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Der Zirkus zieht weiter

Sicher und infektionsfrei sind in Spanien gerade nur die Rennfahrer bei der Vuelta unterwegs

  • Tom Mustroph, Alto de Angliru
  • Lesedauer: 4 Min.

Freigeräumt von Menschen war der Alto de la Farrapona im spanischen Asturien. Nur wer die Durchfahrtstore der Vuelta aufstellte oder Sponsorenbanner an den ansonsten zu nichts nützenden Barrieren befestigte, war auf den letzten 20 Kilometern des Anstiegs zu sehen. Gut, etwa bei Kilometer 16 stapfte ein alter Mann den Fußweg von seinem in einer Senke gelegenen Gehöft hoch und baute sich an der Weggabelung auf. Acht Kilometer weiter lehnte ein in bunten Radklamotten gekleideter Amateursportler an seinem Fahrrad und harrte der Profis, die bald den Weg hochkommen würden, den er gerade zurückgelegt hatte. Und ganz oben auf dem Gipfel kamen ein paar Dutzend Personen an, die die Schotterpiste auf der anderen Seite des Bergs erklommen hatten. Sie zwängten sich dann an den bereits geparkten Teamfahrzeugen vorbei - Abstand Null Meter - und hatten das Privileg im engen Zielbereich die Profis lediglich auf einer Armlänge Distanz bewundern zu können. Die Hygieneblase wirkte da alles andere als hermetisch. Die paar Dutzend Fans achteten aber selbst darauf, ihre Idole nicht direkt anzuatmen.

Der auffälligste Akteur auf dem Berg war der Wind. Heftig schoss er über die Höhen und drohte gar, das Zelt des medizinischen Dienstes der Vuelta aus der Verankerung zu reißen. Das Windspektakel unterstrich den Geisterfahrtcharakter dieses Rennens. Ganz wenige Zuschauer nur gab es. Sollte die Hygieneblase doch mal Lücken aufweisen wie am Alto de la Farrapona, dem Ziel der 11. Etappe, so hielt sich das Infektionsrisiko in engen Grenzen. Kein Rennfahrer wurde bisher positiv getestet. Das sorgt für Erleichterung beim letzten Profirennen der Pandemiesaison.

»Ich würde behaupten, wir sind hier sicherer als zu Hause«, meinte trocken Pascal Ackermann, Sieger von bisher einer Etappe dieser Vuelta, zu »nd«. »Zu Hause würde man sich mit Leuten treffen. Hier ist man nur in seiner Bubble. Und wir sind ja weit abgeschottet vom normalen Leben hier. Wir haben im Hotel keinen Kontakt, wir haben generell keinen Kontakt zu Außenstehenden«, erklärte der Profi vom Team Bora-hansgrohe. Ebenso empfindet es sein Sprintkonkurrent Max Kanter vom Team Sunweb: »Wir sind hier gut geschützt, ich fühle mich sicher«, meinte Kanter zu »nd«. Und Kanters sportlicher Leiter Marc Reef ergänzte: »Das Hygiene-Konzept von Tour de France und Vuelta hat sich bewährt. Es spricht nichts dagegen, es auch auf die anderen Rennen im nächsten Jahr auszuweiten. Auch hier in unseren Hotels sind wir gut geschützt. Jedes Team hat eine eigene Etage sowie einen separaten Bereich zum Essen.«

Das ist der entscheidende Unterschied zum Giro d'Italia. Dort entwickelte sich ein Infektionsherd von insgesamt vier Fahrern und sieben Betreuern, weil sich in einzelnen Teamhotels normale Gäste mit am Frühstücksbuffet drängten. Das ist zumindest die wahrscheinlichste Erklärung für die Infektionsdynamik.

Man kann die Hygieneblase also tatsächlich infektionsfrei halten. Das lehrt diese 75. Spanienrundfahrt. Man muss dabei aber in Kauf nehmen, dass sie nicht nur kein Zuschauerspektakel ist, sondern sie auch eine Aura der Angst umweht. In Pola de Somiedo, dem Ort am Fuße den Anstiegs zum Alto de la Farrapona, gab es in den Tagen vor der Vuelta-Durchfahrt die ersten größeren Infektionszahlen überhaupt. Bars, Restaurants und Hotels schlossen daraufhin. Sogar das kleine Rathaus schloss vorsorglich die Pforten. »Wir machen alles dicht, aber die Vuelta darf kommen«, gab ein Anwohner in der Tageszeitung »La Nueva España« seiner Verärgerung Ausdruck.

Die Vuelta genießt dieser Tage Sonderstatus: Geschützt von der Guardia Civil, die sonst darauf achtet, dass sich niemand ohne guten Grund in der Öffentlichkeit bewegt, rollt der Radsportzirkus von Ort zu Ort. Er ist in sich selbst erfolgreich. Er liefert spannenden Sport, den Zweikampf von Primoz Roglic und Richard Carapaz. Die Fernsehbilder zeigen ein buntes Peloton, das sich durch Asturiens reizvolle Berglandschaft bewegt. Die Region selbst ist allerdings zum Hotspot geworden, hatte zuletzt auf die Einwohnerzahl gerechnet höhere Zuwächse an Infizierten als die Metropole Madrid. Es herrscht ein starker Kontrast zwischen besorgten Einwohnern und dem stolzen Rennen. Eine Kluft zwischen Spektakel-Privilegierten und Normalbevölkerung wird sichtbar.

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