Verjüngt aus der Krise

Linke-Doppelspitze in Cottbus sucht nach neuem Politikstil und neuem Image

  • Claudia Krieg, Cottbus
  • Lesedauer: 4 Min.

»Die Regierungszeit der Linken hier in Brandenburg interessiert mich eigentlich nicht«, sagt Cornelia Meißner zu »nd«. Was sie stattdessen interessant findet, erklärt die 50-Jährige dann auch unmissverständlich: Der Aufstieg der Rechtsradikalen - »der Aufstieg der Dummheit«, wie sie es nennt -, aber auch die gesellschaftlichen Entwicklungen im Allgemeinen hätten sie derart umgetrieben, dass sie sich entschlossen habe, vor zwei Jahren in die Linkspartei einzutreten.

Dann ging es ganz schnell. Seit diesem Jahr ist die gelernte Kultur- und Öffentlichkeitsarbeiterin stellvertretende Vorsitzende des Ortsverbandes der Linkspartei. Mit dem 31-jährigen Co-Vorsitzenden Christopher Neumann sei sie »auf der Suche nach Verbündeten« mehr oder weniger »zusammengestoßen«, erzählt die dreifache Mutter. Christopher Neumann hat trotz seines Alters eine weitaus längere Liaison mit der Linken. So leitete der Betriebswirt vor Ort bereits das Wahlkreisbüro der Bundestagsabgeordneten Birgit Wöllert.

Was Cornelia Meißner angesichts der sichtbaren politischen Landgewinne der AfD in der Lausitz antreibt, beschäftigt auch zahlreiche zivilgesellschaftlich Aktive in der Stadt. Zuletzt hatte sich das Bündnis Cottbus Nazifrei nach zehn Jahren aufgelöst, gleichzeitig sind junge linke Gruppen wie das Aktionskollektiv Cottbus oder das Frauen*kollektiv, aber auch alteingesessene Solidaritätsvereine wie Cuba Si oder Chile für die Welt äußerst aktiv.

Auf die geht vor allem Meißner nun auch verstärkt zu. Man kennt sich ohnehin von den jahrelangen Aktionen gegen alte und neue Nazis, die hier in gut organisierten Netzwerken aktiv sind. Ob es dabei um den asylfeindlichen Verein Zukunft Heimat oder die rechte Modemarke »Label 23« geht, um rechtsextreme Strukturen bei der Polizei, rechte Hooligans in der Fanszene des Fußballclubs Energie Cottbus oder die rassistische AfD, die immer wieder Hardliner wie Björn Höcke oder Andreas Kalbitz zu Großveranstaltungen einlädt: Das rechte Spektrum ist breit aufgestellt im Braunkohlerevier. Und der bis spätestens 2038 geplante Kohleausstieg sorgt für Unsicherheit. Wo finden die Menschen eine Arbeit, die bisher ihren Lebensunterhalt in den Tagebauen und Kraftwerken verdienen?

»Die billige Polemik der AfD fällt hier auf fruchtbaren Boden«, sagt Christopher Neumann dazu. Die Linke könne nur dagegen halten, wenn es ihr gelinge, die Sorgen der Menschen mit konkreten Politikangeboten aufzufangen. Bis zum vergangenen Jahr sei die Partei als Koalitionspartner der SPD in Brandenburg von Realpolitik getrieben gewesen - und darin untergegangen, meint Neumann selbstkritisch mit Blick auf die zehn Jahre von 2009 bis 2019. Von brandenburgweit 27,2 auf 10,7 Prozent stürzte die Linke in diesem Zeitraum ab. Die Präsenz im Alltag und die Vermittlung von politischen Erfolgen in der Öffentlichkeit habe ziemlich gelitten, erklärt Neumann. »Wir brauchen einen neuen Stil, mehr Diskussionsformate, mehr Bildungsangebote«, konkretisiert Meißner. »Die Leute haben uns zurückgemeldet, dass ihnen das fehlt.«

Hinzu kommt die Coronakrise. Menschen in das im Januar bezogene Parteibüro an der Ostrower Straße einzuladen, sei nicht so leicht. Also heißt es für die Genoss*innen: Raus auf die Straße! Man zieht gemeinsam vor die Stadthalle oder vor Einkaufszentren, lädt Abgeordnete ein, schafft ein offenes Treffen und eine offene Atmosphäre. Ob es funktioniert? »Ja«, sagt Meißner. Und die Themen? Die für die Coronakrise immer noch schlecht ausgestatteten Schulen zum Beispiel. Noch ziehe die AfD vor Ort mehr Leute an, gibt Neumann zu. Aber: »Wir haben uns auch gerade erst neu erfunden.«

Die Coronakrise hat das möglicherweise befördert. »Wir hatten richtig Action mit Masken nähen, Spenden sammeln für die Clubs, haben trotz schwachem Internet am Abend noch Veranstaltungen per Livestream übertragen«, berichtet Meißner. Man habe Leuten »hinterhertelefoniert«, um zu fragen, ob sie Unterstützung brauchen. Das mache man auch jetzt noch, auch um Themen zu sammeln für die eigene Politik. Aktuell sind das auch die Streiks im öffentlichen Nahverkehr oder der Jobverlust bei vielen, vor allem ausländischen Studierenden der örtlichen Universität. »Wir müssen einiges nachholen«, meint die quirlige Linke. Und vor allem junge Leute mit dauerhaften Angeboten ansprechen, zum Beispiel mit Stammtischen. Einen queeren und einen zu Bildung gibt es schon.

550 Mitglieder hat der Kreisverband Lausitz, der aus dem Ortsverband Cottbus und den Genossen aus dem Landkreis Spree-Neiße besteht. Der Altersdurchschnitt geht auf die 70 Jahre zu. Neue Mitglieder zu gewinnen, sei die denkbar größte Herausforderung, so Neumann.

Ob es dazu auch der Auseinandersetzung mit der eigenen Parteigeschichte bedarf, da sind sich die Genoss*innen nicht ganz einig. Auf jeden Fall, meint Christopher Neumann. Cornelia Meißner ist anderer Meinung: »Wenn jemand kommt und was von Mauerschützen-Partei redet, muss ich sagen können: Das hat mit mir nichts zu tun.« Man habe sich mit allen »harten Konsequenzen und Brüchen, in der Parteigeschichte« befasst, ergänzt ihr Vorstandskollege. »Wir können hier erhobenen Hauptes in die Auseinandersetzung gehen.«

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