Was, wenn Donald Trump ausfällt?

Die Erkrankung des Präsidenten stürzt nicht nur den US-Wahlkampf ins Ungewisse

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Man müsse immer mit mindestens einer »October surprise« rechnen. Dass die Oktober-Überraschung nun als Covid-19-Diagnose für den zur Wiederwahl angetretenen Donald Trump daherkommen würde, dürfte manche Kalkulationen jedoch über den Haufen geworfen haben. Zwar kommt Trumps Infektion wegen seines demonstrativ geringschätzigen Umgangs mit dem Virus wahrlich nicht überraschend. Doch die neue und offene Lage reibt sich, 29 Tage vor dem Wahltermin, an Trumps bisheriger Wahlbotschaft zur Virusbekämpfung: »Everything is getting better and will soon be fine« - alles wird sich bessern und bald bestens sein.

Plötzlich rücken ganz andere Fragen nach vorn, zum Beispiel: Was geschieht, wenn Trump (74 Jahre alt und seit Wochenende im Militärkrankenhaus Walter Reed in Bethesda nördlich von Washington) amtsunfähig werden sollte? Die 25. Ergänzung der Verfassung regelt, dass der Vizepräsident für einen erkrankten oder anderweitig arbeitsunfähigen Präsidenten die Geschäfte übernehmen kann. Praktisch kann das so aussehen, dass Trump seinen Vize Mike Pence (61) ersucht, seine Stelle zu übernehmen. Kann der erkrankte Präsident diesen Wechsel nicht selbst initiieren, ist sein Stellvertreter befugt, sofern er die Billigung von acht Kabinettsmitgliedern und die Unterstützung des Kongresses, des Bundesparlaments hat. Der Vizepräsident amtiert bis zur Wiederherstellung des kranken Präsidenten. Sollte auch der Vize etwa wegen eigener Erkrankung nicht fähig sein, die Geschäfte zu führen, sieht die Verfassung die Übertragung der Präsidentschaft auf den Sprecher des Repräsentantenhauses vor. Aktuell ist dies eine Frau der Demokraten, die in der ersten Kammer des Kongresses die Mehrheit haben, die kalifornische Abgeordnete Nancy Pelosi (80).

Welche Folgen hat die Erkrankung des Präsidenten und etwaige Arbeitsunfähigkeit für die Wahl und die bis 20. Januar laufende Übergangsperiode zur Amtseinführung des neuen (Joe Biden von den Demokraten) oder wiedergewählten Präsidenten Trump? Hier betreten wir unübersichtlicheres Gelände. Das ergibt sich unter anderem daraus, dass bereits einige Millionen der über 200 Millionen wahlberechtigten US-Amerikaner als Frühwähler abgestimmt haben, darunter Bürger im Ausland. Sollte ein wiedergewählter Trump in der Übergangszeit zwischen Wahltag und Amtsübergabe sterben, würde gemäß 20. Verfassungszusatz sein Vize als Präsident ins Amt kommen. Würde der erkrankte Präsident dagegen vor dem Wahltag im November sterben oder dauerhaft amtsunfähig werden, sähen sich die USA nach Meinung von Verfassungsexperten wohl einer Staatskrise gegenüber.

Zu beachten ist auch, dass US-Wähler im Unterschied zu anderen Staaten wie Deutschland oder Großbritannien bei der Präsidentenwahl für eine Person und nicht für eine Partei stimmen. Es kann daher eine Situation entstehen, in der republikanische oder als Unabhängige eingetragene Wähler zwar Trump ablehnen, aber gern für Pence stimmen würden, sollte dieser Kandidat sein. Andererseits: Müsste Trumps Name vom Wahlzettel genommen werden, wäre die Pence-Wahl undemokratisch, denn er stand in den Vorwahlen als Präsidentschaftskandidat nirgendwo zur Diskussion.

Könnte der Wahltermin 3. November verschoben werden? Theoretisch ja, allerdings bestehen hohe verfassungsrechtliche Hürden. Das Datum für Präsidentschaftswahlen ist seit 1845 gesetzlich geregelt und bisher in Krisen wie in Kriegen eingehalten worden. Erst kürzlich wurde Trump von seinen eigenen Republikanern zurückgewiesen, als er mit Blick auf die Coronakrise über eine Verschiebung des Wahltermins nachdachte. Das Gesetz bestimmt als Wahltermin den Dienstag nach dem ersten Montag im November, dieses Jahr ist das der 3. November. Eine Terminverlegung kann allein der Kongress bewirken und zwar mit Zustimmung seiner beiden Kammern, des Repräsentantenhauses wie des Senats. Doch selbst für diesen Fall wäre eine Anfechtung vor Gerichten nicht ausgeschlossen. Und eine weitere Hürde für Terminverlegung existiert in dem Verfassungsgrundsatz, wonach der am 3. November gleichfalls neu zu wählende Kongress am 3. Januar seine Arbeit aufnimmt und der Präsident am 20. desselben Monats sein Amt antritt.

Was wäre der schlimmste Fall in der jetzigen Lage? Auch hierfür sind potenziell verschiedene Szenarien denkbar. So könnte neben einem krankheitsbedingten Ausfall Trumps auch sein Herausforderer Joe Biden ausfallen. Der 77-Jährige wurde zwar negativ auf das Coronavirus getestet, doch Biden befand sich während der ersten Fernsehdebatte beider Kontrahenten in Cleveland längere Zeit in Trumps Nähe. Sollten, weitere Hypothese, krankheitsbedingt und vorm Wahltag gar beide Präsidentschaftsanwärter vom Wahlzettel genommen werden, könnte die Nominierung neuer Kandidaten in beiden Parteien und die Ausgabe neuer Wahlscheine nicht nur eine neue Gesetzgebung und womöglich die Einschaltung des Obersten Gerichts, sondern auch die Notwendigkeit einer Verfahrensübereinkunft zwischen Republikanern und Demokraten nach sich ziehen.

Wie steht es im Lichte von Trumps Krankenhausaufenthalt um die Regierungsgeschäfte? Bislang werden sie von Trump aus der 9-Zimmer-Präsidentensuite im Walter Reed Army Medical Center ausgeübt. In jedem Fall stellt die Krankenhauseinweisung in Verbindung mit dem neuen Coronavirus die größte Bedrohung für einen amtierenden US-Präsidenten seit 1981 dar, als der damalige Amtsinhaber Ronald Reagan nach einem Attentat notoperiert werden musste. Hinzukommt eine beispiellose, ganz mit Donald Trump verbundene Besonderheit. Eine Ikone des US-Fernsehens, Journalistenveteran Dan Rather (88) hat sie Sonntag mit diesen Worten getwittert: »Was wir momentan nicht wissen, ist viel mehr als das, was wir wissen. Und wir haben es mit einer Regierung zu tun, die ihre Glaubwürdigkeit schon vor sehr langer Zeit verspielt hat. Jede Berichterstattung dieser heutigen Krise sollte diese Wahrheiten zum besseren Verständnis im Hinterkopf behalten.«

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