Werbung

Gnadenlos bestraft Covid-19 die Sünden der Regierenden

Die Politik beschränkt sich in der Pandemiebekämpfung auf Restriktionen gegenüber den Bürgern. Dem Virus kommt sie so nicht bei

  • Peter Richter
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Politiker sind unzufrieden mit ihrem Volk. Es folgt nicht, denn es fühlt sich gegängelt. Und das mit Recht: Bundesregierung und Landesregierungen beschränken seit Beginn der Corona-Pandemie ihre Aktivitäten im wesentlichen darauf, Forderungen an die Bürger zu richten, Verbote zu erlassen, Gebote auszusprechen - und damit ihren Freiraum einzuschränken, ihre Rechte zu beschneiden, sie zu reglementieren.

Und das bis heute. Im Katalog der Maßnahmen, die die Runde der Bundes- und Landespolitiker wie auch Verantwortliche auf kommunaler Ebene - siehe die Restriktionen im Berchtesgadener Land - jüngst beschlossen, fehlt es nicht an Vokabeln des Forderns, Befehlens, Verweigerns: Pflicht, Begrenzungen, Beschränkungen, Sperrstunde, Verbote. Was man vergeblich sucht, sind Worte, die das Handeln der Regierenden beschreiben, ihre Bemühungen, der Pandemie etwas entgegenzusetzen, Konzepte personeller und materieller Aufrüstung gegen das Virus, vielleicht Ideen, wie man mit ihm leben kann, indem man seine Freizügigkeit einschränkt und nicht die der Bürger.

Dass es derartiges Regierungshandeln nicht sofort bei Ausbruch der Seuche gab, ist vielleicht noch verständlich, wenngleich kompetente Warnungen schon vor Jahren zu hören waren, die man jedoch in den Wind schlug. Inzwischen ist aber mehr als ein halbes Jahr vergangen, und es fehlt weiter entschlossenes Handeln aus den Staatskanzleien der Länder wie dem Bundeskanzleramt.

Man tat zwar allerhand, um die existenziellen Folgen des Lockdowns für Tausende Bürger zu begrenzen, was wichtig und richtig war. Doch ficht dies das Virus selbst nicht an. Es breitet sich dennoch weiter aus, wenn ihm nur passiv entgegengetreten wird.

Die Bürger ziehen daraus Schlüsse fürs eigene Verhalten. Dass die Bereitschaft sinkt, sich den Vorgaben der Tatenlosen zu fügen, ist die logische Folge. Insofern haben sich die Regierenden die Entwicklung der letzten Wochen selbst zuzuschreiben. Und Angela Merkels Klage »Es reicht einfach nicht, was wir hier machen« war letztlich Selbstkritik, auch wenn sie das so nicht meinte.

Die Eindämmung des Coronavirus - und der erneute Herbst-Anstieg

Eine der größten Sorgen der Politiker ist, dass die Kapazitäten der Krankenhäuser bei einem weiteren Anstieg der Infektionen nicht ausreichen könnten. Zwar stehen mittlerweile genügend Betten und auch Beatmungsgeräte zur Verfügung, doch beruhigend ist das nur, wenn auch ausreichend fachkundiges Personal vorhanden ist. Daran jedoch mangelt es, wie die Berliner Charité und die Universitätsklinik Frankfurt/Main warnten. Schlechte Bezahlung und unzureichende Arbeitsbedingungen in der Vergangenheit trugen dazu bei, und substanziell hat sich daran bisher wenig geändert. Vielmehr müssen die Betroffenen mit Warnstreiks klarstellen, dass ihnen Beifall vom Balkon nicht genügt. Gesundheitsminister Jens Spahn sucht derweil in Mexiko und Kosovo weiter nach billigen Pflegekräften.

Neue Engpässe sind inzwischen bei den Gesundheitsämtern entstanden, die bei der Nachverfolgung der Infektionsketten nicht mehr hinterher kommen. Zwar wurde Personal gewonnen, nicht zuletzt durch Unterstützung der Bundeswehr, aber oft fehlen Büroräume und Arbeitsmittel.

Nicht zuletzt fehlt es an einer durchdachten Teststrategie, die vor allem Risikogruppen zugute kommt. Lange Zeit wurden weder die Beschäftigten in Krankenhäusern und Pflegeheimen noch Patienten oder Heimbewohner zureichend getestet; der Grund war vor allem ein Streit darüber, wer die Kosten tragen soll. Während in finanzstarken Institutionen wie dem Profifußball schnell Geld für umfassende Tests aller Beteiligten verfügbar war, wurden anderswo erst einmal Verfügungen erlassen, wer alles nicht unbedingt getestet werden müsse. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der den Balltretern gern nacheifern wollte, scheiterte an der eigenen Verwaltung, die personell nicht gut genug aufgestellt war, um Testergebnisse zeitnah zu übermitteln. Wann die vollmundig von Spahn angekündigten Schnelltests tatsächlich Kliniken und Altersheimen zugute kommen werden, ist ebenfalls noch unklar.

Ein weiteres Beispiel für das Versagen der Exekutive sind die Schulen, bei denen rechtzeitig klar war, dass Unterricht nur bei ausreichender Belüftung und funktionierenden Hygieneeinrichtungen möglich sein würde. Doch die Sommerferien wurden nicht genutzt, um dafür die technischen Voraussetzungen zu schaffen. Gewiss liegen Handwerkerkapazitäten nicht auf der Straße, aber vielleicht wäre es möglich gewesen, unter den Firmen des Messe- und Veranstaltungsbaus mit ihren zahlreichen Kurzarbeitern einige zu finden, die in die Bresche springen. Auch Theatern, Kinos und anderen Kulturstätten könnten sie vielleicht nützlich sein, zum Beispiel beim Einbau moderner Wärmetauschanlagen - mit Zuschüssen aus den Haushalten des Bundes und der Länder.

Statt also aktiv zu werden, um dem Virus Entfaltungsmöglichkeiten zu nehmen, beschränkten sich die Verantwortlichen meist auf den Appell an die Bevölkerung, das ihre zu tun, was in aller Regel auch erfolgte und erfolgt. Doch die Pandemie verlangt ganzen Einsatz - von oben nach unten. Wenn es aber daran weiter mangelt, ist das »Unheil«, so Merkel, tatsächlich nicht abzuwenden.

Covid-19: Wie weit bis zu neuen Maßnahmen* in den Landkreisen?
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -