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Unsicherheit, Ratlosigkeit und auch Wut: Viele Künstler*innen und Kreativschaffende in Berlin sehen sich am Rande ihrer Kräfte und ihre Existenz wackeln
Unsicherheit, Ratlosigkeit und auch Wut: Viele Künstler*innen und Kreativschaffende in der Hauptstadt sehen sich am Rande ihrer Kräfte und ihre Existenz wackeln. Die Verordnungen zur Eindämmung der Pandemie treffen sie ins Mark. Ob Kinos, Clubs oder Theater - Veranstaltungsorte jeder Art sind geschlossen worden, weil davon ausgegangen wird, dass sich hier zu viele Menschen mit dem Coronavirus infizieren. Manchen aus der Kulturbranche, mit denen »nd« gesprochen hat, erscheint das als Farce. Vor allem angesichts aufwendiger Hygiene- und Veranstaltungskonzepte, die in den vergangenen acht Monaten entwickelt wurden, um in den Räumen coronakonforme Alternativen für Publikum und Künstler*innen zu ermöglichen.
Zudem kämpfen viele Kreative nicht mehr nur mit finanziellen Nöten, Antragsbürokratien und einer ungewissen Zukunft, sondern können sich auch immer weniger des Eindrucks erwehren, dass sie der »großen Politik« weniger wert sind als Fleischfabriken, Einzelhandel und Gottesdienste. Auch wenn zu Beginn der Pandemie in Berlin sehr schnell und unkompliziert finanzielle Unterstützung ausgeschüttet wurde, weil sich kulturpolitisch Verantwortliche für die Szene stark gemacht haben, auf die ja die Hauptstadt auch einen Großteil seines Images stützt: »Für alle reicht es nicht«, wusste der Dramatiker Heiner Müller schon 1994. Es sind daher die Künstler*innen selbst, die nun lauter werden in ihren Forderungen nach wirklicher Hilfe. Hier kommen fünf von ihnen zu Wort. clk
Einfach alle mit Geld beschmeißen
Rapper Amewu macht sich Sorgen um die Zukunft der Kulturbranche. Von Marie Frank
»Es gibt mir Energie, wenn ich auf der Bühne stehe und du schreist«, rappt Amewu in dem Song »Live MCs« mit seinen Berliner Rap-Kollegen Chefket und Megaloh. Doch damit ist es nun erst einmal vorbei: Live-Konzerte können in den nächsten Wochen, vermutlich sogar Monaten, keine mehr stattfinden. »Ich hätte eigentlich eine Show im Dezember gehabt, keine Ahnung, ob ich die spielen kann«, sagt Amewu zu »nd«. Auch sein Engagement bei der Schaubühne, das der 37-Jährige mangels Auftrittmöglichkeiten angenommen hatte, fällt angesichts der Theaterschließungen erst einmal aus.
Die Coronakrise hat den talentierten Rapper hart getroffen: Dreimal wurde seine Tour bisher verschoben, das Geld aus den Konzerteinnahmen fehlte, und dann starb auch noch plötzlich sein Vater und er musste unter Pandemie-Bedingungen die Beerdigung organisieren. Seit März hangelt sich Amewu von Antrag zu Antrag: Soforthilfen, Fördergelder, Künstlerstipendium, Corona-Hilfsfonds der Gema. »Ich war sehr viel damit beschäftigt, abzuchecken, was ich überhaupt beantragen kann«, sagt der gebürtige Charlottenburger. Denn nicht alle aufgelegten Soforthilfen für Solo-Selbstständige kommen für ihn auch infrage. Etwa, wenn sie nur die laufenden Betriebskosten abdecken, die der Musiker so gut wie nicht hat. »Mir bringt es auch nichts, wenn ich es im Nachhinein zurückzahlen muss. Ich verdiene ja nicht später plötzlich das Doppelte. Das Geld, das ich jetzt nicht verdiene, verdiene ich einfach nicht.«
Drei Konzerte hat er seit Ausbruch der Coronakrise gespielt, auf Streaming-Konzerte hat der Live-MC »keinen Bock«, weil da keine Stimmung entstehe: »Das gibt mir nichts.« Also musste ein Plan B her. »Dann habe ich angefangen, mich aufs Aufnehmen zu konzentrieren«, sagt Amewu, der derzeit sein drittes Album plant. Um seine eigene Zukunft macht er sich weniger Sorgen als um die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen der Krise. »Bevor ich von Musik leben konnte, habe ich jahrelang mit sehr wenig Geld auskommen müssen.« Er fragt sich jedoch, wie viele der Läden, in denen er in der Vergangenheit für Stimmung sorgte, auch nach der Krise noch da sein werden. »Ich mache mir Sorgen, dass die kleinen Läden, nicht nur in der Kulturbranche, zumachen müssen, weil sie sich nicht mehr halten können und von großen Firmen aufgekauft werden«, sagt Amewu. »Die beste Zeit für Leute, die Kapital besitzen, einzukaufen ist, wenn Sachen billig sind – und die Sachen sind billig, wenn die Leute am Arsch sind.«
Der Deutschrapper hat da eine bessere Idee: »Der beste Move wäre, allen Leuten Geld zu geben.« Und zwar wirklich allen und nicht – wie beim Künstlerstipendium des Senats, wo 8000 Bewerber auf 2000 Plätze kamen, die dann letztlich ausgelost wurden – nur einige wenige. »Man muss die Leute mit Geld beschmeißen. Und zwar so, dass sie nicht erst eine Ausbildung machen müssen, um das beantragen zu können.« Ohne all die Existenzängste, glaubt Amewu, könnten die Leute aus der belastenden Zeit noch etwas Schönes ziehen. »Die Leute würden dann vielleicht auch nicht auf so komische Ideen kommen, wie auf die Straße zu gehen wegen irgendwelchem Corona-Quatsch«, sagt er scherzhaft. Witzig findet er die Corona-Leugner aber eigentlich nicht, auch wenn er nicht mit allen Maßnahmen einverstanden ist. »Ich bin immer wieder beeindruckt, was Leute in Deutschland auf die Straße bringt«, sagt Amewu, der durch seine Mutter früh politisiert wurde. »Du kannst alle Sozialwohnungen verkaufen, alle Sozialleistungen abschaffen, und es interessiert niemanden. Aber wenn Flüchtlinge Schutz brauchen oder es Maßnahmen gegen das Coronavirus gibt, geht das nicht, da muss man dann politisch aktiv werden«, sagt er verständnislos.
Zermürbt, enttäuscht und abgewertet
Für die Puppenspielerin Rike Schuberty ist die erneute Schließung der Theater eine Absage an ihre künstlerische Existenz. Von Claudia Krieg
Die Premiere am 14. November fällt aus. Die Inszenierung des Stücks »Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat« am Puppentheater Magdeburg war bereits vom Sommer auf den Spätherbst verschoben worden. Sie war die Regiearbeit, auf die Rike Schuberty in diesem Jahr gesetzt hatte, setzen musste. Der freischaffenden Musikerin, Regisseurin und Puppenspielerin zerfiel im März ihre gesamte Jahresplanung zu Staub, als die Corona-Pandemie Europa erfasste und ihr Arbeitsfeld, die bundesweiten Bühnen, von einem Tag auf den anderen geschlossen wurden.
Es sind nicht nur die finanziellen Ausfälle, die die Berlinerin seit nunmehr acht Monaten zu verkraften hat – sie unterschreibe Verträge, die ihr keinerlei Sicherheit böten, meint sie. »Es ist fies und gemein, und es fühlt sich scheiße an«, sagt die facettenreiche Künstlerin zum »nd«. Sie erlebe die jetzt erneut angeordnete Schließung der Spielstätten als »Ohrfeige« für Theater und Bühnenbetriebe. »Seit Monaten ackern die Leute wie blöd, denken sich jeden Tag neue Konzepte aus, stellen Anträge, kämpfen für ihre Häuser und Spielideen«, ärgert sich Schuberty. Überall seien funktionierende Hygienekonzepte erarbeitet worden, so ihre Erfahrung: »Die wissen doch alle, was auf dem Spiel steht – und auch, dass kontrolliert wird«. Man nehme aufwendige und kostenintensive Maßnahmen auf sich, die in vielen Fällen zu Lasten von Schauspieler*innen und Inszenierungen gehen. »Theater beruht doch auf der Interaktion zwischen Bühne und Publikum«, erklärt Schuberty. Von Livestreams hält sie wenig. Eine Gesellschaft werde krank, wenn es keine Theater gebe, sie seien Ort der Bildung und Auseinandersetzung, vor allem für Kinder und Jugendliche, so die Künstlerin.
Nun scheint es, als werde gerade dieser »empfindliche Bereich« als verzichtbar erachtet. »Ich fühle mich reduziert – so, als sei meine Arbeit ein Unterhaltungsprogramm, das man sowieso nicht braucht«, fasst Schuberty ihre Enttäuschung in Worte. Sie versucht nun seit Monaten im kleinen Rahmen, Wege zu finden, die Härten abzufedern, die viele ihrer Kolleg*innen derzeit treffen. Im kleinen Theater Grashüpfer in Treptow-Köpenick, in dem sich Schuberty seit langem stark engagiert, greift man zum Beispiel zur Zeit auf die Rücklagen des Fördervereins zurück und schießt pro Quartal 3000 Euro zu, damit auftretenden Künstler*innen zumindest ein Minimum an zuverlässiger Gage gezahlt werden kann. »Alle bekommen pro Auftritt fest 150 Euro«, erklärt die gelernte Puppenspielerin. Dies sei zwar »ein Witz«, verglichen mit den sonstigen Einnahmen, aber: »Wenn sie in dem kleinen Raum unter den aktuellen Bedingungen ›auf Eintritt‹ spielen würden, käme gar nichts rum.« Zumal man nicht einmal sicher sagen könne, ob von beispielsweise zwölf angemeldeten Kindern nicht doch fünf am Ende gar nicht in die Spielstätte im Treptower Park kommen, schildert Schuberty die Erfahrung des 1984 gegründeten Puppentheaters mit der Pandemie.
Es sind gerade die kleinen Häuser, die unter den Einschränkungen ächzen. Das Risiko einer langfristigen Schließung ist hoch. Aber es betrifft auch die sehr schlecht abgesicherten freien Künstler*innen. Sie habe es sich nicht ausgesucht, freischaffend zu sein, meint Schuberty, so viele Stellen gebe es gerade in Berlin in ihrem Bereich ja gar nicht. Nur eine Art Arbeitslosenversicherung für Künstler*innen kann in ihren Augen das Problem grundsätzlich lösen. Oder ein Programm, das ein Grundeinkommen garantiert. Und – für den Moment – Stipendien, die helfen, die schwierige Zeit zu überbrücken. Dann könnten trotzdem Stücke entwickelt und produziert werden, die zu einem späteren Zeitpunkt gezeigt würden. Die Bedingungen seien eben sehr unterschiedlich: »Man muss doch genau hinsehen, wer gerade was zu tun hat und dementsprechend Unterstützung braucht«, erklärt die Mimin.
Mit blutigen Knien
Corona hin oder her: Schauspielerin Ute Reintjes ist es gewohnt, keine Pläne zu machen. Von Rainer Rutz
»Das war Horror«, sagt die Berliner Schauspielerin Ute Reintjes über ihre Reaktion, als sie am Donnerstag vor einer Woche erfuhr, dass die Theater erneut dichtmachen müssen. Gerade einmal sieben Tage ist es zu dem Zeitpunkt her, dass das Stück, in dem sie aktuell mitspielt, am Schauspiel Köln Premiere gefeiert hat. Eine Kritik feiert die drei- bis vierstündige Performance »Die Walküre« begeistert als »Freak-Show«. Und Reintjes mittendrin. Sie lässt sich auf den Boden fallen, erklimmt im Nachthemdchen auf allen Vieren einen Bühnenfelsen. Im Ergebnis hat sie nach jeder Vorstellung blaue Flecken und blutig geschupperte Knie. »Ein irrsinniger Spaß in einem tollen Ensemble«, sagt Reintjes.
Genau das sollte nun nach wenigen Spieltagen vorbei sein? »Wir haben seit dem 10. September geprobt, das ganze Team war die ganze Zeit freiwillig in sozialer Isolation, ich hatte null Privatkontakte mehr, um jegliche Coronafälle zu vermeiden«, so Reintjes. Auch bei der Inszenierung seien alle Vorgaben beachtet worden: Hygienekonzept, allabendlich nur etwas mehr als zwei Dutzend Zuschauer, Maskenpflicht. All das schien plötzlich für die Katz.
Das Engagement in Köln ist Reintjes’ erstes großes in diesem Corona-Jahr. Seit über 20 Jahren steht die Neuköllnerin auf der Bühne, in Berlin und Wien, in Wiesbaden und Köln, in Halle und Zeitz. Mal vor großem, mal vor kleinem Publikum, mal auch in einer Schulturnhalle, zwischendrin Auftritte in Fernsehserien oder Aufnahmen im Hörspielstudio. »Auf der Bühne werde ich meist als die Leidenschaftliche besetzt, als die Frau, die hinfällt und wieder aufsteht.«
Das alles brach im März schon einmal abrupt weg. Fernsehdrehs wurden abgesagt, Theatervorstellungen fielen ins Wasser. »Aber das hat mich damals gar nicht so tangiert«, erzählt Reintjes und schiebt dann hinterher: »Wegen eines Todesfalls, Covid-19. Ich war mit Trauerbewältigung beschäftigt.« Sie bittet um Verständnis, darüber nicht weiter sprechen zu müssen. Irgendwann ging es irgendwie – und sie stand wieder auf. Reintjes sagt, sie sei froh, dass es die 5000-Euro-Künstlersoforthilfe des Berliner Senats gegeben habe. Das habe sie in der Zeit finanziell aufgefangen. »Ich kann mit meinen Gagen nicht viel Geld anhäufen, um monatelang ohne Engagements bleiben zu können.«
»Die Walküre« in Köln war im Nachhinein betrachtet ein Volltreffer, so Reintjes. Denn auf die Hiobsbotschaft vom neuen Lockdown folgte die Entscheidung der Theaterintendanz, das Stück einfach weiter aufzuführen, nur eben ohne Publikum. Dafür wird ein Filmteam die Vorstellungen begleiten. »Ich habe gerade Glück, an einer staatlichen Bühne engagiert zu sein. An einem Privattheater wäre ich knallhart auf dem Boden der Corona-Realität für Künstler gelandet. Aber ich darf ja auch mal ein bisschen Glück haben.«
Trotzdem dürfte im Dezember auch in Köln Schluss sein. Ganz nach Plan. Und dann? Reintjes sagt: »Ich bin es gewohnt, keine Pläne zu machen. Auch wenn es müßig ist. Ich mag das.«
Nicht insolvent genug für Staatshilfe
»SO36« bekam wegen vieler Spenden keine Soforthilfe. Von Claudia Krieg
Das Herz blutet. »Wir machen die Sachen hier ja auch für uns, für unsere Freund*innen, unsere Szene«, erklärt Anett Fleik zwei Tage, nachdem die Notbremse der Bundesregierung dafür gesorgt hat, dass Veranstaltungsorte wie die Kreuzberger Club-Legende »SO36« erneut pandemiebedingt schließen müssen. »Wir sind einer von sehr wenigen Orten, an denen sich Menschen aus der queeren muslimischen Community bei Veranstaltungen wie der Gayhane-Disco treffen können«, sagt Fleik. Sie ist eine von 80 Beschäftigten, die in Teilzeit für den kollektiv organisierten Laden arbeiten. Nimmt man die vielen regelmäßig engagierten Freischaffenden hinzu, treffe die Schließung nahezu 200 Leute, »ob unsere DJanes oder den Rollschuh-Disco-Tanzlehrer – eben all die wunderbaren Künstler*innen sind, die hier auftreten.«
Unter dem Motto DIY (Do it yourself) hat sich das 1978 gegründete »Esso«, wie es landläufig genannt wird, über die vergangenen Jahrzehnte zu einem mittelständischen Unternehmen entwickelt. Das professionalisierte DIY-Konzept hat den ehemaligen Punk- und New-Wave-Club durch alle Krisen gerettet – bis jetzt. Seinen Mythos bezieht er nicht nur aus Auftritten von David Bowie, Iggy Pop, den Einstürzenden Neubauten oder Slime, sondern auch aus Geschichten wie dieser: Anfang der 80er Jahre, als viele Häuser in Kreuzberg geräumt wurden, gab es am nahen Heinrichplatz ein vor allem von Frauen besetztes Haus. Als es zur Räumung mit schwerem Gerät kam und sich die Polizei durch das extrem gesicherte Haus durchgekämpft hatte, waren die Besetzerinnen allerdings verschwunden: Sie hatten sich einen Fluchttunnel zum 50 Meter entfernten »SO36« gebuddelt. So erzählt es Erik Steffen, der am 2016 erschienenen Buch »SO36 – 1978 bis heute« mitgearbeitet hat.
Auch heute sind es die Menschen im und um das »SO36« herum, die dafür Sorge tragen, dass der Laden weiterläuft. Zu Beginn der Pandemie, während des Frühjahrs-Lockdowns, hielten zunächst Spenden den Laden über Wasser, so Anett Fleik. Dann hätten Kurzarbeitergeld und der Verkauf von Merchandise-Produkten geholfen. »Wir haben per Crowdfunding sogar unsere gebrauchten Geschirrhandtücher verscherbelt«, berichtet die Veranstaltungskauffrau, die unter anderem für die Öffentlichkeitsarbeit im Club zuständig ist, über die durchaus findigen Ideen aus dem Netzwerk. Das habe allerdings zur Folge gehabt, dass man »nicht insolvent genug« gewesen sei, um die Soforthilfen in Anspruch nehmen zu können. »Wir haben gerade angefangen, alternative Konzepte, die uns auch gefallen, auszuprobieren«, erzählt die Mitarbeiterin. »Die jetzige Schließung ist schäbig und wird sehr vielen Künstler*innen nicht gerecht«, kommentiert sie die neueste Eindämmungsverordnung.
Filmstau mit Folgen
Verleiher Arne Höhne wundert sich über Gottesdienste im Kino. Von Nicolas Šustr
»Ein Kinostart ist wie ein Kunstwerk. Alles muss an einem Zeitpunkt zusammenfließen. Die Zeitungen müssen über den Film schreiben, Kinobetreiber müssen überzeugt sein, Onlinewerbungen müssen laufen, Plakate im Stadtbild zu sehen sein, Premieren müssen geplant sein«, sagt Arne Höhne. All das hat das Team des Berliner Filmverleihs Piffl Medien monatelang für den Film »Rosas Hochzeit« der spanischen Regisseurin Icíar Bollaín gemacht. Am 12. November hätte er in die Kinos kommen sollen. Alles Makulatur. »Diese Energie für den Film wieder neu zu schaffen, ist kaum machbar bis aussichtslos«, sagt Höhne bewegt. Dazu kommen über 30 000 Euro, die bereits in Vermarktung und Verbreitung investiert worden sind. »Für Verluste von Verleihern gab es bisher in der Regel keine staatliche Hilfe.« Nun hofft er, dass die vom Bund angekündigte Förderung von Kulturbetrieben mit 75 Prozent des Monatsumsatzes im November auch für sein Unternehmen gelten wird, das er seit 21 Jahren mit zwei Partnern führt. »Normalerweise bringen wir sechs Filme pro Jahr in die Kinos. Dieses Jahr war es bisher einer«, berichtet Höhne.
Bedrückend sei es gewesen, die Beschäftigten im Frühjahr in Kurzarbeit schicken zu müssen. Nach der Wiedereröffnung der Kinos seien die Besucherzahlen nach und nach wieder gestiegen. Natürlich mit einer deutlich geringeren Kapazität wegen der Abstandsregeln. »Bei Arthouse-Filmen ist die Beteiligung am Kinoeintritt die Haupteinnahmequelle für den Verleih. Alle anderen Verwertungsmöglichkeiten spielen eine untergeordnete Rolle«, sagt der Kulturunternehmer. Für die Kinobranche ist die erneute Schließung in der Hauptumsatzzeit fatal. Auch hier gilt, dass Umsätze kaum nachgeholt werden können. Ein regelrechter Filmstau hat sich aufgebaut. »Alle Verleiher aller Größen müssen auf die wenigen Plätze, die es gibt.«
»Wenn wir dieses Opfer wenigstens in dem Wissen bringen würden, damit das allgemeine Infektionsgeschehen zu beeinflussen, würde man das leichter akzeptieren. Aber der Beitrag des Kulturbereichs wird gegen null gehen, weil er vorher auch nicht zu Infektionen beigetragen hat«, ist Höhne überzeugt. Er ärgert sich, dass die Politik den Sommer »verplempert« hat. In der Zeit hätten technische Maßnahmen wie der Einbau von Viren eliminierenden Klimaanlagen in Bereichen mit viel Publikumsverkehr stattfinden können. Betreiber von Lichtspielhäusern hätten vielfach technisch aufgerüstet, in Schulen und anderen Orten mit sehr hohem Publikumsverkehr sei das nicht geschehen. »Und absurderweise finden nun Gottesdienste in Kinos statt, weil es dort so sicher ist.«
»Die Filmbranche ist ein Organismus. Wenn uns die Einnahmen fehlen, können wir auch keine Verträge für neue Werke schließen. Unsere Lage hat also direkte Auswirkungen für die Filmproduzenten«, sagt Höhne. Der Start von »Rosas Hochzeit« ist nun auf Dezember terminiert. »Das ist der Versuch, ein bisschen wider besseres Wissen optimistisch zu sein. Sonst kommt man gar nicht weiter.«
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