Regierungsarmee der GNA sowie auch Haftars Libysche Nationale Armee (LNA) bestehen faktisch nicht aus einem zentral verwalteten Heer, sondern aus vielen lokalen Milizen. Diese bekunden zwar ihre Loyalität gegenüber der einen oder anderen Seite, stehen jedoch nicht unter ihrer Kontrolle.
Bereits unter Gaddafi spielten einzelne Stämme und ihre bewaffneten Flügel im Staatsapparat eine zentrale Rolle. Doch durch geschicktes Taktieren hatte Gaddafi sie in die staatlichen Strukturen integrieren und somit auch verstärkt kontrollieren können. Nach dem Sturz und der Tötung Gaddafis durch Rebellen fehlt eine Zentralmacht. Die einst integrierten Gruppen konkurrieren heute mit Gewalt um die Ressourcen. Es geht etwa um die reichen Öl- und Gasvorkommen.
Beide - die GNA wie auch General Haftar - versuchen sich derweil am System Gaddafi. Sie verleihen den einzelnen Milizen staatliche Verfügungsgewalt. Diese tragen dann in ihren Vierteln und Dörfern die Abzeichen der Polizei oder des Militärs. Doch vorrangig ist für diese Gruppen nicht die Wahrung von Ruhe und Ordnung, sondern die eigenen Interessen. Deshalb kommt es regelmäßig vor, dass sie sich untereinander bekämpfen, Ölfelder besetzen oder die Bevölkerung malträtieren. Am vergangenen Mittwoch verweigerten Pro-Haftar-Milizen einem zivilen Luftfahrzeug der staatlichen Firma Afriqiyah die Landung in der südlichen Stadt Sabha. Das Flugzeug musste daraufhin umkehren und nach Tripoli zurückfliegen.
Nicht zuletzt deshalb setzt die GNA wie auch Khalifa Haftar auf ausländische Kräfte, um die staatlichen Interessen militärisch durchzusetzen. Auf Seiten der GNA sollen mittlerweile mehr als 5000 syrische Söldner kämpfen, eingeflogen durch die Türkei. Diese bietet nämlich den in Syrien auf dem Rückzug stehenden Rebellen einen lukrativen Ausweg aus dem Krieg, den der ihnen verhasste Präsident Baschar al Assad wohl gewinnen wird. Etwa 3000 US-Dollar sollen Syrer monatlich bekommen, wenn sie sich freiwillig für den Kampf in Libyen anmelden. Für lokale Akteure sind diese Söldner jedoch nicht nur eine tatkräftige Unterstützung im Kampf gegen die ostlibysche LNA - dank ihrer und türkischer Hilfe konnte die einjährige Belagerung der Hauptstadt durch den General Haftar beendet werden. In den vergangenen Monaten kam es vor allem in Tripoli zu Kämpfen zwischen Syrern und libyschen Kräften. Im Osten setzt Haftar vorrangig auf Söldner aus dem Sudan und aus Russland. Im Juni verkündete die staatliche Ölfirma, russische Söldner der kremlnahen Gruppe Wagner hätten eins der größten Ölfelder des Landes unter ihre Kontrolle gebracht.
Ganz egal wie sich die GNA und Haftar in Zukunft einigen werden, oder ob doch noch eine Seite den Krieg gewinnen sollte - die größte Hürde der Regierung für eine friedliche Zukunft des Landes wird die militärische und politische Entwaffnung der unzähligen bewaffneten Fraktionen sein, die vom andauernden Chaos profitieren.
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