Sollen sie doch Applaus essen

Für Pflegekräfte ist das Angebot der Arbeitgeberseite im Tarifstreit eine Unverschämtheit

  • Lola Zeller
  • Lesedauer: 4 Min.

Verdi-Fahnen wehen im Wind auf dem Campus Charité Mitte. Die Dienstleistungsgewerkschaft hat erneut zum Streik an drei Charité- und sieben Vivantes-Standorten aufgerufen. Von Montagfrüh bis Dienstagabend sollen die Krankenhausbeschäftigten, die im Rahmen des TVöD (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst) angestellt sind, die Arbeit niederlegen. Im Tarifkonflikt zwischen Verdi und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) konnte bisher keine Einigung erzielt werden, seitdem die 2018 ausgehandelten Tarifverträge ausgelaufen sind. Ein erstes Angebot der Arbeitgeberseite kam bei Verdi und den Beschäftigten gar nicht gut an.

»Das können wir nicht annehmen!«, sagt eine Beschäftigte während der Streikschulung auf dem Campus Charité Mitte am Montag. Auch Dana Lützkendorf, Intensivpflegekraft und Streikleiterin vor Ort, hält nichts vom aktuellen Angebot. »Die Arbeitgeber wollen uns das als anständiges Angebot verkaufen, aber eigentlich ist es eine bodenlose Frechheit«, so die Verdi-Aktivistin.

Arbeitskampf im öffentlichen Dienst
  • Verdi fordert in der laufenden Tarifrunde Gehaltserhöhungen von 4,8 Prozent, mindestens aber 150 Euro monatlich.
  • Außerdem werden eine Erhöhung der Ausbildungsvergütung um 100 Euro sowie Regelungen zur Übernahme von Auszubildenden und Angleichung des Erholungsurlaubs an das Niveau der Beschäftigten gefordert.
  • Der Tarifvertrag soll eine Laufzeit von zwölf Monaten haben.
  • Die Arbeitszeit der Angestellten in Ost und West soll angeglichen werden.
  • Die kommunalen Arbeitgeber bieten aktuell 3,3 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von drei Jahren.
  • Die letzte Tarifverhandlung war 2018; damals einigte man sich auf 7,5 Prozent Lohnerhöhung bei 30 Monaten Laufzeit.
  • Die Verhandlungen werden am 22. und 23. Oktober in Potsdam fortgesetzt. nd

Die auf eine dreijährige Laufzeit gestreckte Erhöhung der Löhne um insgesamt 3,3 Prozent würde kaum die Inflation und den stetigen Anstieg der Lebenshaltungskosten ausgleichen. »Wir haben seit Jahren ein großes Nachwuchsproblem, aber es wollen keine Leute hier anfangen, wenn sie so schlecht bezahlt werden«, so Lützkendorf. Für Empörung unter den Beschäftigten sorgt auch, dass das Angebot der VKA in den ersten sechs Monaten überhaupt keine Erhöhung vorsieht.

Die Streikleiterin kritisiert zudem das Verhalten der Arbeitgeber während des Tarifkonflikts. »Es gibt keine Notdienstvereinbarung während des Streiks«, sagt sie. Diese sei von der Charité abgelehnt worden. Dadurch würden die Beschäftigten unter Druck gesetzt. »Es wird den Kollegen gesagt, sie können nicht streiken ohne Notdienstvereinbarung, obwohl das überhaupt nicht stimmt«, sagt Lützkendorf.

Das habe sich auf die Beteiligung ausgewirkt. »Die Streikbereitschaft war eigentlich sehr hoch«, sagt die Intensivpflegekraft. Man sei in den vergangenen Wochen durch alle Stationen gegangen und habe mit den Beschäftigten gesprochen. »Ganze Stationen sollten geschlossen bleiben«, sagt Lützkendorf. Nun seien aber viele Angestellte durch die Aussagen der Geschäftsleitung eingeschüchtert. »Sie fahren eine rigide Strategie, um die Kollegen vom Streik abzuhalten.« Trotzdem befanden sich laut Lützkendorf am Montagmittag bereits 80 bis 100 Beschäftigte der Krankenhäuser im Streik.

Die Charitéleitung hingegen teilt auf nd-Anfrage mit, Verdi habe der Charité keine Notdienstvereinbarung angeboten. »Auch nach wiederholter Kontaktaufnahme durch die Charité ist Verdi nicht auf das Verhandlungsangebot eingegangen«, sagt Pressesprecherin Manuela Zingl.

Lützkendorf sagt, als Pflegekraft fühle sie sich nicht wertgeschätzt, weder vom Arbeitgeber noch gesellschaftlich. »Mehr als Applaus gab es nicht«, sagt sie über die Zeit der ersten Hochphase der Pandemie, als sich noch breit bedankt wurde bei den Pflegekräften in den Krankenhäusern, die dafür sorgen, dass die Patient*innen auch in Corona-Zeiten zuverlässig versorgt werden. »Die 450 Euro, die es als Prämie gab, sind doch ein Witz. Wir brauchen eine langfristige und nachhaltige Verbesserung der Entlohnung und der Arbeitsbedingungen«, sagt die Verdi-Streikleiterin.

Dass nun während der Pandemie gestreikt werden muss, ärgert sie besonders. »Ich müsste nicht streiken, wenn es ein gutes Angebot gäbe, das meine Arbeit wertschätzt«, sagt sie. Ein Streik sei nie schön, sondern immer das letzte Mittel der Wahl. »Dass die Politik und die Arbeitgeber uns gerade jetzt in dieser Situation zum Streik zwingen, darüber sollte sich die Gesellschaft aufregen«, so die Pflegekraft.

Ähnlich sieht das auch Silvia Habekost, Pflegeangestellte und Verdi-Aktive am Vivantes-Klinikum in Friedrichshain, wo sie am Montag Flugblätter an die Angestellten verteilt. »Das Angebot vom Freitag ist unterirdisch. Im Frühjahr hieß es noch, die Pflege muss aufgewertet werden«, sagt sie. Diese Aufwertung müsse sich auch in höheren Löhnen zeigen.

Habekost ärgert sich über die Aussage der Arbeitgeber, dass ein Streik in der aktuellen Situation unverantwortlich sei. »Verdi hat dem Arbeitgeberverband einen Kurzläufer-Tarifvertrag angeboten, damit es nicht zu so einer Situation kommt, wie wir sie jetzt haben. Das haben sie abgelehnt«, sagt sie. Jetzt den Beschäftigten vorzuwerfen, dass sie streiken, sei eine Unverschämtheit.

Am Charité-Campus Virchow-Klinikum ist Verdi-Gewerkschaftssekretär Michael Musall als Streikleiter aktiv. Die Beteiligung sei lediglich mittelmäßig, berichtet er. »Wir mussten bei den Notdiensten nachgeben.« Man rechne damit, dass Corona-Patient*innen versorgt werden müssen, und wolle darauf vorbereitet sein, so der Gewerkschaftssekretär. »Es sind auch auf den anderen Stationen ausreichend Kollegen vorhanden, sodass die Patienten ausreichend versorgt werden können«, versichert er. Die Notdienstvereinbarung hätten die Arbeitgeber abgelehnt, weil sie einen Pandemieplan einbringen wollten, erklärt Musall. »Das hätte bedeutet, dass kaum jemand hätte streiken können. Das konnten wir natürlich nicht zulassen.«

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