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Jogi, der Sachbearbeiter
Sonntagsschuss
Irgendwann im Laufe des Telefonats muss es ein Missverständnis gegeben haben. Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang jedenfalls sehr irritiert: »Sie schauen noch Länderspiele?«, wollte sie wissen. Ich verneinte. Wenige Sekunden später wandten wir uns erleichtert wieder wichtigeren Fußball-Themen zu.
Überhaupt scheint es nicht mehr viele Menschen zu geben, die gerne die Spiele der deutschen Nationalmannschat sehen. Beim Spiel gegen die Türkei schauten nicht einmal sechs Millionen Menschen zu, gegen die Ukraine waren es am Samstag siebeneinhalb Millionen.
Fragt sich, warum das Interesse an der Nationalmannschaft dermaßen geschwunden ist. Eine gängige Antwort ist der Verweis auf die zahlreichen Skandale, die mit dem DFB spätestens seit der WM 2006 in Verbindung gebracht werden. Und tatsächlich gab es ja vergangene Woche eine großangelegte Razzia in der Frankfurter Verbandszentrale. Doch das halte ich für das Wunschdenken von Idealisten, die noch daran glauben, dass Millionen von Menschen sich von Skandalen und Enthüllungen in ihrer Wahrnehmung des Fußballs beeinflussen lassen. Was den DFB anbelangt, ist die Lage ja ein wenig grotesk: Gerade weil er seit Jahren ein dermaßen schlechtes Image hat, können ihm weitere Vorwürfe eigentlich nichts mehr anhaben.
Ich glaube, dass die grassierende Langeweile im Bezug auf die Nationalmannschaft nicht zuletzt am Personal liegt. Allen voran am Bundestrainer, der von 2006 bis 2014 auf viel Sympathie stieß und ausweislich der Umfragen zu den beliebtesten Deutschen gehörte. Aktuelle Umfragen habe ich nicht parat, nur solche im Kollegen- und Freundeskreis. Und die fallen vernichtend aus. Die mir bekannten DFB-Korrespondenten sind allesamt schwerst genervt von den immergleichen Floskeln und Null-Sätzen, mit denen Löw die Öffentlichkeit abspeist. Viele von ihnen haben schon vor Jahren damit aufgehört, die »Scho au« -Kaskaden mitzuzählen und mit einem Kuli-Strich auf dem Block zu würdigen. Was die Nationalmannschaft ausstrahlt, ist gähnende Langeweile. Und die hat ein Gesicht.
Natürlich wären auch am Samstag wieder ein paar Striche fällig geworden. Da lobte der Bundestrainer Lothar Matthäus mit typischen Löw-Sätzen: »Ich schätze die Meinung von Lothar grundsätzlich absolut. Der hat schon auch sehr gute Gedanken.«
Doch während Lothar schon seit jeher Imageprobleme vor sich hinträgt, galt Löw jahrelang als stilvoller Lebemann. Manchen, die von einem schwarzen Pullover schnell auf einen hellen Geist schließen, sogar als Intellektueller. Das ist Löw definitiv nicht, das muss er auch nicht sein.
Doch mittlerweile schlägt seine Genügsamkeit dermaßen offensichtlich durch, dass man sich beim DFB ernsthaft Gedanken machen sollte. Ich habe noch nie verstanden, warum Spitzenverdiener wie Löw keine Residenzpflicht am Arbeitsplatz Frankfurt haben. Ich verstehe auch nicht, warum man es in der Otto-Fleck-Schneise hinnimmt, dass sich der Bundestrainer ständig Heimspiele des SC Freiburg anschaut, während anderswo die Nationalspieler kicken. Wer sich Freiburg gegen Augsburg anschaut, zeigt jedenfalls nicht allzu viel Ehrgeiz, dafür sehr viel Selbstgenügsamkeit und Routine.
Genau diese Sachbearbeiter-Aura strahlt Löw auch rhetorisch aus. Am Samstag spielte die Nationalmannschaft in der Ukraine, einem Corona-Hotspot. 20.000 Menschen hätten trotzdem zuschauen dürfen, 17.000 kamen. Jemand, der seinen Job halbwegs ernstnimmt, hätte sich vorher überlegt, wie er auf die Frage nach der Verantwortbarkeit eines solchen Settings antwortet.
Dass die entsprechende Journalisten-Frage kommen würde, war klar. Dass Löw sie rhetorisch wie inhaltlich dilettantisch beantworten würde, aber auch. »Ich denke, dass das so geregelt wird, dass da für niemanden auf dem Spielfeld oder in den Kabinen eine besondere Gefährdung vorliegt«, so Löw. Das war's. Auf die Kritik an den jüngsten Ergebnissen angesprochen, wurde es hingegen aufschlussreich: es sei ihm »völlig egal, wer was wie sagt«, behauptete er.
Löw ist allerdings nicht nur egal, was andere sagen. Das Problem des DFB ist es, dass es ihm auch völlig egal ist, was er selbst sagt.
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