Fällt Texas, fällt Trump

Die Demokraten können sich Hoffnung auf einen Wahlerfolg in der einstigen Bastion der Republikaner machen

  • Moritz Wichmann, Pittsburgh
  • Lesedauer: 6 Min.

»Viele meiner Freunde schlafen gerade nicht viel, es wird eine Zitterpartie in der Wahlnacht in Texas«, sagt Sherri Matula. Die Mitgründerin der Nichtregierungsorganisation Sister United Alliance, die Nichtwählerinnen mobilisiert, arbeitet dieser Tage fieberhaft daran, den Traum der Demokraten im Bundesstaat Wirklichkeit werden zu lassen: ein »blaues Texas«.

Das traditionell konservative Texas hat sich in den letzen Monaten zu einem der umkämpften Bundesstaaten im Land entwickelt. Einwanderung aus dem In- und Ausland, zunehmende Verstädterung und Verärgerung über die Präsidentschaft von Donald Trump sind die Gründe dieser Entwicklung. Die Demokraten vor Ort glauben, eine Chance zu haben, den Republikanern die Mehrheit im Staatsparlament sowie weitere Sitze für das US-Repräsentantenhaus abnehmen zu können - und vielleicht sogar die 38 Wahlmännerstimmen des Cowboy-Staates für Joe Biden zu gewinnen. Dann wäre es schon in der Wahlnacht sicher, dass Trump abgewählt ist. Das Ergebnis von Texas wird sicher schon Dienstagnacht feststehen, und ohne die 35 Stimmen des Staates kann Trump unmöglich die Mehrheit der Wahlmänner erreichen.

Max und Moritz - der linke Podcast zum US-Wahlkampf

Jede Woche analysieren Max Böhnel und Moritz Wichmann im Gespräch mit Oliver Kern den US-Wahlkampf. Am 2. November um 18 Uhr schauen "Max und Moritz" in einem Live-Podcast auf die letzten Umfragen und erläutern aus der linken Perspektive, worauf man in der Wahlnacht und in den Tagen danach achten sollte.

Aktuell führt Donald Trump im Umfragendurchschnitt von FiveThirtyEigth in Texas mit 1,4 Prozentpunkten. Doch 2016 und bei den Zwischenwahlen 2018 unterschätzten die Umfragen das Ergebnis der Texas-Demokraten um rund drei Prozentpunkte, wie eine Analyse des Wahlanalysten Dave Wasserman vom parteipolitsch unabhängigen Cook Political Report zeigt. Donald Trump gewann den Staat 2016 mit einem Vorsprung von 800 000 Stimmen beziehungsweise neun Prozent. Der Demokrat Beto O’Rourke verlor seine Kampagne für den US-Senat 2018 nur mit 2,6 Prozent Rückstand oder 214 000 Stimmen gegen Amtsinhaber und Republikaner Ted Cruz.

Ein wenig beachteter Effekt von O’Rourkes Kampagne ist, dass er den Kampfgeist der von jahrelangen Niederlagen gebeutelten Partei erneuert hat. Mit seiner Graswurzelkampagne, die jeden Landkreis im Staat besuchte, hat er auch eine Infrastruktur mitsamt einem Netzwerk aus Freiwilligen aufgebaut, die jetzt erneut genutzt und weiter ausgebaut wird.

O’Rourke, dessen eigene Präsidentschaftskampagne im Sommer an Joe Biden scheiterte, hat sich in den letzten Monaten daran gemacht, die Kandidaten der Texas-Demokraten mit seiner Prominenz und seiner Organisation »Powered by People« zu unterstützen. Die Partei selbst tritt flächendeckend mit 1500 Kandidaten auf jeder Regierungsebene an, bis hinunter zu Lokalposten auf Landkreisebene. Sie will wieder überall mit den Republikanern konkurrieren.

Wer sichert sich die Mehrheit im Electoral College?

Was dabei heraussticht: Die Demokraten in Texas sind eher progressiv. Im neuen Parteiprogramm, das im Juni verabschiedet wurde, haben sich Anhänger von Bernie Sanders weitgehend durchgesetzt. Die Texas-Demokraten fordern jetzt die Einführung der staatlichen Krankenversicherung Medicare For All, einen Green New Deal zur Bekämpfung der Klimakrise und eine Abschaffung der US-Abschiebebehörde ICE.

Politikwissenschaftler hätten es »schon seit Jahren erwartet, das Texas wegen der demografischen Entwicklung im Staat und Generationenwandel ein Battleground State wird«, sagt Larry Sabato. Nach dem Wahlergebnis von 2018 sei die aktuelle
Entwicklung »keine Überraschung«, sagt der Direktor des Center for Politics an der University of Virginia, der mit seinem Team »Ratings« zu den Chancen von Demokraten und Republikanern einzelne Staaten bei den Präsidentschaftswahlen zu gewinnen gegenüber »nd«.

In Texas haben die Demokraten seit 25 Jahren kein staatsweites Amt mehr gewonnen. Der letzte Präsidentschaftskandidat der Demokraten, der Texas gewann, war Jimmy Carter. Das war im Jahr 1976.

Schon vor der Trump-Präsidentschaft stiegen die Zustimmungswerte für die Demokraten in den Städten und Vororten des Staates, der größer als Frankreich ist, aber nur 25 Millionen Einwohner hat. Bei den Zwischenwahlen 2018 wandten sich vor allem gebildete und relativ wohlhabende weiße Frauen in den Vorstädten in Scharen von den Republikanern ab. Die Demokraten gewannen zwölf Sitze im Staatsparlament und zwei im Staatssenat dazu. Auf Bundesebene jagten die Demokraten den Republikanern zwei Sitze im US-Repräsentantenhaus ab.

Nun wollen sie nachsetzen. Auf Bundesebene will die Partei acht weitere Texas-Sitze im Repräsentantenhaus gewinnen. Für das Staatsparlament hat die Partei 22 Wahlbezirke auserkoren, in denen sie sich Chancen ausrechnen. In diesen Bezirken verlor O’Rourke 2018 mit weniger als zehn Prozentpunkten Rückstand. Neun Sitze müssen die Demokraten erobern, um im Staatsparlament die Mehrheit zu erringen. Dann könnten sie im ab 2021 anstehenden Neuzuschnitt der Wahlkreise für die nächsten zehn Jahre verhindern, dass erneut passiert, was die Republikaner 2010 in vielen Bundesstaaten taten. Mittels »Gerrymandering« - der Optimierung des Wahlkreiszuschnittes - hatten sich die Konservativen damals einen jahrelangen Vorteil für Wahlen geschaffen.

US-Wahlumfragen zeigen bisher relativ stabilen Vorsprung für Joe Biden

Zwei demografische Trends helfen den Demokraten: fortschreitende Urbanisierung und Einwanderung. In Texas gibt es viel Landfläche mit relative geringer Bevölkerungsdichte, aber auch vier Metropolenräume Houston, Dallas-Fort Worth, San Antonio sowie die mit 790 000 Einwohnern etwas kleinere Staatshauptstadt Austin. Weil die Wirtschaft im Staat wächst, ziehen gut ausgebildete Menschen aus dem teuren und demokraten-dominierten New York und Kalifornien nach Texas - und bringen ihre politische Prägung mit. Aus dem Ausland kommen weitere Migranten. Der Latino-Anteil im Staat liegt mittlerweile bei rund elf Millionen oder etwa 40 Prozent der Bevölkerung. Seit 2016 haben 800 000 Latinos das Wahlalter erreicht, viele von ihnen haben Vorfahren aus Mexiko.

Deswegen zielt die Strategie der Demokraten in Texas darauf, die Zusammensetzung der Wählerschaft zu den eigenen Gunsten zu ändern. Neben O’Rourke arbeiten ein Dutzend Graswurzelorganisationen wie Sisters United Alliance mit Briefsendungen, Telefonanrufen und Anzeigen daran, Hunderttausende neue Wähler zu registrieren und bereits registrierte Nichtwähler zu mobilisieren.

»Texas ist der Staat mit dem höchsten Anteil von Nichtwählern im Land«, sagt Mattula von der Sister United Alliance gegenüber »nd«. Mehr als vier Millionen registrierte Wähler im Staat hätten noch nie gewählt, zwei Millionen davon seien Frauen, rund 1,3 Millionen von diesen wiederum neigten laut Analyse ihrer Organisation den Demokraten zu, rechnet Mattula vor. »Diese Frauen wählen nicht, weil sie denken, ihre Stimme zählt nicht«, meint sie. 420 000 von ihnen hat ihre Organisation in den 27 Landkreisen in dem riesigen Bundesstaat angesprochen. Jede Dritte von ihnen wird nun vermutlich wählen, hofft Mattula.

Die Demokraten glauben, dass es noch bis zu 2,6 Millionen weitere potenzielle Demokratenwähler im Staat gibt. Die zu registrieren - viele von ihnen Einwanderer, Marginalisierte, arme Latinos - ist nicht einfach. Trotzdem hat sich die Wahlbevölkerung in Texas in den letzten Jahren geändert. Seit 2016 haben sich über drei Millionen neue Wähler in die Wählerlisten eintragen lassen. Laut Statistik der Demokraten-Datenfirma TargetSmart sind 60 Prozent davon unter 25 Jahre alt oder »people of color«, also nicht weiß. Die Republikaner nehmen die Herausforderung ernst. Republikaner-Senator Ted Cruz ist besorgt, warnte vor kurzem vor einem »Blutbad« für die Partei. Damit es nicht dazu kommt, hat die Partei seit letztem Sommer 160 000 neue Wähler für die eigene Partei registriert.

Schon beim Frühwählen in den letzten Tagen wurde eine Rekordwahlbeteiligung erreicht. Bis zum Wochenende haben über neun Millionen Texaner durch »Early Voting« abgestimmt - mehr als je zuvor bei einer Wahl im Bundesstaat überhaupt abgestimmt haben. »Texas ist sehr knapp. Wenn mehr als 60 Prozent aller registrierten Wähler in den Städten die Demokraten wählen und wir den Republikanern in ländlichen Gegenden drei bis fünf Prozentpunkte der Stimmen abnehmen, können wir den Staat gewinnen«, meint Mattula. Sie zeigt sich zuversichtlich: »Biden wird Texas holen, wir werden die Senatswahl und die Mehrheit der Sitze im Staatsparlament gewinnen.«

Schon die Tatsache, dass Trump 2016 Texas »nur« mit neun Prozentpunkten gewonnen habe, sei »nicht besonders beeindruckend« gewesen, angesichts der traditionellen Stärke der Republikaner im Staat, meint Politikwissenschaftler Sabato. Zu einem möglichen Demokraten-Wahlsieg dieses Jahr meint er, die Partei sei immer noch ein Underdog, aber »sie hat keine überwältigend schlechten Chancen«.

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