Weiter so mit viel Gebrüll

Trumps Politik steht weit mehr in Kontinuität zu seinen Vorgängern, als viele glauben. Von Joshua Rahtz

  • Joshua Rahtz
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Trump-Spektakel hat den Blick auf die Wirklichkeit enorm verzerrt. Sein Temperament ist ein Glücksfall für die Medien, deren Rhetoriken und Fehlgriffe seiner Bombastik kaum nachstehen. So ergoss sich beispielsweise ein steter Strom von Vorwürfen der »Absprache« mit Russland auf die Titelseiten, nur um kurz darauf dementiert zu werden. Das Resultat ist eine präzedenzlose Mystifizierung von Trumps Person und Politik. Was aber ist seine Bilanz? Vollzog Trump einen Bruch oder überwiegt die Kontinuität - bei aller Feindseligkeit durch die Vorposten des überparteilichen Establishments?

2015 startete Trump mit den Versprechen, Industriearbeitsplätze zurückzuholen und militärische Abenteuer zu begrenzen. Mit seinem Showtalent zielte er weniger auf die Arbeiterklasse im »Heartland« als auf eine kleinbürgerliche Schicht, die gute Gründe hatte, Standortverlagerungen und Finanzialisierung der Wirtschaft abzulehnen. Bemerkenswert ist, wie er in der ersten Fernsehdebatte gegen Hillary Clinton im September 2016 die wirtschaftliche Lage beschrieb: »Glaubt mir, wir stecken inmitten einer Blase und das einzige, was gut aussieht, ist der Aktienmarkt. Erhöht man die Zinsen, wird alles zusammenbrechen.«

Konsequent appellierte seine Kampagne an regional tätige Kapitalisten. Er schwor, China-Importe zu bezollen, das Freihandelsabkommen NAFTA mit Kanada und Mexiko umzubauen sowie die Unterstützung der NATO herunterzufahren. Das wäre ein politischer Bruch gewesen. Aber hat er ihn auch vollzogen?

Innenpolitisch heißt die Antwort deutlich Nein. Kaum im Amt, senkte Trump die Steuern für Unternehmen. Das konterkarierte nicht nur seine Versprechen, an die vergessenen Opfer der Globalisierung zu denken. Sondern war im Grunde eine typisch neoliberale Maßnahme, die die Politik nicht nur George W. Bushs, sondern auch Barack Obamas - früh in dessen Amtszeit - fortsetzte. Trump widersetzte sich neuer Regulationen der Finanzmärkte - und brüstete sich, ganz im Kontrast zu seinem Statement in jener TV-Debatte, umgehend mit dem boomenden Aktienmarkt, während er die Zentralbank für ihre Versuche angriff, nach einem Jahrzehnt Krisenpolitik die Zinsen zaghaft zu erhöhen. Trotz neuer Zölle bleibt eine Rückkehr der Industrie aus, der Bergbau schrumpft weiter. Gehalten hat Trump das Versprechen, die Krankenversicherung zu beschneiden. Weil dabei die Bundesstaaten eine Rolle spielen, ist der Effekt uneinheitlich - doch insgesamt waren nach Obama 30 Millionen unversichert, heute sind es einige Millionen mehr. Eine allgemeine Versicherung lehnen beide Parteien ab.

Außenpolitisch war die Performance etwas zwiespältiger. Gewählt nur von einem Viertel der möglichen Wähler, hängt Trump hier mehr von öffentlichem Wohlwollen ab als die Demokraten, die - laut Clinton - die Tech- wie die Finanzwirtschaft und den Sicherheitsapparat als »Privatwahlkreis« betrachten können. Trump verschrottete zwar die unpopuläre NAFTA und vermied es, eine größere neue Front in Sachen »Regime Change« zu eröffnen. Doch hat er Amerikas Kriege eher eskaliert denn entschärft.

2017 fiel die größte nicht-nukleare Bombe auf Afghanistan, US-Militär beschoss russische Außenposten in Syrien - ganz nach Geschmack des früheren Clinton-Beraters und CIA-Vizes Michael Morrell. Trump verlegte die Botschaft in Israel nach Jerusalem, ließ den Atom-Deal mit Iran platzen und dessen populärsten General töten. Seine Operationen gegen Venezuela wurden vom neokonservativen Außenminister Mike Pompeo und dem damaligen Berater John Bolton unterstützt, mit dem sich Trump dann überwarf. Trump hat die US-Truppen in Deutschland reduziert, in Polen allerdings aufgestockt. Jüngst hat er entschieden, Verstärkung nach Syrien zu schicken, der einst angekündigte Abzug ist vom Tisch. Ein Zerstörer kreuzt vor Venezuela, es gibt große Manöver im Südchinesischen Meer. All das wurde von den Demokraten getragen, die dem Pentagon einen Blankoscheck ausstellten - und das während der Vorbereitung eines Amtsenthebungsverfahrens, das mit Trumps mangelndem Enthusiasmus für Waffenverkäufe in die Ukraine zu tun hatte. Obamas billionenschwere »Modernisierung« des Nukleararsenals geht weiter - wie die Entwicklung neuer Waffen auf Basis von KI und des »Space Commands«. Edward Snowden und Julian Assange werden scharf verfolgt. In der Summe setzt sich die Militarisierung fort, trotz Trumps Versprechen eines neuen Verteidigungsrealismus.

Weite Teile der Bevölkerung werden von einem präzedenzlosen Niederganz von Lebensstandard und Lebenserwartung getroffen. Die Vermögensungleichheit explodiert. Doch die am schlimmsten von Corona getroffenen Gebiete werden demokratisch regiert - wie auch viele Schauplätze brutaler Polizeigewalt. Trumps inhumane Behandlung von Einwanderern setzt eine überparteiliche Deportationspolitik fort, die unter Obama an Fahrt aufnahm. Der neue CARES-Act - ein Billionenpaket für Wirtschaftsfinanzierer - bekam im Senat keine Gegenstimme und wurde im demokratisch dominierten Repräsentantenhaus durchgewinkt.

Trump mag peinlich für Amerika sein. An seinen Taten aber sollten dessen Eliten wenig auszusetzen haben. Dass sein Toben ländlich-kleinbürgerlichen Groll befördert, ist aber ein Hindernis für die Konsolidierung der Oligopole - und hat die Demokraten, mehr als 500 hohe Militärs sowie fast die ganze Kulturindustrie gegen ihn aufgebracht. Dieser Konflikt zwischen globalen Großkonzernen und regionalem Kapital definiert die derzeitige Krise. Eine humane Lösung aber findet sich in keinem der Lager.

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