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Auf unbekannten Wegen
Joao Almeida folgt beim Giro immer mehr den Spuren seiner portugiesischen Seefahrer-Ahnen
Der Debütant überrascht immer weiter. Beim Zeitfahren am Samstag zwischen den Weinbergen der Prosecco-Region um Valdobbiadene erwies sich Joao Almeida als Bester der Rundfahrer. Den Tagessieg musste er wie schon beim Auftaktzeitfahren in Palermo an den frisch gebackenen Zeitfahrweltmeister Filippo Ganna abtreten. Er musste auch den überraschend starken Allrounder Brandon McNulty, vier Monate älter als er selbst und ebenfalls eines der in diesem Jahr bereits hell aufscheinenden Talente der Zukunft, im Kampf gegen die Uhr an sich vorbei ziehen lassen. Aber die unmittelbaren Kontrahenten hielt der Giro-Debütant spielend auf Distanz. Meist verwachsen mit seinem Rad scheinend, selten aus dem Sattel steigend und einen guten Flow auf die Pedale bringend, distanzierte er den höher eingeschätzten Wilco Kelderman um 16 Sekunden und nahm Vincenzo Nibali 1:23 Minuten ab. Auch das erfahrene Duo vom Team Bora büßte mehr als eine Minute (Rafal Majka) und zwei Minuten (Patrick Konrad) ein. Der angestrebte Podiumsplatz ist wieder mehr in die Ferne gerückt. Almeida aber stieg endgültig als der Patron dieser Giro-Auflage auf das Podium und ließ die Blasen des in der Region produzierten Prosecco auf dem Siegerpodium in die Luft aufsteigen.
Lächelnd erzählte er später: »Das war das bisher längste Zeitfahren meiner Karriere. Aber ich hatte einen Plan: Mit voller Kraft in die Anstiege, erholen auf den Abfahrten und Kraft sparen im mittleren Teil, um am Ende wieder zusetzen zu können. Und den Plan habe ich dann auch umgesetzt.« Der 22-jährige Portugiese erinnerte dabei ein wenig an die großen Seefahrerhelden des Mittelalters. Fernando Magellan hatte sich solch einen Plan zurechtgelegt vor seiner Weltumsegelung, Bartolomeo Dias vor seiner Afrika-Umsegelung, und auch Vasco da Gama hatte die bestehenden Karten studiert, sich nach Winden und Strömungen erkundigt, bevor er dann schließlich jenes Indien erreichte, von dem der Genueser Kolumbus geglaubt hatte, es westlich des Atlantik betreten zu haben. Natürlich, diese Kapitäne auf den echten Schiffen haben Größeres vollbracht als jetzt Almeida. Aber ihr junger Landsmann gleicht ihnen, weil er eben auch in das Unbekannte vordringt - das für ihn Unbekannte. »Mein längstes Radrennen ging bisher über zehn Tage. Es war der Baby Giro 2018«, erzählte er lächelnd am Tag 14 seines Giro-Abenteuers. Da fühlte er sich körperlich noch recht frisch und auch mental auf der Höhe der Anforderungen. »Aber auf den Ruhetag freue ich mich schon, endlich mal ausspannen«, sagte er.
Wie er drei Rennwochen verkraftet, weiß er natürlich nicht. Da geht es ihm wie Magellan, der zwar vermutete, dass es den später nach ihm benannten Seeweg an der Südspitze Amerikas geben würde, es aber eben auch erst wusste, als er ihn endlich gefunden hatte.
Vor Almeida türmen sich allerdings noch einige Hindernisse auf. Was für Magellan und Co. die Stürme und Flauten waren, sind für Almeida die Berge. Am Sonntag stand der Anstieg nach Piancavallo auf dem Plan - ein Berg, der fest verankert ist in den Herzen der italienischen Radsportfans. Hier legte Marco Pantani im Mai 1998 einen Solosieg hin, der zugleich die Basis seines Gesamtsiegs werden sollte.
Joao Almeida tat sich dort schwer am Sonntag, konnte sein Rosa Trikot aber verteidigen. Auf den 185 Kilometern von Base Aerea Rivolto nach Piancavallo wurde Almeida im Schlussanstieg von einem Trio um den Niederländer Wilco Kelderman abgehängt und belegte Tagesplatz vier. Im Gesamtklassement behält er aber 15 Sekunden Vorsprung auf Widersacher Kelderman.
Seine bislang größte Krise hatte der Giro d'Italia am Sonntag bereits überwunden. Der Corona-Infektionsherd, der zum Ende der ersten Rennwoche ausgebrochen war, scheint unter Kontrolle. Zu den neun positiven Fällen kam kein weiterer mehr hinzu. »Alle Kontrollen am Donnerstag und Freitag waren negativ«, sagte Renndirektor Mauro Vegni gegenüber »nd.DerTag«. Weitere Tests sind für den Montag vorgesehen. Vegni ist optimistisch, dass auch sie negativ ausfallen.
Jonathan Vaughters, Teamchef von Education First, hatte in einem offenen Brief bereits den Abbruch des Rennens zum zweiten Ruhetag am heutigen Montag gefordert. Aber das scheint vom Tisch, auch weil andere Teams auf jeden Fall weiter fahren wollen. Und Vegni ist optimistisch, dass das Ziel in Mailand erreicht wird. »Für mich ist das keine Frage der Wahrscheinlichkeit, sondern eine der Gewissheit«, sagte er forsch.
Almeida, der junge Held, ist da vorsichtiger. »Ich denke von Tag zu Tag«, meinte er. Das scheint die realistischere Haltung bei diesem Giro.
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