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Pinguine fliegen nicht
Zahlreiche Proteste stören die Eröffnung des neuen Hauptstadtflughafens
Großes Gewusel bei der BER-Eröffnung am Samstag: Während mehrere hundert Demonstrierende mit Fahrrädern und zu Fuß am Flughafen eintreffen, inszenieren Anwohner*innen in christlicher Manier passend zum Reformationstag sieben Sünden des BER. Dann kommen noch die Taxifahrer*innen laut hupend auf die Ebene gefahren und Klimaaktivist*innen blockieren einen Aufgang zum Terminal 1.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Sie alle protestieren gegen den neuen Hauptstadtflughafen »Willy Brandt«. »Es ist allen hier klar, dass wir den Flughafen nicht mehr verhindern können. Trotzdem sind viele Menschen gekommen, um ein Signal zu setzen«, freut sich Gerd Hübner. Er ist Teil des Demonstrationszuges vom Schönefelder Flughafen, der jetzt das Terminal 5 des BER ist. Über hundert Protestierende trafen gegen 12.30 Uhr am Terminal 1 auf die anderen Flughafengegner*innen. Sie alle wollen auf die Klimaschädlichkeit des Flugverkehrs aufmerksam machen und fordern ein Umdenken in der Politik.
Hübner ist Teil der Gruppe Berlin For Future. Es sind längst nicht mehr nur Jugendliche, die für mehr Klimaschutz auf die Straße gehen: »Hier mobilisiert die ganze Gesellschaft, mindestens die Hälfte hier sind ältere Erwachsene«, sagt ein nicht mehr ganz so jugendlicher Mitstreiter. Josi Hübner ist deutlich jünger als die beiden und gehört zu Fridays For Future. Den Vorwurf, die Proteste gegen die Flughafeneröffnung seien in Zeiten der Pandemie unverantwortlich, kann sie nicht nachvollziehen: »Unverantwortlich sind nicht wir, sondern die, die weiter fliegen.«
»Den Flugverkehr in der Klimakrise auszubauen und zu subventionieren, ist einfach nicht zielführend«, findet auch Nils Richter. Er ist gemeinsam mit 250 anderen vom Platz der Luftbrücke mit dem Fahrrad zum BER gefahren und ohne Zwischenfälle am Flughafen angekommen. Nicht alle Proteste konnten so reibungslos stattfinden. So hatte die Grüne Jugend aus Berlin und aus Brandenburg eigentlich ab elf Uhr eine Demonstration durch das Terminal 1 geplant. Die wurde jedoch nicht gestattet, die Gruppen wollen dagegen klagen. Begründet wurde das Verbot damit, dass das Gebäude erst ab dem Abend des Eröffnungstages öffentlich zugänglich sei.
Zumindest die gemeinsame Abschlusskundgebung des Demonstrations-Bündnisses aus vielfältigen Organisationen wie Ende Gelände, BUND Jugend und der Bundesarbeitsgemeinschaft Klimagerechtigkeit der Linkspartei darf auf dem Willy Brandt Platz vor dem Eingang des Flughafens stattfinden. 500 Menschen haben laut Veranstalter*innen insgesamt an den Protesten teilgenommen.
Untermalt wird die Kundgebung von hupenden, pfeifenden und rufenden Taxifahrer*innen. Sie kritisieren die Vereinbarung, nach der nur 300 Berliner Taxen am Flughafen Fahrgäste aufnehmen dürfen. Der Rest darf die Gäste zwar zum Flughafen fahren, muss dann aber leer wieder zurückfahren. »Es geht hier nicht nur um uns Fahrer, sondern auch um unsere Familien, wir brauchen die Einkünfte«, sagt Taxifahrer Yücel Yilmaz. Die Vereinbarung müsse unbedingt erneuert werden, um gerechte Bedingungen für die Taxifahrer*innen aus Berlin zu ermöglichen, fordert er. »Es ist auch nicht umweltbewusst, wenn wir wieder leer zurück nach Berlin fahren müssen, anstatt Gäste mitnehmen zu dürfen«, ergänzt ein Kollege.
Die Aktivist*innen der Initiative Am Boden bleiben haben sich am Samstag als Pinguine verkleidetet, weil »die coolsten Vögel am Boden bleiben«. Mehrere Stunden lang protestieren nach eigenen Angaben 250 Personen gegen den Flughafen und blockieren einen Aufgang zum Terminal 1. Auch wenn der andere Aufgang nicht blockiert ist und von Befugten betreten werden kann, setzen sie ein sichtbares Zeichen, indem sie lautstark Parolen für Klimagerechtigkeit rufen und Forderungen verlesen. Bereits am Vormittag waren zwei Aktivist*innen von Robin Wood mit einer Kletteraktion aufgefallen: Mit Transparenten gegen den Flugverkehr und für einen Systemwechsel ausgestattet hatten sie sich vom Vordach des Haupteingangs abgeseilt.
Auch am Terminal 5 wird gegen Flugverkehr protestiert. Am Nachmittag klebten sich Aktivist*innen an einen Flieger Richtung Istanbul. Die Organisation Extinction Rebellion Berlin bekennt sich auf Twitter zu der Aktion und postet Fotos von den Aktivist*innen, die ein Transparent mit dem Logo der Gruppe hochhalten. Die Bundespolizei teilte auf Twitter mit, dass vier Personen am Flugzeug und auf dem Gangway festgeklebt haben, diese aber gelöst werden konnten und der Flug mit einstündiger Verspätung startete.
Um 17.30 Uhr erklärt Am Boden bleiben ihre Aktionen für beendet. Um 23.30 Uhr seien alle aus dem Polizeigewahrsam entlassen worden. Sprecherin Klara Strauß ist zufrieden mit dem Verlauf des Tages: »Wir haben mit vielfältigem Protest gezeigt, dass Flugzeuge am Boden bleiben müssen.« Jetzt in der Coronakrise sei der Moment zum Umsteuern: »Um Flüge auf die Schiene zu bringen und unnötige Businessflüge durch Online-Konferenzen zu ersetzen.«
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