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Humorbefreit
Die Bundesregierung wirbt mit satirischen Videos dafür, in der Coronakrise daheim zu bleiben. Witzig finden das längst nicht alle. Ist Humor zurzeit angebracht?
Der Videoauftritt der Bundesregierung bei Youtube ist nicht unbedingt der erste und nicht einmal der fünfte oder zehnte Ort im Netz, an dem Menschen unter 35 Jahren ihre Freizeit verbringen. Ehrlich gesagt tut dies auch sonst niemand. Gerade einmal rund 48.000 Nutzer haben den Kanal abonniert, die meisten Clips bringen es auf niedrige vierstellige Zuschauerzahlen. Selbst drittklassige Youtube-Sternchen dürften mit selbstgedrehten Videos aus dem heimischen Kinderzimmer auf wesentlich mehr Zugriffe kommen. Dabei ist die inhaltliche Fallhöhe zwischen dem Test einer neuen Haarlotion oder Chipssorte und einem Erklärfilm über die Corona-Warnapp offensichtlich.
Dieser publizistische Misserfolg der Bundesregierung auf Youtube ist leicht erklärbar, widerspricht ihre Kommunikationsstrategie doch annähernd jeder medialen Grundregel, die in den sozialen Netzwerken gilt. Die Bundeskanzlerin ist das exakte Gegenteil von laut, schrill und kontrovers. Das mag im politischen Alltag richtig sein, zumal es ein angenehmes Gegengewicht zu Schreihälsen wie Trump, Johnson und Bolsonaro schafft. Doch mit überbetonter Sachlichkeit, zumal zu Themen von gesellschaftlicher Grundsätzlichkeit, erreicht man längst nicht alle, schon gar nicht jenen Teil des Publikums, der weder Tageszeitungen noch die Tagesschau regelmäßig konsumiert.
Also dachte sich die Bundesregierung: Machen wir es einmal anders. Zu Wochenbeginn erschienen drei Videos einer Kampagne mit dem Namen #besonderehelden. Deren Botschaft lautet nicht anders als die von #Wirbleibenzuhause, einer Kampagne des Bundesgesundheitsministeriums, die während der ersten Coronawelle im Frühjahr lief. Damals hatten mehr oder weniger bekannte Prominente in weitestgehend nüchternen Kurzvideos erklärt, warum es angesichts hoher Infektionszahlen richtig ist, seine Kontakte zu reduzieren. Obwohl die Frühjahrskampagne mit beim jüngeren Publikum bekannten Gesichtern wie dem von Louisa Dellert, einer Youtuberin zum Thema Nachhaltigkeit, aufmachte, verpuffte der Effekt, zumindest was die Reichweite auf dem Kanal des Gesundheitsministeriums anging.
Anders die Clips zu besonderehelden, die es nur vier Tage nach Veröffentlichung allein bei Youtube auf zusammen fast zwei Millionen Aufrufe bringen. Gezeigt werden die fiktiven Geschichten aus der Perspektive von drei Senioren, die sich einige Jahrzehnte nach der Pandemie an den Winter 2020 zurückerinnern, als sie selbst Jugendliche waren. Im Stil einer Dokumentation gehalten, schildern die Rentner, zwei Männer und eine Frau, in pathetischem Tonfall ihre Leistungen in der Krise, in der sie zu Helden wurden.
Nach etwa 30 Sekunden erfolgt die weiter mit ernster Stimme vorgetragene satirische Auflösung: Sie taten nichts, sondern blieben einfach daheim. »Tage und Nächte blieben wir auf unserem Arsch zu Hause und kämpften gegen die Ausbreitung des Coronavirus«, berichtet Rentner Lehmann. Bebildert sind die Erzählungen mit Rückblenden, wie die Lehmanns (damals ein frisch verliebtes Paar) und Herr Schneider vor dem Computer hocken, Fernsehen schauen und auf dem Sofa genüsslich Hähnchenflügel essen. In Lehmanns Erzählung mischt sich gar ein Hauch Kriegsrhetorik. »Unsere Couch war die Front, und unsere Geduld war die Waffe.«
Ist das nun witzig? Rechtfertigt die Botschaft (»Bleibt daheim!«) ironische Videos angesichts einer Pandemie, die sich gerade auf ihrem zweiten Höhepunkt befindet, zumal es sich nicht um Beiträge einer Satiresendung handelt, sondern um Clips im Auftrag der Bundesregierung? Letzteres dürfte den Kernpunkt der nun vielfach vorgebrachten Kritik ausmachen. Der NDR-Journalist Andrej Reisin schreibt in einem Kommentar von einem »Appell aus der Wohlstandsblase«. Völlig frei von Witz und Ironie führt er aus, dass das Video jene zu Schuldigen an der Coronakrise erkläre, die nicht zu Hause geblieben sind. »Die Erzählung, wonach sich eine Pandemie deswegen ausbreitet, weil Menschen sich nicht an Regeln halten, ist wohlfeil und entlastend, denn erstens wendet es die Verantwortung von der Politik ab - und zweitens sind damit immer andere schuld«, so Reisin. Anschließend listet er Berufs- und Bevölkerungsgruppen auf, die eben nicht so einfach daheimbleiben können und schließt mit der Forderung, dass es langfristige Konzepte zur dauerhaften Eindämmung braucht.
Das wäre ziemlich viel Inhalt für einen Clip, der nur 1 Minute und 48 Sekunden dauert. »Einen jungen Menschen Anfang zwanzig gegen eine alleinerziehende Mutter auszuspielen, wird der Sache nicht gerecht. Leid gegeneinander aufzuwiegen sowieso nicht«, schreibt Jonas Leppin bei spiegel.de. Würde man alle von Kritikern vorgebrachten Bedenken in einem einzigen Video unterbringen, dann wäre es wohl der langweiligste Spot der Welt, so der Journalist.
In die Clips werde zu viel hineininterpretiert, findet Michael Hanfeld auf faz.net. »Es will halt nicht in jeden Kopf, dass eine witzige Bestärkung, sich ins gerade Unvermeidliche zu schicken, nicht bedeutet, dass man damit alle anderen, die es den Stubenhockern nicht gleichtun können, abwertet und die Probleme negiert.« Vielleicht macht die Bundesregierung auch dazu noch ein Video.
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