Damit es in der Politik nicht nur um Posten geht

Junge Genossen aus Brandenburg möchten die Linke inhaltlich neu ausrichten, bevor die Liste für den Bundestag nominiert wird

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

»Die letzten Wochen haben mich etwas frustriert. Denn sie haben gezeigt, dass es dieser Partei mit Blick auf das Wahljahr 2021 und darüber hinaus an inhaltlicher und strategischer Orientierung fehlt.« Dabei habe das Ergebnis der Landtagswahl 2019 - die Linke fiel von 18,6 auf 10,7 Prozent - doch gezeigt, dass es einer neuen Ausrichtung bedürfe. »Stattdessen diskutieren wir nun über Personal.« So beginnt Marek Lipp seine sechsseitige Ausarbeitung zum Thema »Soziale Mehrheiten gewinnen - Gesellschaft verändern«.

Mit 15 Jahren trat er in die Linke ein, war jüngstes Mitglied im Landesverband Brandenburg. Nun ist er 18 Jahre alt und macht sich Gedanken, wie die Partei starker Partner von Bewegungen wie Fridays for Future sein könnte, um für junge Leute interessanter zu werden. »In dieser Hinsicht wäre es schön«, so schließt Lipp seine Ausführungen, »für die Bundestagswahl 2021 die Kandidat*innen ins Rennen zu schicken, die diesen Politikansatz vertreten und nicht nur die sechste Änderung einer Verordnung oder einen Ministerposten im Sinn haben«.

Der Satz sorgt für Wirbel. Wen meint er? Etwa Ex-Finanzminister Christian Görke, der als Spitzenkandidat vorgesehen ist? Görke ist aber nicht verdächtig, es bloß auf den Posten des Bundesfinanzministers abgesehen zu haben. Schließlich spricht er sich dagegen aus, über Rot-Rot-Grün auf Bundesebene zu fabulieren, da dafür im Moment sowieso keine Mehrheit absehbar sei. Die Linke solle sich im Wahlkampf auf ihre inhaltlichen Punkte konzentrieren, empfiehlt Görke.

Das ist die Linie, die auch die jungen und sehr jungen Genossen vertreten, die am Dienstagabend bei einer Videoschalte über Lipps Papier diskutieren. Sie luden dazu Peter Frigger ein, der für den Bundestagsabgeordneten Thomas Nord arbeitet und als »Chefstratege« vorgestellt wird. Frigger bittet, es eine Nummer kleiner zu machen. Er befasse sich mit strategischen Fragen. Es gebe aber wichtigere Experten als ihn. Was er von Lipps Überlegungen hält? Ihm gefällt der Versuch, auf eine »Gesellschaft im Umschwung« zu reagieren. Die PDS habe früher anderthalb Jahre vor Wahlen ihre Strategie fertiggestellt. Aber das funktioniere heute nicht mehr, die Politik sei zu schnelllebig geworden. Insofern könne jetzt weniger als ein Jahr vor der Bundestagswahl 2021 noch gut über die geeignete Kampagne geredet werden.

Nach Einschätzung von Roland Gehrmann, dem Potsdamer Kreisvorsitzenden, dreht es sich bei der Wahl um die Nachfolge von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und darum, ob CDU und Grüne die Regierung bilden. Doch genau diese Fragen seien für die Linke und ihre Anhänger »semi-interessant«. Für sie müsste es darum gehen, wie die Eigentumsverhältnisse strukturiert sein sollten in einer ökologisch nachhaltigen Gesellschaft. Gehrmann gibt auch einen taktischen Rat. Es sei zu erwarten, dass wie bei der US-Präsidentschaftswahl viele Bürger per Briefwahl abstimmen. Die Linke müsse diesmal also schon sechs bis acht Wochen vor dem Urnengang mit ihrer Kampagne »aggressiv« präsent sein. Zuletzt steckte die Partei ihre Energie in die letzten Tage und Stunden vor der Wahl - aus der Erkenntnis heraus, dass ein großer Teil der Wähler sich erst dann entscheide, zuweilen erst in der Wahlkabine.

Frigger wird gefragt, ob es vielversprechend wäre, im Wahlkampf die Enteignung von Krankenhauskonzernen zu verlangen. Er muss schmunzeln und garantiert, dass eine derartig »radikalistische Forderung« auf jeden Fall anfangs viel Aufmerksamkeit erregen würde. Falls Impfstoffe gegen das Coronavirus wirken, werde sich die Pandemie im Sommer als Thema jedoch erledigt haben.

Dann könnte der Klimawandel wieder in den Vordergrund treten. Tom Berthold warnt allerdings, der Begriff »Green New Deal« werde Senioren im Plattenbau an der Salvador-Allende-Höhe in Frankfurt (Oder) nicht hinter dem Ofen beziehungsweise hinter der Zentralheizung hervorlocken, wenn man ihnen nicht erkläre, was eine Sanierung ihrer Wohnung für sie bedeuten könnte. Der Vizelandesvorsitzende Martin Günther fragt: »Wie schaffen wir es, die einen anzusprechen, ohne die anderen zu verschrecken?« Er erinnert sich an die Debatte: »Wir dürfen nicht grüner werden als die Grünen.« Den Gedanken hält er für Unsinn. Immerhin würde jeder dritte Linke-Wähler die Grünen ankreuzen, wenn es die Linke nicht gäbe, und umgekehrt wäre für Grünen-Anhänger die Linke die zweite Wahl, wisse man aus Umfragen.

Es ist ein anregendes Gespräch, in das Moderatorin Iris Burdinski einmal einwirft: »Willkommen bei der Grundsatzdiskussion Reform oder Revolution!« Marek Lipp gibt übrigens zu, sein Schlusssatz über Kandidaten, die Ministerposten im Sinn hätten, sei »ein bisschen provokant«. Es gehe ihm in erster Linie darum, die Inhalte zu klären, bevor über das Personal entschieden werde. Da die für Anfang Dezember geplante Nominierung der Landesliste wegen des Lockdowns verschoben werden musste, bleibt nun noch Zeit.

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