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Schmutziger Tarifstreit
Warnstreik bei der Stadtentsorgung Potsdam lief nicht so geordnet wie üblich
An diesem Mittwoch wird es in Brandenburg schwierig, ein Konto bei der Sparkasse zu eröffnen. Denn die Gewerkschaft Verdi hat die Angestellten zu einem ganztägigen Warnstreik aufgerufen. Kunden könnten vor einer geschlossenen Filiale stehen oder längere Zeit warten müssen, bis sie an der Reihe sind. Am Donnerstag sollen dann beispielsweise die Cottbuser Stadtverwaltung und die Arbeitsagentur bestreikt werden.
In den Tarifverhandlungen des Bundes und der Kommunen fordert Verdi 4,8 Prozent mehr Lohn. Für den 22. Oktober ist die nächste Verhandlungsrunde anberaumt. Bis dahin kann es in Potsdam auch noch einmal sein, dass sich die Leerung der Mülltonnen verzögert. Am 1. Oktober gab es bei der Stadtentsorgung Potsdam GmbH (STEP) den ersten Streik seit zwölf Jahren - und Gewerkschaftssekretär Stefan Bornost geht davon aus, dass das im aktuellen Tarifstreit nicht der letzte Warnstreik bei dieser halbstaatlichen Firma gewesen ist.
Gewöhnlich sei so ein Warnstreik im öffentlichen Dienst eine »stinknormale« Sache, nichts Aufregendes, erklärt Bornost. Nicht so am frühen Morgen des 1. Oktober vor der Logistikzentrale der STEP. Streikende hatten mit Fahrzeugen das Tor versperrt. Kollegen, die sich nicht am Ausstand beteiligen wollten, konnten deshalb nicht mit ihren Müllautos losfahren. Schließlich wurde die Polizei geholt und die Blockade aufgelöst.
Damit nicht genug. Geschäftsführer Burkhardt Greiff soll ein Transparent vom Zaun gezerrt haben. Das sei sein gutes Recht, bestätigt Gewerkschafter Bornost, da der Zaun zum Betriebsgelände gehöre. Greiff habe das Transparent jedoch mitnehmen, quasi klauen wollen. Da habe ein hauptamtlicher Kollege von Verdi mit den Worten »Das bleibt hier« zugegriffen und es sei zu einem kurzen »Tauziehen« um das Transparent gekommen. Nicht bestätigen kann Bornost eine andere Darstellung, wonach der STEP-Chef Arbeiter am Kragen gepackt und beschimpft haben soll. Von Handgreiflichkeiten schrieb die Lokalpresse. Dergleichen habe er aber nicht beobachtet, sagt Bornost.
Die Missstimmung erklärt der Gewerkschafter unter anderem mit der ungewöhnlichen Unternehmensstruktur. Die STEP gehört zu 51 Prozent den kommunalen Stadtwerken und zu 49 Prozent der privaten Remondis SE & Co KG. Obwohl die Kommune die Mehrheit der Firmenanteile hält, stellt Remondis beide Geschäftsführer. Greiff ist 2015 eingesetzt worden. Er hatte also vorher keinen Streik bei der STEP erlebt, und er kenne sich offenbar nicht mit den Gepflogenheiten aus, vermutet Bornost. Die Berliner Stadtreinigung (BSR) zum Beispiel stelle für Streiks sogar Fahrzeuge zur Verfügung, mit denen die Beschäftigten zur Gewerkschaftskundgebung fahren können. Bei der BSR seien aber auch 80 Prozent der Beschäftigten in der Gewerkschaft organisiert. Bei der STEP waren es zunächst nur 42 von rund 300 Mitarbeitern. »Die Quote war unterirdisch«, bekennt Bornost. Mittlerweile seien aber fast 100 Kollegen der Stadtentsorgung Potsdam Mitglied der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.
Für Verbitterung habe gesorgt, dass die Fahrer von Müllautos Nachrichten von ihren Vorgesetzten mit der Fragen erhielten, warum sie so lange an einem Fleck stehen. Überprüfen lasse sich das per GPS. Die Geräte seien in Müllfahrzeugen handelsüblich verbaut. Sie dienten eigentlich dazu, Touren zu optimieren. Gleich einen Rüffel zu bekommen, wenn sie bei 35 Grad Hitze mal an den Straßenrand fahren und sich etwas zu trinken kaufen, das ärgere die Arbeiter, die ihre Arbeit eigentlich gern machen und gut machen wollen, sagt Bornost.
Der Linke-Kreisvorsitzende Roland Gehmann möchte den Streitigkeiten ein Ende machen und hat eine Idee, wie das gelingen könnte. »Die Abfallentsorgung als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge gehört vollständig in öffentliche Hand«, meint er. Die Stadt Potsdam sollte die STEP komplett rekommunalisieren, also die privaten Firmenanteile zurückkaufen. Dann könnten die Mitarbeiter auch anständig bezahlt werden, anstatt Remondis Überschüsse auszuzahlen.
Gewerkschafter Bornost kennt das Argument, dass Müllautos und Straßenreinigungsfahrzeuge als Teil eines großen Konzerns zu günstigeren Preisen zu beschaffen sind. Dennoch sagt er: »Ich unterstütze ausdrücklich die Forderung nach Rekommunalisierung, da meine Organisation prinzipiell davon ausgeht, dass die öffentliche Daseinsvorsorge nicht in private Hände gehört.«
Stadtwerke-Sprecher Göran Böhm möchte sich zu einer solchen politischen Frage nicht äußern, auch nicht dazu, was denn nun wirklich am 1. Oktober geschehen sei. Böhm versichert jedoch, dass Stadtwerke und Stadtentsorgung weder die Tarifautonomie noch das Streikrecht infrage stellen. Sagen könne er, bei dem GPS-System gehe es keineswegs um die Überwachung der Mitarbeiter, sondern darum, für die Abrechnung einen Nachweis zu haben, wo die Mülltonnen abgeholt worden sind. Es gebe dazu auch zwei Betriebsvereinbarungen.
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