Luftbrücke der Superlative

Das erste Impfmittel gegen Covid-19 könnte bald bereit stehen. Fraglich ist, ob es dann auch so viele Impfwillige gibt, wie erhofft

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 4 Min.

In Sachen Covid-19-Impfung herrscht seit Montag große Aufregung: Die Aussicht auf eine beschleunigte oder auch Notfallgenehmigung eines ersten westlichen Impfstoffkandidaten für die Zulassung - zunächst in den USA - lässt Gesundheits- und viele andere Politiker Hoffnung schöpfen, dass der aktuelle Alptraum doch bald vorbei sein könnte. Dabei stört diese Enthusiasten nicht, dass es bei der Vakzine BNT162b2 von Biontech und Pfizer nur um viel versprechende Zwischenergebnisse einer Phase-III-Studie geht. Immerhin ist damit der Impfstoff kurz vor Abschluss der Entwicklung, aber die vollständigen Rohdaten wurden noch nicht vorgelegt. Es ist so noch nicht bekannt, ob der Impfstoff etwa in verschiedenen Altersgruppen gleich gut wirken würde.

Die lautstark verkündete Begeisterung ist ganz besonders in Deutschland gut zu hören, das mit dem hierzulande ansässigen und öffentlich geförderten Beteiligten Biontech sowie Vorverträgen über die Lieferung von BNT162b2 besonders im Vorteil scheint. Medial unterstützt von etlichen Experten, werden nicht nur Pläne für den jeweils privilegierten Zugang zu der Impfung hin- und hergewälzt - wobei hier relative Einigkeit über das Vorgehen herrscht. Menschen aus Risikogruppen sowie solche in systemrelevanten Arbeitsfeldern, meist im Gesundheitswesen, sollen bevorzugt werden.

Fragen und Antworten zum Impfstoff gegen das SARS-CoV-2-Virus

Müssen mögliche Nebenwirkungen des Impfstoffs nicht noch lange beobachtet werden?

Die bisherige klinische Prüfung war ziemlich kurz. Über eventuelle Langzeitfolgen kann bei so kurzer Laufzeit noch nichts ausgesagt werden. Beim Einsatz des mRNA-Verfahren in der Krebstherapie sind allerdings bislang keine ernsten Nebenwirkungen bekannt geworden. Und bereits in Phase II einer klinischen Prüfung muss nachgewiesen werden, dass der Impfstoff keine unmittelbaren Schäden auslöst. Da das Verfahren in einer Massenimpfung allerdings neu ist, ist eine begleitende Beobachtung zwingend notwendig. Allerdings müssen auch bei bereits bekannten Impfungen auftretende Nebenwirkungen gemeldet werden.

Wie viele Probanden braucht man in der Testphase III?

Nach Angaben des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) müssen mehrere zehntausend Freiwillige teilnehmen, die sich in ihrem normalen Alltag mit dem Virus infizieren könnten. Ermittelt wird das in der Regel mit zwei Gruppen, von denen eine den Covid-19-Impfstoff, die andere einen Scheinimpfstoff oder anderen Impfstoff erhält. Wer was bekommt, wissen die Probanden nicht. Zusätzlich können sie in Altersgruppen unterteilt sein. Gerade für Impfstoffe ist dabei die Gruppe der über 55-Jährigen wichtig. Denn zum einen sind sie am stärksten von der Pandemie betroffen, und zum anderen ist ihr Immunsystem nicht mehr so schlagkräftig wie das von Jüngeren. Überdies sollen sie bei Verfügbarkeit eines Impfstoffs mit am ersten geimpft werden.

Nun gibt es einen Impfstoff. Können die anderen jetzt aufhören?

Nein. Noch wissen wir wegen der Kürze der Erprobung weder, wie lange bei dem Impfstoff BNT162 b2 die Immunisierung anhält, noch ist anhand der bekannten Daten sicher, wie effektiv der Impfstoff in unterschiedlichen Altersklassen oder Ethnien wirkt. Es könnte also gut sein, dass man z.B. ältere Menschen zukünftig mit einem anderen Impfstoff impft als Kinder. Gut wäre auch - mit Blick auf arme Länder in heißen Klimazonen - ein Impfstoff, der ohne aufwendige Kühlung auskommt.

Verfolgen die einzelnen Forscherteams und Unternehmen unterschiedliche Methoden?

Ja. Unter den über 200 Impfstoffprojekten gibt es sowohl den eher traditionellen Ansatz mit inaktivierten (China, Japan) oder abgeschwächten Viren (Indien) als auch den Ansatz über gentechnische Methoden. Auch dabei werden verschiedene Wege verfolgt. Zum einen gibt es bei den laufenden Projekten mehrere, die Erbmaterial für Virusbestandteile in Form des Erbmoleküls DNA verwenden, zum anderen solche die das für die Informationsübertragung genutzte Molekül RNA verwenden. Ziel ist in beiden Fällen die Produktion eines harmlosen aber charakteristischen Virusbestandteils, der das Immunsystem aktiviert. Es kommt dann im Idealfall zur Produktion von Antikörpern und zur Bildung von Killer-T-Zellen, die infizierte Zellen im Körper aufspüren und vernichten können. Beim späteren Kontakt mit dem echten Virus ist das Immunsystem dann vorbereitet und kann das Virus vernichten. Das Erbgut wird dabei entweder - wie bei Biontech und dem ebenfalls deutschen Unternehmen Curevac - in ein Lipid-Nanopartikel oder in ein vorher unschädlich gemachtes Virus - den sogenannten Vektor - verpackt. Bei manchen DNA-Impfstoffen wird die Aufnahme in Körperzellen auch durch einen kurzen lokalen und ungefährlichen Stromstoß (Elektroporation) erreicht.

Das Verfahren von Biontech basiert auf der Einführung von Virengenen. Ist das nicht gefährlich?

Eigentlich nicht. Es wird ja lediglich eine Sequenz des Erbmoleküls mRNA eingeführt. Dieses Molekül liefert für die Eiweißfabriken unserer Körperzellen den Bauplan eines bestimmten Eiweißes, in dem Falle eines von der Hülle des Virus. Es wird nur dort abgelesen und dann abgebaut. Ein Einbau in das menschliche Erbgut ist auf diesem Wege ausgeschlossen. Das auf diesem Wege produzierte Virushüllenteil enthält keine gefährlichen Komponenten des Virus.

Warum werden jetzt schon, vor Abschluss der Forschungen, massenweise Impfdosen produziert?

Um früh mit dem begehrten Mittel versorgt zu sein, schließen die EU und auch andere Länder schon jetzt Lieferverträge mit Pharmakonzernen. Kurz nach Bekanntgabe der ersten Testergebnisse von Biontech/Pfizer auch mit diesem Hersteller. Für die Impfstoffhersteller ist die Produktionsaufnahme vor der endgültigen Zulassung eine durchaus riskante Wette auf die Zukunft. Biontech, offenbar schon frühzeitig vom Erfolg des Konzepts überzeugt, geht dieses Risiko ein. Wenn alles klappt - die provisorische Zulassung in den USA ist absehbar - kann der Hersteller schnell Geld verdienen. Auch für die Abnehmer des Impfstoffs ist es natürlich vorteilhaft, wenn sie schnell beliefert werden. Und beim russischen Sputnik-Impfstoff, von dem eigentlich längst Millionen Dosen lieferbar sein sollten, sieht man, dass Produktionskapazitäten frühzeitig bereitgestellt werden müssen.

Sind wir nun bald mit dem Virus fertig?

Wohl nicht. Erstens ist noch keiner der Impfstoffe zugelassen. Die vorgestellten Studiendaten werden nun von den Zulassungsbehörden geprüft. Und trotz frühzeitiger Produktionsaufnahme können diese Mengen den Bedarf am Anfang bei weitem nicht abdecken. Dazu kommt, dass auch die Impfung selbst dauert. In einem Thesenpapier geht Matthias Schrappe, Internist an der Uni Köln, davon aus, dass es rund tausend Arbeitstage - also vier Jahre - dauern würde, rund 60 Millionen Menschen in Deutschland zu impfen. Und das auch nur, wenn pro Tag 60 000 Impfungen verabreicht werden können. Allerdings gehen Experten davon aus, dass eine Ausbreitung des Virus sich bei einer Impfquote von über 50 Prozent deutlich bremsen ließe. Steffen Schmidt

Aber auch logistische Fragen werden bereits bis ins Detail diskutiert. So ist die Überzeugung groß, dass statt einer Impfung vor allem in Hausarztpraxen in kürzester Zeit Zentren an mindestens 60 Standorten errichtet werden sollen. Hierzu widersprechen sich die Aussagen, denn allein in Rheinland-Pfalz werden 36 Zentren geplant, in allen Landkreisen und kreisfreien Städten dort.

Noch unklar ist, wer dann in den Zentren bundesweit im Einsatz sein wird: Ärzte der Gesundheitsämter und der Bundeswehr? Letztere soll auf jeden Fall in die Lieferung einbezogen werden. In einigen Bundesländern wird auch schon auf die Polizei gesetzt, die bei der Zwischenlagerung unterstützen soll. Neben dem Impfstoff müssen unterem anderen ausreichend Spritzen und Kanülen vorgehalten werden. Auch wenn es martialisch anmutet, die Erinnerung an gestohlenes und im internationalen Handel verlustig gegangenen Schutzmaterials (wie vergleichsweise preiswerte Einweg- und andere Masken) lässt diesen Aufwand fast gerechtfertigt erscheinen.

Neben der Bewachung ist die Kühlung ein heikler Faktor in der Logistik eines solchen Unternehmens. Bei dem Biontech-Pfizer-Impfstoff ist die Rede von 70 oder 80 Minusgraden, die garantiert sein müssen. Einmal aufgetaut, heißt es, das Mittel schnell zu verbrauchen, wie Experten warnen.

Vor der Verteilung im Inland müssen die Impfdosen jedoch auch global transportiert werden. Der internationale Dachverband der Fluggesellschaften (IATA) spricht bereits von der voraussichtlich größten Luftbrücke für eine einzelne Ware, die es je gab. Für die weltweit insgesamt zu verteilenden 16 Milliarden Impfstoffdosen (vorausgesetzt, mehrere Kandidaten werden mehr oder weniger zeitgleich zulassungsreif, zugelassen und in großen Mengen produziert) müssten 8000 Jumbo-Jets vollgeladen und auf die Reise geschickt werden. Allein 86 Boeing 747 mit Impfstoffen wären für die vollständige Versorgung in Deutschland nötig, errechneten Brancheninsider.

Weil bereits einige Regierungen Großaufträge für Transport und Verteilung der Impfstoffe erteilt haben, gibt es schon Kapazitätsplanungen für die Frachtflugzeuge. Dafür sollen sogar Einschränkungen wie Überflug- und Landerechte aufgehoben werden, stellen sich die Airlines vor. Auch hier spielt die nötige Kühlung eine wichtige Rolle, entsprechende Transporter müssen nämlich auf den Flughäfen im Vorfeld verfügbar sein. Die Abfertigungsfirmen am Boden müssen international für temperatursensible Güter zertifiziert sein, was nicht überall die Regel ist. In Deutschland wird vor allem der Flughafen Frankfurt am Main mit seiner Infrastruktur als geeignet hervorgehoben.

Wenn dann am Ende die Impfdosen an Ort und Stelle sind, bleibt die Frage, wie es mit der Bereitschaft der ausgewählten Gruppen steht, sich den viel versprechenden Einstich verpassen zu lassen. Einmal abgesehen von dem Teil der Bevölkerung, der jegliche Impfung für Teufelszeug hält, gibt es hier jedoch erhebliche Schwankungen. Auch außerhalb von Fachkreisen werden die jetzt weltweit gängigen, beschleunigten Zulassungsverfahren mit Skepsis zur Kenntnis genommen.

Ende September hatte eine Studie des Hamburg Center for Health Economics ergeben, dass in Europa die Sorge zunehme, sich mit Sars-CoV-2 anzustecken. Die Bereitschaft, sich dagegen impfen zu lassen, nehme hingegen ab. In Deutschland sank sie von 70 Prozent im April auf 57 Prozent im September. Im selben Zeitraum war der Anteil der strikten Impfgegner in Sachen Covid-19 von zehn auf 21 Prozent der Befragten gestiegen. Die Ablehnung einer Immunisierung war demnach bei wenig gebildeten Menschen höher als bei gut gebildeten.

Im Oktober ist eine weitere Studie zur globalen Akzeptanz der Impfung im Fachjournal »Nature Medicine« erschienen, für die im Juni Menschen in 19 Ländern befragt wurden, darunter auch in Deutschland. Insgesamt wollten sich danach 71,5 Prozent impfen lassen, wenn es eine sichere und wirksame Impfung gibt. Die höchste Akzeptanz verbucht nach dieser Studie China mit 88,62 Prozent, die niedrigste Russland mit 54,85 Prozent. Neben China gehörten Brasilien, Südafrika und Südkorea zu den impfwilligsten Nationen. Deutschland lag mit 68,42 Prozent im hinteren Mittelfeld. Der Ländervergleich, so die Autoren, zeige, dass die Zustimmung hier vom Vertrauen in die jeweilige Regierung abhängt.

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