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Das Orakel von Ohio
In dem Swing State im Mittleren Westen könnte sich die Präsidentschaftswahl entscheiden
Swing States« sind in US-Wahlen besonders umkämpft, denn hier ist bis zum Schluss unsicher, welche Partei sich durchsetzen wird. Und unter den »Swing States«, in denen die US-Präsidentschaftswahl entschieden wird, ist Ohio vielleicht der wichtigste. Nicht nur wegen der 18 Wahlmänner, die es dort zu holen gibt, sondern schon aus symbolischen Gründen: Noch nie hat ein Republikaner die Präsidentschaftswahl gewonnen, ohne gleichzeitig in Ohio zu gewinnen. Der Bundesstaat zeigte stets zuverlässig an, wie die amerikanische Bevölkerung gerade tickt.
Lange widersetzte sich Ohio dem Trend, demzufolge Bundesstaaten immer eindeutiger »rot« (also republikanisch) oder »blau« (Demokratisch) geprägt sind. Ohio ist einerseits ländlich und eher konservativ geprägt, aber auch Teil des »Rust Belts« mit den alten Zentren der Stahl- und Schwerindustrie. Traditionell fanden sich in diesen Branchen die Wähler der Demokraten - Menschen ohne Universitätsabschluss, Arbeiter, Gewerkschafter. 2008 und 2012 gewann Obama den Bundesstaat noch. Doch seither wurden die Republikaner immer dominanter. Sieben der acht letzten Gouverneurswahlen gewann der republikanische Kandidat. Und 2016 siegte auch Trump dort mit 8,1 Prozent Vorsprung - das war Teil seines Überraschungserfolgs im Rust Belt, der ihm den Wahlsieg einbrachte.
Jede Woche analysieren Max Böhnel und Moritz Wichmann im Gespräch mit Oliver Kern den US-Wahlkampf. Am 2. November um 18 Uhr schauen "Max und Moritz" in einem Live-Podcast auf die letzten Umfragen und erläutern aus der linken Perspektive, worauf man in der Wahlnacht und in den Tagen danach achten sollte.
In dem Bundesstaat gibt es relativ wenige »neue« Einwanderer aus Lateinamerika oder Asien, die Bevölkerung ist tendenziell eher weiß, älter und weniger gebildet. Das ist inzwischen die Kernwählerschaft der Republikaner. Doch es zeigte sich auch das zunehmend schwierige Verhältnis der Demokraten zur Industriearbeiterschaft. 2018 konstatierte ein führender Demokrat in Mahoning County in Ohio resigniert: »Früher hat der Typ, der nach der Arbeit duscht und nicht davor, zuverlässig blau gewählt«, doch das sei wohl vorbei.
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Die Industrie im Mittleren Westen leidet schon lange unter Outsourcing und wachsender Weltmarktkonkurrenz. Seit der Finanzkrise 2008 hat sich die Lage noch verschärft. Ohio wurde zum Zentrum der Opiatepidemie in den USA - das Symptom einer schleichenden sozialen Krise. Trump sprach die Missstände im Wahlkampf 2016 offensiv an. Als Präsident versprach er: »Die Jobs werden zurückkehren.« Er werde dafür sorgen, »die Fabriken wieder voll zu machen oder sie einreißen und brandneue bauen.«
Doch dies geschah nicht. Zwar stieg die Zahl der Industriearbeitsplätze in Ohio wieder leicht - Teil des stabilen Wirtschaftswachstums der letzten Jahre - aber deutlich schwächer als im Rest des Landes. Auch Trumps Handelskriege wirkten sich negativ aus. 2019 schloss General Motors eine bedeutende Fabrik in Ohio. Trump zeterte auf Twitter, unternahm aber sonst nichts. Arbeitsplätze in der Elektroautoherstellung glichen die Verluste nicht aus.
Joe Biden versuchte, aus Trumps gebrochenen Versprechen Kapital zu schlagen. Auf Touren durch Ohio betonte er seine Herkunft aus der Kleinstadt Scranton im Nachbarstaat Pennsylvania, wo er in einfachen Verhältnissen aufwuchs. Die Wähler hätten somit die Wahl zwischen »Scranton und Park Avenue«. Nun liegt Biden fast gleichauf mit Trump. Neben der desillusionierten Arbeiterklasse tendieren auch die Bewohner der wohlhabenden Vororte, die 2016 noch stramm republikanisch wählten, zu Biden. Ein Grund ist sicher die Covid-Krise, die in Ohio kurz vor der Wahl so schlimm wütet wie nie zuvor. Nicht zuletzt kündigte Milliardär Mike Bloomberg eine Woche vor der Wahl an, in Ohio und Texas noch einmal 15 Millionen Dollar in Fernsehwerbung für Biden zu investieren.
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