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Der Notfall ist ein guter Bekannter
Erfolgreich bekämpft Kuba bisher die Corona-Pandemie - mit Geld, das der Staat im Grunde nicht hat
Abel Álvarez hat auch in der Krise seine Zuversicht nicht verloren. »Wir haben gründlich sauber gemacht, die Klimaanlagen gewartet, die Warmwasserversorgung überholt und auch am Gebäude selbst einiges verbessert. Wir sind bereit, Touristen zu empfangen«, sagt er. Álvarez, der als Sportfunktionär arbeitet, vermietet zusammen mit seiner Frau seit einigen Jahren zwei kleine Apartments im Stadtteil Centro Habana in der Hauptstadt Havanna an ausländische Touristen. Wie viele Menschen auf Kuba, die vom Tourismus leben, wurden der 46-Jährige und seine Frau von den Auswirkungen der Corona-Pandemie hart getroffen. Kuba hatte nach den ersten bekannten Coronainfektionen Ende März seine Grenzen geschlossen; das öffentliche Leben wurde weitgehend heruntergefahren.
Die Vermietungslizenz konnte das Ehepaar auf Eis legen. Sie wurde ausgesetzt, und es fielen keine Steuervorauszahlungen mehr an. »Das war eine sehr vernünftige Maßnahme der Regierung«, lobt Álvarez. Seitdem leben die beiden von Ersparnissen und gelegentlichen Geldüberweisungen der Familie in den USA. »Die Pandemie trifft uns sehr, denn wir haben keine Einnahmen, aber man gibt auch weniger aus.« Man müsse sich eben anpassen und optimistisch bleiben, dass bald wieder Touristen kommen, sagt Álvarez.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Kuba hat die Entwicklung der Coronainfektionen bisher vergleichsweise gut in den Griff bekommen. In der vergangenen Woche vermeldete Havanna erstmals seit drei Monaten an einem Tag null Neuansteckungen. Die täglichen Infektionszahlen in der Hauptstadt bewegen sich im einstelligen Bereich. Dagegen stiegen die Fallzahlen in einigen Provinzen wie Ciego de Ávila, Sancti Spiritus oder Pinar del Rio wieder.
»Wenn es eine Notfallsituation wie diese Pandemie gibt, wird in Kuba alles danach ausgerichtet«, sagt Álvarez. »Wir hatten in unserer Familie zwei Verdachtsfälle, haben also das Prozedere aus erster Hand mitbekommen: von der Poliklinik bis zur Isolation mit PCR-Tests und medizinischer Betreuung. Kuba ist in diesem Sinne sehr effizient gewesen. Und wenn man die Todeszahlen mit anderen Ländern vergleicht …« Tatsächlich steht Kuba mit insgesamt 6595 Infektionen und 128 Todesfällen (Stand 26.10.2020) vergleichsweise gut da. Verantwortlich für den Erfolg sind mehrere Faktoren: Kubas flächendeckendes Gesundheitssystem, das Erfahrungen mit Epidemien hat, die konsequente Nachverfolgung der Infektionsketten sowie die Maskenpflicht in der Öffentlichkeit.
Álvarez zieht einen Vergleich: »Die Cousine meiner Frau in den USA hat sich bei der Arbeit mit dem Coronavirus infiziert und daheim die gesamte Familie angesteckt: ihren Mann, ihre Mutter und die beiden Töchter. Sie hat keine Krankenversicherung. Wisst ihr, wie viel sie für fünf Stunden im Krankenhaus mit PCR-Test und so weiter bezahlt hat? 3000 Dollar!« Auf Kuba würden jeden Tag mehr als 7000 teure PCR-Tests gemacht - gratis. Die Pandemie-Bekämpfung kostet Geld, weiß auch Álvarez. Geld, das der Staat im Grunde nicht hat.
Wegen des coronabedingten Einbruchs des Tourismus fehlen Kuba wichtige Deviseneinnahmen. Dazu verschärft US-Präsident Donald Trump die Blockade beinahe im Wochentakt. Die Sanktionen richten sich gegen den Tourismus, Geldüberweisungen und Kubas Finanzsektor. »Das aktuelle Panorama der kubanischen Wirtschaft ist ziemlich kompliziert, wenn man in Rechnung stellt, dass einer der wichtigsten Sektoren der vergangenen Jahre, der Tourismus, praktisch auf Null ist«, sagt der kubanische Ökonom Omar Everleny, früher an der Universität Havanna, heute als unabhängiger Berater tätig.
Die Hoffnung liegt nun auf der gerade beginnenden Tourismus-Hauptsaison von November bis März. Am Sonntag landete der erste Ferienflieger mit 239 Reisenden aus Großbritannien in Varadero. Auch Condor wird den kubanischen Badeort ab 31. Oktober drei Mal wöchentlich von Frankfurt am Main und Düsseldorf aus anfliegen. Der Flughafen in Havanna dürfte demnächst ebenfalls öffnen.
Mitte Oktober startete mit der »neuen Normalität« eine neue Etappe in der Corona-Pandemie auf Kuba. Einen flächendeckenden Lockdown soll es nicht mehr geben. Restaurants, Cafés, Theater, Kinos und Strände öffnen wieder, wenn auch mit reduzierter Kapazität.
»Neue Normalität? In Holguín und Las Tunas ist von ›normal‹ nicht viel zu spüren«, sagt Danielle Phillips. Die 26-jährige Gärtnerin pendelt gewöhnlich zwischen den beiden westlichen Provinzen Las Tunas, wo ihre Mutter lebt, und Holguín, wo sie einen Verkaufsstand für Zierpflanzen betreibt. Zwar seien Bars und Nachtklubs geöffnet und alle trügen Masken, dafür aber sei die Versorgungslage katastrophal. Vor den Geschäften bildeten sich lange Warteschlangen, zum Teil schon ein bis zwei Tage vorher, erzählt sie. »Es kommt zu Streit zwischen den Leuten und viele bekommen am Ende nichts, denn es gibt nicht wirklich viel.« Und das, obwohl die Regierung versuche, bestimmte Produkte zu normieren, also nur eine bestimmte Menge pro Person zu verkaufen, zum Beispiel Hühnchen, Speiseöl, aber auch Zahnpasta und Hygieneprodukte, so Phillips. »Für jede Art von Produkt wird angestanden, egal ob Lebensmittel oder Hygieneprodukte. Die Leute stehen sogar für Malzbier Schlange.« Viele der erstandenen Sachen landeten dann auf dem Schwarzmarkt. Sie selbst spürt die wirtschaftlichen Effekte der Pandemie nicht so sehr. »In meinem Fall kann ich sagen, dass ich gut verkauft habe. Es gibt Kunden, die sagen, dass sie Kaktusse kaufen, um Stress abzubauen und sich mit den Pflanzen eine Auszeit von der Realität zu nehmen.«
Der Notfall ist ein guter Bekannter auf Kuba. Auf die neuen Realitäten aus fehlenden Deviseneinnahmen und schwieriger Versorgungslage hat die Regierung mit Wirtschaftsreformen reagiert. Zu den angekündigten Maßnahmen zählen mehr Autonomie für Staatsbetriebe, die Zulassung von kleinen und mittleren Unternehmen, Neuerungen in der Landwirtschaftspolitik und Änderungen in der Preis- und Steuerpolitik. Auch die Währungsreform soll nun endlich kommen.
»Wenn wir ehrlich sind, wurden die Reformen bereits vor der Krise begonnen«, sagt Everleny. »Es stimmt aber auch, dass die Corona-Pandemie die Reformen beschleunigt hat, auch wenn sie noch immer recht langsam sind.« Den eingeschlagenen Weg hält er für richtig. »Es ist durchaus auch eine politische Öffnung, Sachen zuzulassen, die bisher tabu waren.«
Dazu zählt die Teil-Dollarisierung des Einzelhandels. »Hier hat sich die Flexibilität des Staates gezeigt«, so Everleny. Um dringend benötigte Devisen einzunehmen, eröffnete die Regierung vor einem Jahr staatliche Devisenläden, in denen Haushaltsgeräte und Autoteile und seit Juni auch Lebensmittel und Hygieneartikel mit ausländischen Währungen gekauft werden können. Dafür müssen Kubaner*innen bei einer staatlichen Bank ein Konto in US-Dollar einrichten, das mit einer Girokarte verbunden ist. Die Regierung spricht von MLC (Moneda Libremente Convertible), frei konvertierbarer Währung. Álvarez hat ein solches Konto eröffnet, »um spezielle Produkte wie Kaffee zu kaufen«, wie er sagt.
In einem Devisenladen war er aber noch nicht. »Ich bin mit meiner Frau zu einigen Läden gefahren, aber nirgends gab es Kaffee. Letztlich haben wir von Freunden etwas Kaffee geschenkt bekommen.« Auch ist die Versorgungslage in der Hauptstadt ein wenig besser als im Rest des Landes, so dass er bisher noch keine Notwendigkeit gesehen hat, in einem Devisengeschäft einzukaufen.
Anders in Holguín. »Wenn es etwas gibt, dann in den Devisenläden«, sagt Danielle Phillips. »In den CUC-Läden gibt es nur normierte Produkte und fürchterliche, fürchterliche Schlangen. Und darüber hinaus: Teebeutel, Wasser und … Teebeutel.« Sie lacht.
In den Devisenläden gebe es dagegen alles. Auch sie hat ein MLC-Konto eröffnet - mit 100 US-Dollar, die ihr der Vater, der im Ausland lebt, zu Weihnachten geschenkt hatte. »Aber nicht alle haben jemanden im Ausland, der Geld schicken kann. Die müssen dann ihre Dollar auf dem Schwarzmarkt kaufen.«
In den staatlichen Wechselstuben gibt es derzeit keine Devisen. Und auf der Straße kostet ein US-Dollar mittlerweile 1,40 bis 1,60 CUC. Der offizielle Wechselkurs liegt bei knapp 1:1. »Die ohnehin teuren Läden verteuern sich durch den Umtauschkurs weiter. Das ist schon verrückt.« Die Leute, die dort einkaufen, sind jene, die Geldüberweisungen erhalten oder im Privatsektor tätig sind, hat Álvarez beobachtet. »Für Leute, die im Gesundheitssektor oder als Lehrer arbeiten und niemanden haben, der ihnen Geld schickt, ist es schwierig … Darüber wird viel diskutiert.« Es sei eine Maßnahme, um die kritische wirtschaftliche Situation des Landes zu meistern, sagt er. »Retten wir das Schiff oder lassen wir es untergehen?«
»Es ist eine ungleiche Maßnahme«, sagt auch Everleny, da nicht jede/r Kubaner*in Zugang zu Devisen habe. Er hält sie dennoch für richtig. Die Devisenläden funktionierten quasi als Exportmärkte. »Viele dieser US-Dollar sind vorher ins Ausland geflossen, beim Einkaufen in Mexiko oder Panama.« Sie blieben nun im Land und ermöglichten dem Staat trotz Tourismuseinbruchs zumindest ein paar Devisen zu erwirtschaften.
Für einen Hoffnungsschimmer könnten ausgerechnet die USA sorgen, wo in der kommenden Woche ein neuer US-Präsident gewählt wird. »Unter Joe Biden wird es weniger Sanktionen geben und er wird sich für bessere bilaterale Beziehungen einsetzen«, hofft Álvarez. »Als Kubaner bin ich für Biden.« Auch Everleny hält einen Wahlsieg Bidens für »sehr viel vorteilhafter« für Kuba. Biden habe im Wahlkampf klargemacht, dass er an die Politik von Obama anknüpfen würde. »Die war positiv, verglichen mit dem, was jetzt unter Trump passiert. Es wäre gut für Kuba, wenn die Demokraten gewinnen.«
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