Neue Coronatests, aber keine Strategie

Medizinisch und rechtlich sind noch viele Fragen offen

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Hersteller von Antigentests auf Sars-CoV-2 machen bereits vielversprechende Offerten: Hohe Volumen könnten schnell verarbeitet werden, das Ergebnis könne in 20 Minuten vorliegen, die Handhabung sei denkbar einfach, also auch von Laien und allerorts, somit auch zu Hause, durchführbar. Unter anderem der Schweizer Pharmakonzern Roche kündigte auf derartige Weise sein Angebot für einen Antigentest an, der Ende des Jahres in Europa verfügbar sein würde. Mediziner sehen hingegen noch hohen Klärungsbedarf.

Die Laborärzte zum Beispiel, die aktuell hohe Umsätze mit den PCR-Tests machen, fordern, nicht nur die Qualität der Herstellerangaben in der Versorgung zu überprüfen. Noch weiß niemand, ob die Antigentests sinnvoll vor Ort eingesetzt werden können, oder doch fachärztliche Labore der sichere Weg wären. Der Punkt berührt auch die Frage, ob bei zu Hause durchgeführten Tests genügend Sorgfalt garantiert ist und was so ein Ergebnis für die rechtliche Sicherheit des Ergebnisses bedeutet. An vergleichenden Untersuchungen von PCR- und Antigentests werden bereits gearbeitet, so der Verband der Akkreditierten medizinischen Labore bereits Ende September.

Verfolgen Sie die aktuelle Entwicklung im Ticker zum Thema Corona

Schon bei der medizinischen Zuverlässigkeit der Antigentests zeichnet sich ab, dass die Sensitivität geringer als die der PCR-Tests ist. Von hundert Getesteten würden zwei bis zehn Infizierte nicht erkannt. Entsprechend hoch wäre das verbleibende Ansteckungsrisiko bei Massenveranstaltungen. Mit diesem Argument dämpfte auch der Chef der Kassenärzte Andreas Gassen Hoffnungen auf die neue Testart. Er wies zudem auf das Problem hin, dass man nicht mal eben bei 5000 Stadionbesuchern einen Schnelltest machen könne. Eine der damit verbundenen Fragen ist, wer für Kosten und Organisation einer solchen Aktion aufkommen würde. Medizinisches Personal müsste am Ende doch eingebunden werden - wo sollte es abgezogen werden?

Einmal abgesehen von der Zuverlässigkeit der Tests, die rechtlichen und organisatorischen Regelungen könnten das größere Problem sein. Das zeigte sich bereits jetzt, bei den Tests von Rückreisenden und Reisewilligen. An vielen Orten ist nicht klar, ob hier Gesundheitsämter, Arztpraxen oder Testzentren an Krankenhäusern oder jene der Kassenärztlichen Vereinigungen zuständig sind. Zu Recht wiesen niedergelassene Ärzte hier die Verantwortung zurück, mit dem Argument, sie seien für die Kranken da. Das ist eine der wichtigsten Fragen: Welche gesunden Personen, also Menschen ohne Symptome, sollten Zugang zu kassenfinanzierten Tests bekommen?

Sicher keine Frage, dass hier das Personal von Pflegeheimen und Krankenhäusern an erster Stelle steht. Möglicherweise wäre es das Klügste, diese Beschäftigten als Testgruppe für das neue Instrument zu behandeln. Hier könnten sinnvolle Abläufe erprobt werden - um diese dann, aus heutiger Sicht mit etlichen Fragezeichen - auch in anderen Bereichen anzuwenden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.