• Politik
  • Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein

Rechte Umtriebe kratzen am Heile-Welt-Image

Im schleswig-holsteinischen Heikendorf protestiert ein breites Bündnis gegen das Wegschauen

  • Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 3 Min.

Das hat es so vorher in der Kleinstadt noch nicht gegeben: Über 700 Menschen sind am Samstag in der 8400-Einwohner-Gemeinde Heikendorf (Kreis Plön) in Schleswig-Holstein gegen rechte Umtriebe vor der eigenen Haustür auf die Straße gegangen und stellten die Pandemie als Sorgenthema Nummer eins damit in den Schatten.

Gewerkschaftsfahnen, ein Banner vom Motorradclub Kuhle Wampe, dazu Fahnen von der VVN/BdA, Schilder von den Omas gegen rechts – ein breites Bündnis setzte auf Initiative von besorgten Bürgern in dem Ostseebad am Ostufer der Kieler Förde ein deutlich sichtbares Zeichen. Die Demonstration brachte auch zum Ausdruck, dass sich einige Einwohner in der Fragestunde der Gemeindevertretung zu rechten Geschehnissen in keiner Weise ernst genommen fühlten.

Spätestens ein im September gemaltes großes Hakenkreuz vor dem Refugees-Welcome-Plakat am Eingang der Gemeindebücherei rüttelte die Heikendorfer wach und zerstörte das Heile-Welt-Bild in der Kleinstadt vor den Toren Kiels. Beunruhigt ist man dort auch, seit ein Anwohner von nicht nur einmal deutlich zu hörenden nächtlichen Schießübungen in benachbarten Waldstücken berichtete. Die wurden von der Polizei bisher nicht bestätigt.

Plötzlich aber werden Geschehnisse in und um Heikendorf wesentlich aufmerksamer registriert. Etwa, dass ein sogenannter Reichsbürger sich sichtbar in Form eines Schildes von Bund, Land, Gemeinde und Amtsverwaltung distanziert und seine territoriale Unabhängigkeit in Form eines Schutzgebiets erklärt und seine Personaldokumente bereits im Rathaus abgegeben hat. Oder dass mit Björn D. einer der federführenden Antreiber von Corona-Leugner-Protesten in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt just aus dem Kieler Vorort kommt.

Schon lange wird im Übrigen auf die Prozesseröffnung gegen den hochbetagten Klaus-Dieter F. aus Heikendorf gewartet, bei dem im Sommer 2015 ein alter Wehrmachtskampfpanzer in der Garage entdeckt wurde und gegen den die Staatsanwaltschaft bereits 2017 Anklage wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz erhoben hat. Beim Kieler Landgericht kommt der Vorgang allerdings nicht in Bewegung, weil man noch drei verschiedene Gutachten über die Funktionstüchtigkeit des Altpanzers in Auftrag gegeben hat, deren Fertigstellung sich seither in die Länge zieht. Die einen halten den wohlhabenden Pensionär für einen harmlosen spleenigen Militaria-Sammler, andere sprechen ihm durchaus rechtes Gedankengut zu.

Auf der Demonstration wurden Reden gehalten. Besonders viel Applaus bekam eine Heikendorfer Schülerin, als sie lautstark den Appell verkündete »Lasst uns nicht wegschauen!« Prominente Rednerin war Birgit Lohmeyer aus dem von Neonazis dominierten Dorf Jamel bei Wismar, wo es jährlich im Sommer als zivilgesellschaftlichen Gegenprotest ein großes Rockfestival gibt. In diesem Jahr musste es jedoch coronabedingt ausfallen. Die Organisatorin dieses Festivals erinnerte als Mahnung an die Worte des Zentrum-Politikers und Reichskanzlers Joseph Wirth aus dem Jahr 1922: »Der Feind steht rechts!«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.