- Kultur
- Coronakrise
Bill und die Biowaffe
Paul Schreyer will die Coronakrise erklären - und gerät auf Abwege.
Viel spricht dafür, dass die Coronapandemie unter Führung der USA inszeniert wurde. Ziel ist, Angst zu erzeugen. So soll weltweite Akzeptanz für das Impfen und für digitale Kontrollsysteme entstehen. Auf dass die Pharmaindustrie enorme Gewinne einfahre und die Menschheit besser beherrschbar werde. Und alles zum Wohle »der Eliten«. Auf diesen Nenner lassen sich die Aussagen bringen, die Paul Schreyer mit seinem neuesten Buch »Chronik einer angekündigten Krise« verbreitet.
Okay. Haben wir alles schon gehört. Krude Coronatheorien äußern auch Attila Hildmann, Ken Jebsen, Eva Herman und die Leute von »Querdenken 711«. Doch Paul Schreyer kommt im Gewand des recherchierenden Journalisten daher. Er verweist auf seriöse Quellen. Er schreibt nüchtern und sachlich. Er nennt Akteure beim Namen, beleuchtet historische Entwicklungen und stellt Fragen - das aber sehr geschickt.
Schreyer verwendet Fragestellungen und Formulierungen, die ganz bestimmte Bilder im Kopf entstehen lassen - und so die gewünschten Aussagen transportieren. Er beleuchtet etwa, welche Anstrengungen das US-Militär in den vergangenen Jahrzehnten unternommen hat, um Biowaffen zu entwickeln. Vom »Nervenkampfstoff VX« ist die Rede, von »Anthrax«, aber auch von »Bakterienbomben«. Zudem sei es darum gegangen, Schutzvorkehrungen gegen einen Angriff mit »Pockenviren« zu treffen. Der Frame dazu: Corona ist auch ein gefährliches Virus. Handelt es sich am Ende doch um eine Biowaffe, entwickelt in Militärlabors? Schreyer erinnert zudem an den Bombenanschlag von 1995 in Oklahoma City. Damals starben 168 Menschen. Das habe Angst erzeugt, was gewissen Politikern in die Hände spielte. »Nicht nur das Antiterrorgesetz wurde nun rasch und ohne weitere Diskussion verabschiedet«, heißt es auf Seite 42. Corona erzeugt doch auch Angst - was können die Herrschenden nun an Gesetzen durchsetzen?
Im »Prolog« gibt Autor Schreyer den Takt vor: »Spezielle Technologien und Programme, vorangetrieben von einigen Oligarchen, sollen für alle Menschen auf der Welt bindend werden.« Offenbar ist Bill Gates gemeint. Der Multimilliardär und seine schwerreiche Stiftung sind in der Tat enorm einflussreich. Aber in vielen Ländern, nehmen wir China, hat Gates eher wenig zu sagen. Schreyer findet zudem, allein der Wissenschaft zu vertrauen, sei »oft kaum mehr als eine moderne Form von Autoritätsgläubigkeit«. Wahrheit werde »verordnet«, eine faire Debatte »unmöglich gemacht.« Gleichzeitig »blüht die Zensur«. Oha.
Eindrucksvoll liest sich, was Paul Schreyer über die Geschichte der Pandemieübungen in den USA und anderswo berichtet. Verwaltung, Politik, Medien und Wissenschaft, aber auch Unternehmen schickten immer wieder hochrangige Leute, um durchzuspielen, wie auf den Ausbruch einer Seuche zu reagieren ist. Im Jahr 2000 probten US-Behörden, wie Entscheidungen bei einer Pestepidemie abzulaufen hätten. 2001, 2003 und 2005 ging es um Reaktionen auf einen Pockenanschlag. Zunehmend beteiligten sich Akteure aus anderen Ländern. 2010 dann veröffentlichte die Rockefeller Foundation eine Studie, in der sie vier globale Zukunftsszenarien vorstellte. Eines der Szenarien, »Lock Step« (Gleichschritt) genannt, zeichnet eine autoritäre Welt, mit »Überwachung und Zwang«, die nach einer Influenzapandemie mit weltweiter Wirtschaftskrise durchgesetzt wurde. Handelt es sich etwa um die Blaupause dessen, was sich heute abzeichnet? Schreyer lässt das offen, der Klappentext des Buches unkt jedoch: »Einige der aktuellen Entwicklungen sind nicht zufällig.«
Am 18. Oktober 2019 folgte ein weiteres Planspiel namens »Event 201«. Diesmal wurde in den USA der Ausbruch eines neuartigen Coronavirus simuliert - angelehnt an die SARS-Epidemie von 2003 in China. Finanzielle Unterstützung zum eintägigen Planspiel leisteten das World Economic Forum (WEF), dem die weltweit größten Konzerne angehören sowie die Gates-Stiftung. Laut Drehbuch habe man unter anderem durchgespielt, wie auf »Verschwörungstheorien« zu reagieren ist. Schon Heinrich Heine schilderte, welche unheilvolle Rolle im 19. Jahrhundert die Legendenbildung während der Choleraepidemie in Paris spielte. Schreyer gibt sich neutral: »Aus diesen Zusammenhängen lässt sich nicht logisch ableiten, dass die Organisatoren und Teilnehmer der Übung von der bevorstehenden realen Pandemie ›wussten‹.« Allerdings lege »die frappierende Ähnlichkeit von Übung und Realität nahe, genau hinzuschauen und zu prüfen, wie die tatsächliche Pandemie 2020 im Detail begann«.
Nun läuft Schreyer zur Höchstform auf. Er berichtet, dass am 17. Januar 2020 die Auswertung von »Event 201« veröffentlicht wurde. Am 20. Januar sei »die neue Erkrankung« erstmals in der Hauptausgabe der »Tagesschau« erwähnt worden. Am 21. Januar brachte die »New York Times« gleich fünf Artikel zum Coronavirus. Ebenfalls am 21. Januar veröffentlichte die WHO ihren ersten Lagebericht zu Corona. An jenem Tag begann auch noch das jährliche Treffen des WEF in Davos - Konzernlenker, viele Staatschefs und Medienleute seien versammelt gewesen. Und am 24. Januar, als alle wieder nach Hause fuhren, seien »wesentliche Elemente« für das Management der Coronakrise »bereits gestartet oder einsatzfähig« gewesen. Wieder lenkt Schreyer ein, dass sich der geschilderte Ablauf auch »harmlos erklären« lasse. Allerdings, seien andere Erklärungen »denkbar«. Vorstellbar sei, »dass im Schatten eines natürlich aufgetretenen Virus« zusätzlich »eine ähnlich wirkende, aber weitaus tödlichere Biowaffe eingesetzt worden war«. Eine absurde Mär, die Schreyer als realistisches Szenario verkaufen will.
Schreyers Buch ist in meinen Augen eine Mogelpackung. Getarnt als journalistisches, gar investigatives Werk konstruiert es höchst abenteuerliche Zusammenhänge. Aufklärungswert? Nahe Null. Die Kritik am Schlingerkurs von Wissenschaft und Gesundheitspolitik, das Hickhack um Fallzahlen, der Disput ums Testen - geschenkt. Darüber haben wir bereits andernorts viel gelesen und gehört. Schreyer befeuert vor allem die Ängste derer, die verunsichert sind in Zeiten von Globalisierung, digitaler Technik, gesellschaftlicher Vereinzelung, von prekärer Beschäftigung und Massenentlassungen. Selbstverständlich wünschen sich diese Menschen »Zuwendung, Vertrauen und Solidarität«. Schreyer plädiert für die Rückbesinnung »auf menschliches Miteinander« - und zwar »ohne Angst, Abstandsregeln und Masken«. Falsch. In Pandemiezeiten erfordert »menschliches Miteinander«, dass wir Abstandsregeln einhalten und Masken tragen. Niemand verliert dadurch den kritischen Blick auf das US-Militär, auf die Pharmaindustrie und auf die Machenschaften derer, die uns regieren.
Paul Schreyer: Chronik einer angekündigten Krise. Wie ein Virus die Welt verändern konnte. Westend, 176 S., br., 15 €.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.