Mit Mob und Anwalt gegen Wähler

Um die Wahl zu gewinnen, versuchen die Republikaner Wähler der Demokraten von der Stimmabgabe abzuhalten

  • Moritz Wichmann, Pittsburgh
  • Lesedauer: 6 Min.

Donald Trump hat ein 50-Prozent-Problem. Schon 2016 gewann er die Wahl nur mit 46 Prozent der Stimmen - im Quasi-Zwei-Parteienstaat USA reichte das, weil wenige Prozent der Stimmen an die Grünen-Kandidatin Jill Stein und den Libertären Gary Johnson fielen. In seiner Präsidentschaft haben Trumps Zustimmungswerte niemals die 50-Prozent-Marke erreicht. Und aktuell kommt er im Umfragendurchschnitt weder landesweit noch in den rund ein Dutzend »Swing States« auch nur in die Nähe dieser Marke, während Joe Biden in vielen Fällen über dieser Schwelle liegt. Trump kann deswegen nur gewinnen, wenn er die Wahlbeteiligung seines Gegners niedrig hält. Und seine Wiederwahlstrategie beinhaltet genau das: Demokraten-Wählerstimmen zu unterdrücken.

Schon im Mai stellte das Team von Trump rund 20 Millionen Dollar bereit, um die Möglichkeit zu einer vereinfachten und sicheren Stimmabgabe wieder einzuschränken, die viele US-Bundesstaaten wegen der Corona-Pandemie eingerichtet hatten. Viele Staaten - überwiegend solche, die von den Demokraten regiert werden, aber nicht nur - haben die Möglichkeiten zur Briefwahl erweitert oder gleich wie in Kalifornien allen Wählern eine Briefwahlstimme geschickt, den Zeitrahmen für Frühwählen verlängert oder zusätzliche Wahllokale errichtet.

In Nevada versuchte die Trump-Kampagne einen relativ Demokratischen Landkreis zu einer noch kritischeren Untersuchung von Unterschriften bei Briefwahlstimmen zu zwingen – eine solche hat laut Studien zur häufigeren Zurückweisung der Unterschriften von people of color, also von nicht-weißen Personen, geführt. Auch wurde versucht, eine Fristverlängerung für die Bewohner des Navajo-Reservat zu verhindern, das nach Trumps Manipulationsversuchen beim US Postal Service von Postauslieferungsproblemen geplagt ist. In New Hampshire versuchte man die Ausweitung der Briefwahlmöglichkeiten zu stoppen.

In vielen Staaten klagte die Trump-Kampagne gegen verlängerte Fristen, die vorsahen, noch am Wahltag in der Post abgegebene, aber erst Tage später bei den Wahlbehörden eingetroffene Briefwahlstimmen anzuerkennen. Mit gemischtem Erfolg: Das Oberste US-Gericht, der Supreme Court, lehnte eine Fristverlängerung in Wisconsin ab, erlaubte sie aber in North Carolina und Pennsylvania.

In Texas verlängerte die Staatsregierung zwar das »Early Voting« um eine Woche, verweigerte aber die in vielen Staaten mögliche Online-Wählerregistrierung, erlaubte nur Senioren über 65 die Briefwahl und schrieb eine neue Regel für die persönliche Abgabe der Briefwahlstimme per »drop box« vor. In jedem Landkreis dürfe es nur einen solchen Briefkasten der lokalen Wahlbehörde geben - auch in solchen mit Millionen Einwohnern. Ähnliches versuchte man in Ohio.

In vielen Bundesstaaten sind noch alte Regeln zur Wählerunterdrückung in Kraft, die eingeführt wurden, um Schwarze von der Stimmabgabe fernzuhalten. Dazu gehört die Pflicht, sich bei der Stimmabgabe ausweisen zu können. In einem Land ohne Ausweispflicht können das viele Angehörige von marginalisierten Minderheitengruppen seltener als republikanische Senioren.

Ein anderes Problem ist die Schließung von Wahllokalen in bestimmten Gegenden. Bereits in der Vergangenheit führte dies zu langen Warteschlangen vor Wahllokalen, so dass einige genervt aufgaben und nicht wählten. Seit 2016 wurden im ganzen Land noch einmal rund 21 000 Wahllokale geschlossen, damit gibt es 20 Prozent »polling places« weniger als noch vor vier Jahren - auch wenn einige Staaten wie das am stärksten betroffene Kalifornien gleichzeitig massiv die Möglichkeit zur Briefwahl ausgebaut haben.

Im wichtigen Swing State Florida hatten die Wähler zwar 2018 bei einem Volksentscheid per Mehrheit entschieden, das Wahlverbot für Straftäter aufzuheben. Diese waren lebenslang von der Wahl ausgeschlossen, sobald sie mehr als eine Ordnungswidrigkeit begangen hatten - fast zehn Prozent der Bevölkerung waren betroffen, überproportional viele Afroamerikaner. Doch die Republikaner erließen einfach ein neues Gesetz, das nun vorschreibt, dass alle Ex-Häftlinge sämtliche noch ausstehenden Gerichtsgebühren zurückgezahlt haben, um ihr Wahlrecht zurück zu erhalten. Geschätzte 900 000 von ihnen dürfen deswegen nicht wählen.

US-Wahlumfragen zeigen bisher relativ stabilen Vorsprung für Joe Biden

Wahlbeobachter der Parteien sind ein ganz normaler Teil des Wahlablaufes, doch dieses Jahr geht die Trump-Kampagne noch weiter, will mit 50 000 sogenannten »poll watcher« die Abstimmung aggressiver beobachten lassen. Die Praxis war bis 2018 verboten, weil so bei den Wahlen im Jahr 1981 Schwarze und Latinos von Republikanern an der ihrer Stimmabgabe gehindert wurden. Damals hatte die Partei in New Jersey 200 weiße Polizisten, die nicht im Dienst waren, mit Waffen und in einschüchternder Weise als offiziell erscheinende »Nationale Stimmzettelsicherheits-Task Force« vor Wahllokalen in schwarzen Nachbarschaften aufmarschieren lassen, um vermeintlichen »Wahlbetrug« zu verhindern. Die »Task Force« fragte Wähler auch nach ihrer Registrierung und verjagte Schwarze und Latinos aus Wählerschlangen. Doch 2018 klagten die Republikaner vor Gericht erfolgreich dagegen das Verbot der Praxis, nachdem ein Bundesrichter überzeugt wurde, dass die Auflage nicht mehr nötig sei.

»Trump Armee« nennt die Kampagne die Freiwilligen der neuen Kampagne in militaristischer Rhetorik, obwohl man gegenüber Journalisten betont, man wolle nur, dass alles »mit rechten Dingen« zu gehe, dass Regeln befolgt würden, dass es keinen »Wahlbetrug« geben könne. Die Instruktionen der republikansichen »poll watcher« instruieren Freiwillige, »keine Szene« zu machen, sondern mögliche Verdachtsfälle genau zu dokumentieren. Einzelne Verdachtsfälle werden dann medial groß aufgeblasen, wie im Fall von neun Briefwahlstimmen von Militärs – offenbar mehrheitlich Stimmen für Trump - die in einem republikanisch dominierten Landkreis in Pennsylvania von einem unzureichend trainierten Mitarbeiter des lokalen Wahllokals irrtümlich abgelehnt wurden. Der Trump-hörige Justizminister Bill Barr gab extra eine Presse-Erklärung heraus, obwohl dies bei Einzelverdachtsfällen sonst nicht gemacht wird – schon war die gewünschte Presseberichterstattung und ein Verdacht in die Welt gesetzt.

In der zweiten Fernsehdebatte hatte Donald Trump auch der rechtsradikalen »Proud Boys« Miliz gesagt sich »bereit zu halten«. In der Szene rechter Milizen wurde dies als Ermunterung verstanden.

Seit Jahren und Jahrzehnten ist die ins absurde aufgebauschte Warnung vor vermeintlich weitreichendem Wahlbetrug Grund für das Aufbauen immer neuer Hürden fürs Wählen. Dabei weisen Fact-Checker und Wissenschaftler immer wieder darauf hin, dass es Wahlbetrug quasi nicht gibt - laut Angaben des Brennan Center for Justice gibt es nur bei 0,0003 Prozent aller Stimmen Unregelmäßigkeiten.

Wer sichert sich die Mehrheit im Electoral College?

Wie effektiv die Wählerunterdrückung ist und ob sie den Wahlsieg bringen kann, ist fraglich. Die Demokraten halten mit Wähler-Hotlines dagegen, Ex-Justizminister Eric Holder leitet eine Gruppe, die gegen die Wählereinschüchterung vorgeht. Für den Wahltag stehen wie bei den Republikanern Tausende Anwälte bei den Demokraten bereit. Wichtiger noch: Die Partei nutzt die Empörung über die versuchte Wählerunterdrückung zur Mobilisierung. Entschlossene Wähler haben in den vergangenen Tagen beim Early Voting stundenlang in Schlangen ausgeharrt. In einigen Bundesstaaten wie Texas wurde schon vor dem Wahltag nur durch das Frühwählen die Wahlbeteiligung von 2016 übertroffen.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!