Neuseelands buntes Parlament

Mehr Frauen, mehr Indigene, mehr LGBTQ-Personen und mehr Migranten als je zuvor erzielten Mandate

  • Barbara Barkhausen, Sydney
  • Lesedauer: 3 Min.

Jacinda Arderns historischer Sieg ging am Wochenende um die Welt. Nachdem Ardern Neuseeland mit Bravour durch einen Terroranschlag und die Covid-19-Pandemie führte, feierte ihre sozialdemokratische Partei einen überwältigenden Wahlsieg. Doch die Wahl am Wochenende beschert dem Pazifikstaat auch sein bisher vielfältigstes Parlament: Fast 50 Prozent der neuen Abgeordneten sind Frauen, rund zehn Prozent stammen aus der LGBTQ-Gemeinde und 16 Parlamentarier sind Māori. Außerdem ziehen erstmals Abgeordnete mit afrikanischem und lateinamerikanischem Hintergrund ins Parlament ein.

Ibrahim Omer beispielsweise ist ein ehemaliger Flüchtling aus Eritrea. Er verbrachte laut einem Bericht des »Guardian« Jahre in einem sudanesischen Flüchtlingslager, wo er als Übersetzer arbeitete und wegen des Verdachts inhaftiert wurde, ein Spion zu sein. Die Vereinten Nationen halfen ihm, sich in Neuseeland niederzulassen. Omer sagte, er sei in die Politik gegangen, »um Gemeinschaften zu vertreten, denen es oft schwerfällt, Gehör zu finden«. Nachdem er sich an der Universität, an der er Politik und internationale Beziehungen studierte, auch als Putzkraft für den Mindestlohn verdingte, wurde Omer Gewerkschaftsvertreter und engagierte sich für andere schlecht bezahlte Arbeiter.

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Als Favoritin für die Position an der Spitze des Gesundheitsministeriums gilt die neue Parlamentarierin und Covid-19-Expertin Ayesha Verrall. Die Ärztin für Infektionskrankheiten lebt offen homosexuell. Neuseeland hat sich seit Längerem offen für Wandel in Bezug auf die LGBTQ-Gemeinde gezeigt: So legalisierte das Land die gleichgeschlechtliche Ehe bereits 2013. Selbst der damalige konservative Premierminister John Key war einer der Befürworter des Gesetzes.

Auch der neue grüne Star des Landes, Chlöe Swarbrick, gehört der LGBTQ-Gemeinde an. Swarbrick machte erstmals Schlagzeilen, als sie mit 22 - noch erfolglos - für das Bürgermeisteramt in Auckland kandidierte. Mit 26 vertritt sie nun Neuseelands größte Stadt im Parlament. Die junge Unternehmerin und Politikerin, die auch zuvor schon für die Grüne Partei im Parlament saß, engagiert sich besonders für mentale Gesundheit, will Cannabis legalisieren (ein dementsprechendes Referendum war Teil der Wahl, ein Ergebnis steht aber noch aus) und kämpft gegen den Klimawandel.

Eine ihrer Parlamentsreden zu dem Thema ging 2019 um die Welt. Der Oppositionspolitiker Todd Muller hatte die junge Frau unterbrochen, doch Swarbrick ließ sich nicht aus dem Konzept bringen und stellte ihn mit den Worten »Ok, Boomer« ruhig (»Boomer« ist dabei als Anspielung auf die Nachkriegsgeneration zu verstehen). Die Bemerkung wurde zum viralen Internethit, auch wenn die Politikerin später im »Guardian« schrieb, die Bemerkung sei eher spontan gewesen. Sie sei aber trotzdem »symbolisch für die kollektive Ermüdung multipler Generationen«.

Wie wichtig ihr das Thema ist, macht die Politikerin immer wieder deutlich. »Nicht nur während meines gesamten Lebens, ja sogar nur in den vergangenen vier Jahren, seit ich in der Politik bin, sind die Klimakrise und die soziale Ungleichheit eskaliert«, sagte sie vor der Wahl. »Dies sind keine natürlichen Phänomene, dies sind politische Entscheidungen.«

Nach ihrem Sieg (eine kleinere Anzahl Stimmen muss noch ausgezählt werden) postete sie auf Instagram: »Wir haben es geschafft. Wir haben geschafft, was alle sagten, dass es unmöglich sei.« Aber das zeige, was Politik sein könne - nämlich »eine Gemeinschaft«. In unzähligen Veranstaltungen hätten sie und ihr Team - rund 1000 Freiwillige, darunter viele Teenager, die selbst nicht wählen durften - über den Wandel gesprochen, der möglich sei. »Wir haben die Leute daran erinnert, dass sie die Macht haben, diese Ideen in Wirklichkeit zu verwandeln.« Die Basiskampagne der jungen Politikerin ging auf - sie selbst zog das Fazit: »Demokratie funktioniert.«

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