Die mit Hut und roten Socken

Linke nominiert parteilose Sozialistin Anke Domscheit-Berg für den Bundestag

  • Andreas Fritsche, Oranienburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Anke Domscheit-Berg beim Mitgliedertreffen zu ihrer Nominierung als Bundestagskandidatin.
Anke Domscheit-Berg beim Mitgliedertreffen zu ihrer Nominierung als Bundestagskandidatin.

Wenn er Jugendliche nach Politikern der Linkspartei frage, dann nennen die nicht den ehemaligen Finanzminister Christian Görke, sondern die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg. »Sie wissen, dass ist die mit dem Hut und die mit dem Internet«, erzählt Harald Petzold. 2017 trat er selbst im Wahlkreis 58 an, der aus Oberhavel und einem Stückchen vom Havelland besteht. Nun wirbt der Ex-Bundestagsabgeordnete am Sonnabend in der Torhorst-Gesamtschule von Oranienburg dafür, Domscheit-Berg im Wahlkreis 58 als Direktkandidatin aufzustellen. Sie lebt hier in Fürstenberg/Havel.

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60 Genossen stimmen für Domscheit-Berg, nur drei dagegen und einer enthält sich. Damit ist sie vor Ort für die Bundestagswahl im kommenden Jahr nominiert. Doch damit soll es nicht genug sein. Petzold erklärt für den Stadtverband Falkensee, die Partei solle noch einmal darüber nachdenken, nicht Christian Görke und die Landesvorsitzende Anja Mayer als Doppelspitze auf die Landesliste zu setzen, sondern an Görkes Seite Domscheit-Berg auf Listenplatz zwei ins Rennen zu schicken. Auf ihre Erfahrung, die sie in bislang drei Jahren im Bundestag sammelte, sollte man nicht verzichten, argumentiert Petzold. Später am Tage unterstützt die Gesamtmitgliederversammlung des Kreisverbandes Oberhavel diesen Vorschlag per einstimmigem Beschluss.

Domscheit-Berg ist parteilos und wird in der Torhorst-Schule gefragt, warum sie nicht in die Linke eintrete. Sie sei zahlendes Mitglied bei den Grünen gewesen und Landesvorsitzende bei den Piraten, sagt die 52-Jährige. Nach frustrierenden Erfahrungen - den Piraten sei sie zu links gewesen - habe sie sich geschworen: »Partei mache ich nicht mehr.« Ihr sei nun geraten worden, doch in die Partei einzutreten, dann werde sie mit mehr Stimmen nominiert. Aber wenn sie es deshalb tun würde, »dann könnte ich mich nicht mehr im Spiegel ansehen«. Ob sie loyal zu Sahra Wagenknecht stehen würde, soll Domscheit-Berg noch sagen. »Ich habe mich über manche Äußerung von Sahra Wagenknecht geärgert, aber ich habe mich öffentlich außerordentlich zurückgehalten«, antwortet sie. Die Linke streite sich viel zu sehr in der Öffentlichkeit.

Christian Görke ist als Vorsitzender des Kreisverbandes Havelland in die Torhorst-Schule gekommen. In den Jahren 2016 und 2017 war er noch Landesvorsitzender und überzeugte Anke Domscheit-Berg damals, das erste Mal für die Linke zu kandidieren. Er habe als Landesvorsitzender viele richtige und einige falsche Personalentscheidungen getroffen, bekennt Görke. Domscheit-Berg sei die richtige Wahl gewesen. Sie stehe für ein Thema, dass in der Partei noch nicht besetzt gewesen sei: die Digitalisierung.

Görke nutzt seine Redezeit auch schon mal so, als bewerbe er sich bereits hier um die Position des Spitzenkandidaten. »Selbstverständlich sind wir regierungsfähig, und wenn wir grundlegende Veränderungen erreichen könnten, dann sind wir auch regierungswillig«, versichert er. Aber im Moment sei jeder Satz über Rot-Rot-Grün einer zu viel. Es gebe dafür keine gesellschaftliche Mehrheit. Görke erklärt dann noch, sein Kreisvorstand unterstütze Domscheit-Berg, Anja Mayer und Tobias Bank, die in den drei Wahlkreisen kandidieren, in die das Havelland aufgeteilt ist. Bank wurde am Freitag im Wahlkreis 60 nominiert so wie auch Carsten Preuß im Wahlkreis 62 und am Sonnabend Isabelle Czok-Alm im Wahlkreis 57. Zu der Frage, wer mit ihm die Doppelspitze bilden sollten, schweigt Görke diplomatisch.

Dann ist Domscheit-Berg an der Reihe. »Ich bin für Infrastruktursozialismus«, sagt sie. Schweden organisiere die Internetanschlüsse staatlich. »Die haben Internet überall, auf der Insel und im Wald, billig und schnell.« Die Bundesrepublik, die dies privaten Firmen überlasse, hänge zurück. Positive Ausnahme sei die Stadt Köln, wo sich die kommunale NetCologne darum kümmere. Bei der Digitalisierung gehe es auch um autonome Waffensysteme, die Menschen töten, beklagt Domscheit-Berg. Sie ist empört, dass Deutschland solche Waffensysteme nicht ächten wolle.

Domscheit-Berg gelte unter Journalisten als die kompetenteste Bundestagsabgeordnete in Sachen Digitalisierung, betont Enrico Geißler, Vorsitzender des Kreisverbandes Oberhavel.

Aber die Politikerin beschränkt sich in ihrer Bewerbungsrede nicht auf dieses Thema. Sie spricht beispielsweise auch die Benachteiligung der Ostdeutschen an und die den Ostfrauen mit der deutschen Einheit genommenen Rechte, allein über einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden. »Wenn es sich anhört, als ob ich mich aufrege, dann liegt das daran, dass ich mich aufrege«, verrät sie. Die Formel »Nie wieder Faschismus« sei leider keine Selbstverständlichkeit mehr, bedauert die 52-Jährige. »Rassismus ist der direkte Weg in den Faschismus, und das dürfen wir nicht zulassen.« Privat versucht sie zu helfen, wo sie kann, passte etwa neulich auf die Kinder einer Geflüchteten auf, die ins Krankenhaus musste, und geht für eine syrische Freundin zum Elternabend.

Mit Blick auf den Wahlkampf meint die Kandidatin: »Wir müssen Alternativen aufzeigen, die Hoffnung machen und für die es sich lohnt, auf der linken Seite zu stehen.« Sie bekommt mehrere Knäuel roter Wolle geschenkt, da sie bei Versammlungen strickt, sich so besser konzentrieren, besser zuhören kann. Domscheit-Berg lacht, läuft zu ihrer Tasche und zeigt, woran sie gerade strickt: an roten Socken.

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